ergopraxis 2016; 9(05): 16-18
DOI: 10.1055/s-0042-105126
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 May 2016 (online)

Wunsch nach Suizidbeihilfe – Die Gesellschaft ist gefordert

Fehlende Perspektiven, Lebensmüdigkeit und die Angst vor Pflegebedürftigkeit – von diesen Motiven lassen sich Menschen am häufigsten leiten, wenn sie ihr Leben mit ärztlicher Beihilfe vorzeitig beenden. Zu diesem Ergebnis gelangten Forscher um den Internisten Dr. Florian Bruns vom Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin an der Charité Berlin.

Sie werteten 118 Fallschreibungen aus, die der Verein für Sterbehilfe publiziert hatte. Dabei analysierten sie die Diagnosen und Beweggründe von Menschen, die zwischen 2010 und 2013 die organisierte Suizidbeihilfe in Anspruch genommen hatten. Den Ergebnissen zufolge war die Mehrheit der Suizidanten weiblich (71,2%) und älter als 70 Jahre (67%). Nur etwa die Hälfte (54,6%) von ihnen litt unter einer schweren körperlichen Erkrankung, zu der metastasierende Neubildungen sowie schwere neurologische, kardiologische und pulmonale Krankheiten zählten. Bei den übrigen lagen altersassoziierte (23,1 %), psychische (14,5%) oder gar keine Erkrankungen vor (7,7%). Für die meisten spielte der Wunsch, von körperlichen Leiden erlöst zu werden, eine untergeordnete Rolle. Nur etwa jede achte Person (12,8%) begründete ihren Wunsch nach Selbsttötung hauptsächlich damit, unter nicht behandelbaren körperlichen Symptomen zu leiden. Als Hauptmotiv beklagten die Befragten am häufigsten (29,1 %) eine fehlende Lebensperspektive. Bei rund 24% war die Angst vor Pflegebedürftigkeit ausschlaggebend, gefolgt von einer allgemeinen Lebensmüdigkeit (20,5%) und psychischen Erkrankungen (13,7%).

Die Forscher weisen darauf hin, dass die ermittelten Diagnosen und Motive deutlich vielfältiger sind als in der öffentlichen Diskussion zur Sterbehilfe allgemein angenommen. Denn den meisten Befragten geht es nicht vorrangig darum, unerträgliches körperliches Leid zu beenden. Hinter ihren Motiven stecken vermutlich häufig unerfüllte Bedürfnisse, die unsere Gesellschaft herausfordern. Damit Menschen ihr Leben trotz Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit als lebenswert empfinden, brauchen sie die Zuwendung und Solidarität ihrer Mitmenschen sowie bedarfsgerechte Versorgungsangebote.

fk

Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: e32–e37