physioscience 2016; 12(04): 173-174
DOI: 10.1055/s-0035-1567142
Veranstaltungsberichte
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

IFOMPT-Kongress 2016 in Glasgow

P. Kuithan
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Dezember 2016 (online)

Der internationale Kongress der International Federation of Orthopaedic Manipulative Physical Therapists (IFOMPT) fand vom 4.–8. Juli in Glasgow unter dem Motto „Expanding Horizons“ statt. Dieses Thema spiegelte sich gut im Programm und der Auswahl der Hauptredner wider. Insgesamt 1321 Teilnehmer aus 59 Ländern – darunter auch 52 Deutsche – nahmen am Kongress teil.

Den Auftakt machten die Emeritus-Professorinnen Gwendolen Jull und Ann Moore und gaben einen eindrucksvollen Überblick zur Geschichte der IFOMPT und der Veränderung der Forschungsthemen im Laufe der Zeit. So kam es zu der Frage, ob Manuelle Therapie mittlerweile nicht besser muskuloskeletale Therapie genannt werden sollte, da sie so viel mehr als die klassischen Hands-on-Techniken umfasst.

Als 2. Hauptredner war Lorimer Moseley eingeladen, der eine eindrucksvolle Übersicht der aktuellen Studien zum Thema Schmerzphysiologie und Schmerzaufklärung bei Patienten sowie deren wichtige Implementierung in die Patientenversorgung lieferte.

Tim Watson, der Experte für physikalische Therapie, referierte über die Komplexität von Entzündungsmechanismen bezüglich Schmerz und Wundheilung. Auch wenn die Evidenz für physikalische Therapie nicht gerade überzeugend ist, wird die individuelle Anwendung innerhalb des biopsychosozialen Denkmodells vielleicht auch unterschätzt.

Neben einigen dieser Hauptveranstaltungen gab es viele verschiedene frei wählbare themenorientierte Vorträge und Workshops in verschiedenen Designs. Eines davon war die „Rapid 5“, in dem 5 – 10 Vorträge à 5 Minuten gehalten werden, gefolgt von 15 Minuten Zeit für individuelle Diskussionen mit den Poster-Ausstellern und abgeschlossen mit einer weiteren moderierten Podiumsdiskussion. Übergreifend war jedoch zu erkennen, dass einerseits qualitative Forschung und Mixed-Methods-Arbeiten zunehmend zur Geltung kamen. Anderseits spielten viele Aspekte bezüglich Patienten-Selbstmanagement, Kommunikation, Patientenaufklärung, Gesundheitsförderung, Therapietreue und Rückkehr zum Arbeitsplatz eine Rolle. Das biopsychosoziale Modell scheint mehr und mehr umgesetzt zu werden. Mögliche finanzielle und wirtschaftliche Einsparungen sowie die Wichtigkeit der Förderung eines gesunden und aktiven Lebensstils waren oft Thema.

Mary O‘Keefe konstatierte beispielsweise, dass auch Interaktion (mit dem Patienten) eine Intervention ist und stellte infrage, dass Gruppen- oder Einzeltherapie einen signifikanten Unterschied aufweisen. Zugleich wurde die Wichtigkeit einer ausreichenden Befundaufnahme mit einer ausführlichen Anamnese über die Sichtweise und Erwartungen des individuellen Patienten sowie eine gute physische Untersuchung mehrfach betont. Ein anderer Aspekt war die zunehmende Verwendung intelligenter Medien. Hier gab es zahlreiche Beispiele an Apps und dem sinnvollen Umgang von Big Data und Gesundheits-Apps als Information für Therapeuten und Patienten.

Einen interessanten, zugleich etwas ausgefallenen Beitrag präsentierte Dr. Sue Greenhalgh, die eine Patientin mit Cauda-equina-Syndrom und deren persönliche Erfahrungen mit dieser schwerwiegenden aber gut verlaufenden Pathologie auf dem Podium vorstellte.

Jeremy Lewis belegte in seinem Vortrag eindrucksvoll, dass für die meisten (nicht traumatischen) subakromialen Schulterprobleme sowie Sehnen-(An-)Risse Physiotherapie einer Operation in keiner Weise nachsteht. Physiotherapie im Sinne von Übungsprogrammen der Skapula und Rotatorenmanschette sind zudem nicht separat zu betrachten. Des Weiteren ist eine strukturelle Diagnose nicht möglich.

Nadine Foster beendete ihren Vortrag mit dem Appell für neue Forschungsdesigns und gut aufgebaute randomisierte kontrollierte Studien, auch um den Stellenwert von Manueller Therapie zu untersuchen.

Eine Podiumsdiskussion wurde unter dem Thema „Ist Manuelle Therapie eine zu hinterfragende Technik in der Behandlung von Patienten mit Rückenschmerzen?“ geführt. Wie sich der richtige Patient zum richtigen Zeitpunkt der richtigen Intervention zuordnen lässt, sollte die Fragestellung für die Zukunft sein. Annina Schmid kam in ihren Forschungen zu der Erkenntnis, dass auch periphere Nerven und dessen Engstellen bei chronischen und diffus ausstrahlenden Schmerzen eine Rolle spielen und diese auch in der Therapie nicht vergessen werden sollten. Kleine Fasern und unmyelierte Nervenfasern für thermische Empfindungen und Nozizeption, die bei Engpasssyndromen häufiger betroffen sind, sollten daher auch in der neurologischen Untersuchung getestet werden. Zudem sollten neurodynamische Untersuchungen in Zusammenhang mit einer ausführlichen neurologischen Untersuchung gebracht werden.

Brian Mulligan, der 1954 als Physiotherapeut examinierte, wurde für sein Lebenswerk mit dem Maitland Award ausgezeichnet. Mit seinem stolzen Alter von 84 Jahren lieferte er eine absolut enthusiastische und passionierte Performance auf der Bühne ab und zeigte mit dem Lateral Glide zur Behandlung der lateralen Epikondylopathie eine der bekanntesten und effektivsten Techniken.

Insgesamt war es eine sehr informative und interessante Woche, in der fast alle Themenbereiche abgedeckt werden konnten und die Teilnehmer kompakt auf den neusten Stand der Wissenschaft gebracht wurden. Zeitgleich entstanden viele Inspirationen für die Umsetzung in der Praxis. Neben den Vorträgen gab es ausreichend Zeit für Diskussionen, und es konnten über die eigene APP Fragen an das Podium gestellt werden. Die meisten Abstracts und weiterführende Informationen zu einzelnen Unterthemen sind verfügbar unter: www.ifomptconference.org.

Der nächste Kongress findet vom 6.-8. Oktober 2020 in Melbourne statt.