Klin Monbl Augenheilkd 2017; 234(09): 1181-1182
DOI: 10.1055/s-0043-115059
Statement
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stellungnahme des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands, der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft – erarbeitet von der gemeinsamen Kommission Recht. Augenärztliche Beurteilung im Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit[*]

Stand Januar 2017 Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, Berufsverband der Augenärzte Deutschlands
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Publication Date:
11 September 2017 (online)

Im Zusammenhang mit Anfragen von Patienten, Angehörigen oder der Zusendung von Formularen der Verwaltungsbehörde wird verschiedentlich das Ausstellen eines Attestes durch den Augenarzt zur Bescheinigung von Blindheit gefordert. Die Rechtskommission weist darauf hin, dass jede Bescheinigung durch den Augenarzt (Attest oder diverse Formularvordrucke) mit der Übernahme von (auch juristischer) Verantwortung verbunden ist. Das Vorliegen einer Funktionseinschränkung oder Blindheit muss durch den morphologischen Befund am Sehorgan oder eine pathologische Funktionsdiagnostik eindeutig erklärt sein. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. 08. 2015 (BSG B 9 BL1/14 R) bezüglich der Beurteilung von Blindheit, sei es in Bezug auf Blindengeld/Blindenhilfe oder des Merkzeichens Bl, bei dementen Antragstellern sowie Menschen im Wachkoma lässt erkennen, wie komplex es ist, den Erkenntnisstand der Medizin mit den verschiedenen gültigen Rechtsnormen abzustimmen. Unverändert gilt jedoch dabei der Grundsatz, dass eine Blindheit im Sinne der gesetzlichen Vorgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein muss, d. h. es hat eine Sehschärfeminderung auf 1/50 oder eine gleich zu achtende Störung des Sehvermögens vorzuliegen. Insofern darf der Augenarzt bei fehlender Kommunikationsmöglichkeit und damit auch fehlender Untersuchbarkeit unter gutachtlichen Bedingungen nicht automatisch von Blindheit ausgehen. Vielmehr ist immer ein die Blindheit erklärender anatomischer Untersuchungsbefund als wesentliche Voraussetzung zu fordern (siehe Rohrschneider [1]). Bei einem Wachkoma oder einer Demenz liegt nicht immer zwangsläufig eine Sehstörung vor. Um Missverständnisse sowie Enttäuschungen bei Betroffenen zu vermeiden und um eine sachgerechte Klärung von berechtigten Ansprüchen von Beginn an zu unterstützen, sollten Funktionseinschränkung oder Blindheit immer nur anhand einer gutachtlich korrekten Untersuchung von Sehschärfe und falls notwendig Gesichtsfeld erfolgen. Im Sozialrecht ist der betroffene Patient oder sein juristischer Vertreter antragsberechtigt und gleichzeitig auch nachweispflichtig dafür, ob die entsprechenden Voraussetzungen für die Anerkennung von Blindheit vorliegen [3], [4].

Außerdem ist im Schwerbehindertenrecht zu berücksichtigen, dass eine Gesundheitsstörung regelhaft im Vergleich zum altersentsprechenden Normalbefund zu beurteilen ist. Dies ist von besonderer Wichtigkeit im Säuglings- und Kindesalter. Hier ist in Abhängigkeit von der Prüfmethode der Sehfunktion eben nicht von der (normalen) Sehschärfe erwachsener Personen z. B. 1,0 gemäß „MdE-Tabelle der DOG“ auszugehen, da bspw. ein 3-jähriges Kind im Mittel eine Sehschärfe von 0,5 erreicht (Haase [2]). Dies ist bei der Einschätzung des GdS/GdB zu berücksichtigen, oder man weist den Gutachtenauftraggeber im Einzelfall schriftlich hierauf hin, damit die Verwaltungsbehörde zu einer adäquaten GdB-Festsetzung gelangen kann.

* Dieser Beitrag wird ebenfalls in der Zeitschrift Der Ophthalmologe, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2017, veröffentlicht.