Gesundheitswesen 2023; 85(S 01): S18
DOI: 10.1055/s-0043-1762679
Abstracts | BVÖGD/BZÖG
27.04.2023
Fachausschuss Umweltmedizin – Block 2
11:00 – 12:30 ‖ Tagungsraum 4

Das Konzept der Human-Biomonitoring-Kommission am Umweltbundesamt zur gesundheitlichen Bewertung krebserzeugender Stoffe im menschlichen Körper

C. Röhl
1   Landesamt für soziale Dienste (LAsD) Schleswig-Holstein, Neumünster
,
P. Apel
2   Umweltbundesamt (UBA), Berlin
,
Y. Chovolou
3   Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV), Recklinghausen
,
M. Kolossa-Gehring
2   Umweltbundesamt (UBA), Berlin
,
U. Pabel
4   Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin
,
T. Schettgen
5   Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, RWTH Universität, Aachen
,
K.-M. Wollin
6   Ehemals Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (NLGA), Hannover
› Institutsangaben
 

Zur Bewertung des gesundheitlichen Risikos einer Schadstoffbelastung des Körpers leitet die Human-Biomonitoring-Kommission (HBM-Kommission) am Umweltbundesamt (UBA) seit fast 30 Jahren Human-Biomonitoring-Werte ab (HBM-I- und HBM-II-Werte). Voraussetzung für die Ableitung von HBM-Werten ist, dass es für den betrachteten Stoff eine Dosis gibt, die so niedrig ist, dass bei einer Unterschreitung keine Gesundheitsgefahr mehr zu befürchten ist. Für bestimmte krebserregende Stoffe, nämlich solche für die keine Wirkungsschwelle existiert, können keine HBM-Werte abgeleitet werden. Die Höhe der Exposition gegenüber diesen Stoffen in Bevölkerungsstudien oder in der Umweltmedizin konnte daher bisher lediglich im Vergleich zu vorhandenen Referenzwerten eingeordnet werden. Gleichwohl ist es wichtig, Human-Biomonitoring-Daten gerade für solche besonders besorgniserregenden Stoffe gesundheitlich bewerten zu können.

Daher hat die HBM-Kommission zur Bewertung krebserzeugender Stoffe, insbesondere solcher ohne gesicherte Wirkungsschwelle, nun ein ergänzendes Konzept erarbeitet, das mit seinem risikobasierten Ansatz entscheidend über das rein deskriptiv-statistische Referenzwertkonzept hinausgeht. Statt eines HBM-Wertes wird ein Dosis-Deskriptor der inneren Belastung berechnet, mit dem für eine beliebige Konzentration des Karzinogens im Blut oder Urin das zusätzliche Lebenszeitkrebsrisiko als Voraussetzung für die Bewertung der Körperlast berechnet werden kann.

Zunächst ist es erforderlich, den Wirkmechanismus der Krebsentstehung zu ermitteln. Das Fehlen einer Wirkungsschwelle wird z.B. in der Regel für genotoxische Karzinogene angenommen. Auf Basis quantitativer Dosis-Deskriptoren der äußeren Exposition (z.B. Unit Risk, Oral Slope Factor), Kenntnissen des Stoffwechsels und substanzspezifischer Biomarker im Menschen wird der Dosis-Deskriptor der inneren Belastung für den jeweiligen Stoff ermittelt. Mithilfe dieses Dosis-Deskriptors können schließlich zusätzliche Lebenszeitrisiken für bestimmte Stoffkonzentrationen oder umgekehrt ermitteln werden. Das Konzept mit seinen Voraussetzungen und Unsicherheiten wird am Beispiel von Benzol erläutert.

Die berechneten Lebenszeitkrebsrisiken können zur Begründung und Priorisierung von Risikomanagementmaßnahmen herangezogen werden. A priori-Vorgaben, z.B. in Form bestimmter Leitwerte, liefert das hier beschriebene Vorgehen jedoch bewusst nicht, um den wissenschaftlichen Teil der toxikologischen Risikoabschätzung von dem der Risikobewertung als Teil des Risikomanagements abzugrenzen. Der Grundsatz des Risikomanagements, die Belastung durch genotoxische Karzinogene so weit zu minimieren, wie dies möglich ist (ALARA-Prinzip), hat davon unabhängig weiterhin Bestand

Die vorgestellten konzeptionellen Überlegungen sollen hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit in einer Validierungsphase für ausgewählte Modellsubstanzen überprüft werden. Nach Erprobung und Evaluation wird zu entscheiden sein, ob das vorgestellte Konzept tragfähig oder ggf. durch Modifikation zu verbessern ist.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
08. März 2023

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