Notfallmedizin up2date 2017; 12(04): 363-374
DOI: 10.1055/s-0043-121210
Allgemeine und organisatorische Aspekte
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notfallmedizinische Versorgung bei konventionellen terroristischen Anschlägen

Matthias Helm
,
Thomas Wurmb
,
Florent Josse
,
Björn Hossfeld
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 December 2017 (online)

Die Ereignisse der Terroranschläge in Ansbach, Würzburg, München und Berlin haben sehr deutlich gezeigt, wie bedeutend die Auseinandersetzung mit der Thematik ist und wie dringend Konzepte für die Bewältigung solcher Lagen benötigt werden. Dieser Artikel beleuchtet die einsatztaktischen Aspekte eines konventionellen Anschlags und die rettungsdienstliche Versorgung in diesem Szenario.

Kernaussagen
  • Die üblichen zivilmedizinischen Konzepte zur prähospitalen Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten (MANV) sind nicht geeignet, um einen Terroranschlag notfallmedizinisch adäquat zu beherrschen.

  • Bei einem Anschlag mit Schusswaffen und/oder Explosivstoffen ist mit einer hohen Anzahl an schwer- und schwerstverletzten Patienten zu rechnen. Im Vordergrund steht dabei die Gefahr des raschen Verblutungstodes. Maßnahmen zur Blutungskontrolle haben höchste Priorität.

  • Patienten und Rettungskräfte sind permanent der Gefahr eines Folgeanschlags (sogenannter Second Hit) ausgesetzt. Das notfallmedizinische Vorgehen muss deshalb auf eine Minimierung der prähospitalen Versorgungsphase abgestimmt sein.

  • Eine „bedrohliche Lage“ ist mitunter nicht sofort als solche zu erkennen. Das Personal der Rettungsleitstellen und des Rettungsdienstes muss deshalb sensibilisiert werden, um aus den (wenigen) Informationen rasch das Bild einer „bedrohlichen Lage“ erkennen zu können.

  • In einer „bedrohlichen Lage“ können die Kommunikationssysteme überlastet oder gar zerstört sein. Die rettungsdienstlichen Einsatzkräfte müssen deshalb so ausgebildet sein, dass sie bis zur Etablierung einer gemeinsamen Führungsstruktur vor Ort auch autark arbeiten können.

  • Die Einsatzleitung obliegt bei „bedrohlichen Lagen“ der Polizei.

  • Durch die Polizei werden auch die Gefahrenbereiche (unsicher – teilsicher – sicher) definiert.

  • In „bedrohlichen Einsatzlagen“ wird das notfallmedizinische Handeln eindeutig durch die taktische Lage bestimmt. Dabei hat sich im militärischen Umfeld das „Tactical Combat Casualty Care“ (TCCC-)Konzept bewährt. Die „bedrohliche Einsatzlage“ im zivilen Umfeld unterscheidet sich diesbezüglich nicht von der im militärischen Umfeld.

  • Die prähospitale Versorgung folgt der Strategie: „stop the bleeding and clear the scene“.

  • Ziel ist es, die Notaufnahmen der erstversorgenden Kliniken zu „sicheren“ Bereichen zu machen.

 
  • Literatur

  • 1 Vision for Humanity. Global Terrorism Index. Im Internet: http://visionofhumanity.org/indexes/terrorism-index/ Stand: 20.09.2017
  • 2 Paschen HR. Terrorlagen in Europa. Notarzt 2017; 33: 61-62
  • 3 Hossfeld B, Hinkelbein J, Helm M. Richtig handeln bei Terroranschlägen. Notfall + Rettungsmedizin 2015; 18: 265-266
  • 4 Edwards DS, McMenemy L, Stapley SA. et al. 40 years of terrorist bombings – a meta-analysis of the casualty and injury profile. Injury 2016; 47: 646-652
  • 5 Hodgetts TJ, Mahoney PF, Russell MQ. et al. ABC to <C>ABC: redefining the military trauma paradigm. Emerg Med J 2006; 23: 745-746
  • 6 Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung. AWMF Register-Nr. 012/19; 2016.
  • 7 Thompson J, Rehn M, Lossius HM. et al. Risks to emergency medical responders at terrorist incidents: a narrative review of the medical literature. Critical Care 2014; 18: 521
  • 8 Hossfeld B, Josse F, Bohnen R. et al. TEMS – Taktische Medizin im Rahmen von Einsätzen der Strafverfolgungsbehörden. Notfallmedizin up2date 2015; 10: 33-44
  • 9 Wurmb T, Justice P, Dietz S. et al. Qualitätsindikatoren für rettungsdienstliche Einsätze bei Terroranschlägen oder anderen Bedrohungslagen. Anaesthesist 2017; DOI: 10.1007/s00101-017-0298-0.
  • 10 Sollid SJ, Rimstad R, Rehn M. et al. Oslo government district bombing and Utøya island shooting July 22, 2011: The immediate prehospital emergency medical service response. SJTREM 2012; 20: 3
  • 11 Philippe JM, Brahic O, Carli P. et al. French Ministry of Healthʼs response to Paris attacks of 13 November 2015. Crit Care 2016; 20: 85
  • 12 Hossfeld B, Wurmb T, Josse F. et al. Massenanfall von Verletzten – Besonderheiten bei „bedrohlichen Lagen“. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2017; 52: 618-629
  • 13 Eastridge BJ, Butler F, Wade CE. et al. Field triage score (FTS) in battlefield casualties: validation of a novel triage technique in a combat environment. AJS 2010; 200: 724-727
  • 14 Kanz KG, Hornburger P, Kay MV. et al. The mSTaRT algorithm for mass casualty incident management. Notfall + Rettungsmed 2006; 9: 264-270
  • 15 Hirsch M, Carli P, Nizard R. et al. The medical response to multisite terrorist attacks in Paris. Lancet 2015; 386: 2535-2538
  • 16 Haug CJ. Report from Paris. NEJM 2015; 373: 2589-2593
  • 17 Rinnert KJ, Hall WL. Tactical emergency medical support. Emergency Medicine Clinics of North America 2002; 20: 929-952
  • 18 McSwain NE. PHTLS Prehospital Trauma Life Support: military Version 2007. St. Louis: Mosby Elsevier; 2011
  • 19 Butler FK. Tactical Combat Casualty Care: update 2009. J Trauma 2010; 69 Suppl 1: S10-S13
  • 20 TREMA Guidelines. Im Internet: http://tremaonline.info/wp-content/uploads/2016/09/TREMA-e.V.-Guidelines-fuer-TCCC-2.1.pdf Stand: 20.04.2017
  • 21 Hossfeld B, Josse F, Bernhard M. et al. Prähospitale Anwendung von Tourniquets. A & I 2016; 57: 698-704
  • 22 Josse F, Helm M, Kulla M, Hossfeld B. Präklinische Blutstillungsmaßnahmen: Hämostyptika. Notarzt 2015; 31: 153-157
  • 23 Adams HA, Flemming A, Krettek C. et al. Der Notfallplan des Krankenhauses. Medizinische Klinik. Intensiv Notfallmed 2015; 110: 37-48
  • 24 Wolf SJ, Bebarta VS, Bonnett CJ. et al. Blast injuries. Lancet 2009; 374: 405-415
  • 25 Frykberg ER. Medical management of disasters and mass casualties from terrorist bombings: how can we cope?. J Trauma 2002; 53: 201-212
  • 26 Franke A, Bieler D, Friemert B. et al. The first aid and hospital treatment of gunshot and blast injuries. Dtsch Ärztebl Int 2017; 114: 237-243