Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15(2): 41-42
DOI: 10.1055/s-0033-1362309
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Spiritualität in der Palliativversorgung ein Thema für die Forschung?

Piret Paal
,
Traugott Roser
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Publication Date:
14 March 2014 (online)

Das Weißbuch der European Association for Palliative Care zu Ausbildung in Palliative Care von 2013 schreibt fest, wozu Palliativfachkräfte zum Nutzen von Patienten und ihren Zugehörigen in der Lage sein sollten: über sich selbst zu reflektieren, um die Wichtigkeit der spirituellen und existentiellen Dimension im eigenen Leben zu bedenken; die spirituellen, existentiellen und religiösen Bedürfnisse der Patienten und ihrer Zugehörigen in die Betreuung einbeziehen; die Entscheidung von Patienten respektieren, wenn sie sich gegen eine Betreuung im Sinn von Spiritual Care entscheiden; Patienten und ihren Familien auf eine unterstützende und respektvolle Weise Möglichkeiten bieten, der spirituellen und / oder existentiellen Dimension ihres Lebens Ausdruck zu verleihen; Grenzen hinsichtlich kultureller Tabus, Werte und Entscheidungen achten.

Ähnlich klingt, was von der Marie Curie Cancer Care (MCCC) 2013 in einer Liste spiritueller und religiöser Pflegekompetenzen für spezialisierte Palliative Care zusammengefasst wurde: Auf oberster Ebene „sollte jeder in der Lage sein, die in jedem Menschen vorhandene spirituelle Dimension zu erkennen“, einschließlich der eigenen Person. MCCC fügt vorsichtig an, dass „bei einigen Personen die Spiritualität ein religiöses Element enthält“. Fachleute und Freiwillige sollten fähig sein „ihre eigenen persönlichen Grenzen in der spirituellen Begleitung zu erkennen“ und zu „wissen, wann erfahrenere Hilfe aufzusuchen ist“. Die ausführliche Kompetenzenliste unterstreicht „den Einsatz des aktiven Zuhörens, um spirituelle und religiöse Bedürfnisse auszuloten“ und die Fähigkeit, diese Bedürfnisse in einem fachübergreifendem Team auszuwerten.

Beide Aufforderungen erinnern uns daran, dass wir im Umgang mit eigenen spirituellen Themen sowie denen der anderen aufmerksam, behutsam und feinfühlig sein sollten. Wir wissen auch, dass zahlreiche Faktoren einen Einfluss darauf haben, wie wir Spiritual Care in unsere Begleitung schwerkranker Menschen integrieren – als Einzelne und als Teams: Zeit und Bildung (oder deren Mangel), Verständnis der eigenen Aufgaben (oder die beschränkte Reichweite in der eigenen beruflichen Rolle), Verständnis (oder Ablehnung) der eigenen Spiritualität und spirituellen Bedürfnisse sowie ein Arbeitsumfeld, das eine spirituelle Herangehensweise ermöglicht (oder zurückweist) – all das unterstützt oder verhindert die Integration von Spiritualität in unser Betreuungskonzept. Wir wissen, dass die Mehrheit der medizinischen Fachkräfte immer noch ihre Rolle als spiritueller Begleiter ablehnt. Uns ist bewusst, dass Personen, die versuchen, Spiritual Care einzuführen, auf Skepsis und sogar Feindseligkeit stoßen. Gleichzeitig entmystifizieren offene Diskussionen mit Betreuungsteams sowie Aus- und Weiterbildungsprogramme für spirituelle Begleitung das Verständnis für Spiritualität, erklären die Bedeutung von Spiritual Care und führen dazu, dass spirituelle Probleme erkannt und anerkannt werden, spirituelles Leiden bei Patienten dokumentiert und eine steigende Zahl von Patienten an Seelsorger überwiesen werden.

Noch ist es vor allem eine Aufgabe für die Forschung, die „spirituelle Wende“ im Gesundheitswesen einzuleiten. Mit Untersuchungen und Studien können wir die Auswirkungen der Ausbildung in spiritueller Begleitung und Selbstsorge und Spiritual Care Interventionen belegen. Wir können Vorteile für das Wohlbefinden der Patienten und der Betreuer vorweisen, die Verringerung von Burnout und berufsbezogenem Stress bei Teammitgliedern, eine allgemeine Verbesserung des Arbeitsumfelds und sogar geringere Behandlungskosten.

Bei der Durchführung unserer Forschungsarbeiten treten wir an Patienten und ihre Familien heran und hoffen, dass sie die Kraft und Bereitschaft aufbringen, Gespräche mit uns zu führen. Wir befragen und beobachten Teammitglieder im Bewusstsein ihrer täglichen Arbeitslast. Wir erhoffen und erwarten uns Aufgeschlossenheit von allen Beteiligten: Patienten, Familien, Professionellen, Ehrenamtlichen, Führungskräften und Entscheidungsträgern, und nicht zuletzt von den Personen und Organisationen, die Finanzen zur Verfügung stellen, damit wir unsere Arbeit machen können. Im Allgemeinen sind Menschen willens, an unseren Studien teilzunehmen, um „einen Unterschied zu machen“ – für sich selbst und für andere. Nichtsdestotrotz muss bei Forschungsarbeiten in der Palliativ- und Hospizbegleitung bei Fragen zu persönlichen spirituellen und existenziellen Bedürfnissen mit gleicher Gründlichkeit vorgegangen werden wie in allen anderen Bereichen der ärztlichen, pflegerischen und psychosozialen Betreuung und Forschung.

Palliativpatienten sind in hohem Maße verletzlich und bedürfen auch im Bereich Forschung der Achtsamkeit. Für Sterbende und ihre Angehörigen ist menschliche Bindung auch an Betreuer lebenswichtig. In einigen Situationen kann der Forscher als der „letzte Strohhalm“ erscheinen, als jemand neutrales, eine Person, mit der man sprechen kann, ohne die Furcht, die Ärztinnen und Ärzte oder die Pflegenden übermäßig zu belasten. Daher müssen wir bei unserer Forschungsarbeit Sorge tragen, dass nicht Menschen zurückbleiben, die noch mehr gebrochen oder entkräftet sind. Dies bedeutet ein sorgfältiges Vorgehen mit Rücksicht auf alle möglichen Grenzen, die unsere Arbeit beeinflussen könnten. Scham, Angst, Verbundenheit, Bedeutungslosigkeit und andere starke Emotionen treten in Diskussionen über Spiritualität auf. In solchen Momenten sollten sogar wir, die Forscher, uns erlauben, aus der Situation des Datensammelns herauszutreten und in die Situation des Menschseins hineinzutreten, ohne vorgefertigte Antworten zur Hand zu haben.