Zeitschrift für Phytotherapie 2013; 34(02): 51
DOI: 10.1055/s-0033-1347325
Editorial
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Individualisierte Phytotherapie - die Zukunft hat längst begonnen

Matthias F Melzig

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Publication Date:
16 May 2013 (online)

Eine von Fach- wie auch Publikumsmedien gegenwärtig intensiv diskutierte Thematik ist die individualisierte Pharmakotherapie. Unter Mithilfe der Pharmakogenomik wird es möglich sein, Patienten individueller als bisher zu behandeln. Auch neue molekulardiagnostische Verfahren sollen eine genaue, patientenindividuelle Aussage zu Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln ermöglichen. Diese Vorstellungen erscheinen, abgesehen von den noch nicht geklärten finanziellen Rahmenbedingungen, als realistische Perspektive für eine moderne, in die Zukunft gerichtete Arzneitherapie. Und welchen Platz haben da noch pflanzliche Arzneimittel bzw. Phytotherapeutika?

Ausgehend vom Ziel einer individualisierten Medizin, als eine auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittene Vorsorge, Diagnostik, Früherkennung und Therapie von Erkrankungen, ist die Phytotherapie bereits seit langer Zeit da angekommen, wo eine auf den statistisch signifikanten Mittelwertvergleich fixierte Betrachtungsweise beginnt, durch Subgruppenanalyse den einzelnen Patienten oder Patientengruppen neu zu entdecken. Bereits vor Jahrzehnten hatte Rudolf Fritz Weiß die Phytotherapie aus ihrer alten, der Empirie verhafteten Erkenntnisgewinnung, in eine moderne medizinische Wissenschaft mit kollektiv geführten klinischen Studien und experimentell- pharmakologischer Grundlage überführt. Trotzdem bestand er auf der Unverzichtbarkeit der Beobachtung des konkreten Menschen in seiner speziellen Umgebung und den individuellen Krankheitsursachen. Gerade die Besonderheit des Individuums, der als Patient zunehmend Wert auf seine Lebensqualität legt, erfordert eine individualisierte Therapie, die durch das breite Spektrum von Arzneidrogen und einer Vielzahl von galenischen Zubereitungsarten bzw. Rezepturen bestens aufgestellt ist. Die Erhaltung des Gesundheitszustandes oder die Heilung von Krankheiten erfordert dabei ein ganzheitliches Vorgehen, d.h. die Behandlung wird an die spezifischen Bedürfnisse des Patienten angepasst. Das ist keine neue Erkenntnis der »westlichen« Medizin, insbesondere die Traditionelle Chinesische Medizin ist in ihrem Selbstverständnis eine individualisierte Medizin, übrigens auch die Homöopathie. Vielleicht erklärt auch dies einen Teil der Beliebtheit und Erfolge dieser Therapierichtungen.

Ein Beispiel für individualisierte Phytotherapie bietet die Behandlung von Schmerzzuständen mit sehr individuellen Ursachen und Erwartungshaltungen des Patienten. In einem Beitrag für die Österreichische Gesellschaft für Phytotherapie aus dem letzten Jahr beschreibt dies Prof. Saller aus Zürich. Verschiedene Phytopharmaka vereinen in sich als Vielstoffgemische die Fähigkeit, sowohl analgetisch als auch antiphlogistisch zu wirken. Pflanzliche Arzneimittel besitzen zumeist ein breiteres Wirkungsspektrum als Einzelstoffe und damit auch häufig ein breiteres Anwendungsprofil. Je nach den individuellen Erfordernissen können genau die Arzneidrogen bzw. entsprechende Zubereitungen ausgewählt werden, die im konkreten Fall einen therapeutischen Erfolg erwarten lassen. In der Regel ist die Compliance der Patienten bei solch einer individualisierten Behandlung auch besonders gut. Das gilt nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und, wie ich aus vielen Gesprächen mit Veterinärmedizinern weiß, sogar für Tiere.

In einem Beitrag von Prof. Dr. Michael Habs, dem Kuratoriumsvorsitzenden des Komitees Forschung Naturmedizin e.V. (KFN) vom Dezember des letzten Jahres wird dazu sehr passend ausgeführt: »Die Individualisierung der Medizin, die auch von politischen Entscheidungsträgern inzwischen gewollt wird, verlangt nach einer Nutzenbewertung im Einzelfall. Die Frage lautet dann: ‚Was ist die beste individuelle Therapieoption?‘ und das führt von den bisher einzig anerkannten Durchschnittsbetrachtungen weg. Dieser Perspektivwandel geht uns alle an. Er ist nicht abstrakt, sondern wird bereits sehr konkret, denn es geht dabei um den Alltag der Patienten. Und der orientiert sich nicht an Guidelines zur klinischen Forschung, sondern an individuellen Wertvorstellungen, Erwartungen und Erfahrungen. Eine individualisierte Medizin kann nicht funktionieren, wenn das Individuum keine angemessene Anerkennung erfährt.«

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, dass dies für unser Verständnis von Phytotherapie bereits Normalität ist.