Sprache · Stimme · Gehör 2017; 41(02): 78-83
DOI: 10.1055/s-0043-102516
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schweigen zwischen den Kulturen – Kulturelle Adaptation von Eltern selektiv mutistischer Kinder

Silence Between Cultures: Cultural Adaptation of Parents of Children with Selective Mutism
Anja Starke
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Publication Date:
07 June 2017 (online)

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Kinder mit Migrationshintergrund (MH) scheinen eine erhöhte Vulnerabilität für selektiven Mutismus (SM) zu haben. Als ein möglicher Einflussfaktor wird der Umgang der Eltern mit den kulturellen Lebenswelten diskutiert. Diese Studie geht den Fragen nach, ob es Unterschiede zwischen der so genannten kulturellen Adaptation von Eltern schweigender im Vergleich zu der sprechender Kinder gibt und ob sich Zusammenhänge zum Ausmaß des Schweigens zeigen. Das Ausmaß des Schweigens in familiären und öffentlichen Situationen sowie in der Kindertageseinrichtung (Kita) sowie die kulturelle Adaptation der Eltern wurden bei 48 Kindern mit MH (22 schweigend, 26 sprechend) untersucht. Bedeutsame Zusammenhänge zeigen sich zwischen der kulturellen Adaptation der Eltern und dem Schweigen der Kinder in der Kita. Die Ergebnisse deuten auf einen differenziellen Zusammenhang kultureller Faktoren und dem Sprechverhalten von Kindern hin.

Abstract

Immigrant children seem to be more vulnerable for selective mutism (SM). Cultural adaptation is discussed as one important factor in the development of SM. This study focused differences in the cultural adaptation of parents of children with and without SM. Additionally, the association between parental cultural adaptation and speaking behavior of children was examined. Speaking behavior in different social situations and parental cultural adaptation were assessed in 48 immigrant children (22 mute, 26 controls). Significant correlations were found between the cultural adaptation of parents and speaking behavior of children in daycare facilities. Results indicate differential associations between cultural factors and speaking behavior of the children.

Fazit

Insgesamt weist die Studie deutlich auf die Bedeutsamkeit kultureller Faktoren für den SM hin. Unterschiede zwischen Kindern mit SM und sprechenden Kindern zeigten sich zwar nur bedingt. Ein Zusammenhang zwischen der kulturellen Adaptation der Eltern und dem Schweigen der Kinder ist jedoch deutlich erkennbar. Ebenso stellen die Ergebnisse die Kontextabhängigkeit des Schweigens heraus. Sprechen in unterschiedlichen Situationen erfordert ganz unterschiedliche Fähigkeiten, die ebenfalls in der Intervention von Kindern mit SM berücksichtigt werden müssen. So mag der Abbau von Ängstlichkeit vor allem für fremde Situationen bedeutsam sein. Der Aufbau von sprachlichen und kulturspezifisch sozialen Fähigkeiten scheint jedoch gerade für die zunehmend vertrauter werdenden Kontexte in Bildungseinrichtungen relevant zu sein. Somit stellen auch für die Prävention des SM einerseits eine Sprachförderung, welche möglichst alltagsintegriert allen Kindern unabhängig eines festgestellten Sprachförderbedarfs zukommt, und andererseits ein kultursensibles Verhalten der Fachkräfte eine bedeutsame Rolle dar.