Interventionelle Radiologie Scan 2013; 01(03): 249-262
DOI: 10.1055/s-0033-1344880
Fortbildung
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Lokoregionäre Therapieverfahren bei Lebermetastasen neuroendokriner Karzinome

Thomas Hofmockel
,
Michael Laniado
,
Ralf-Thorsten Hoffmann
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Publication Date:
07 November 2013 (online)

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Einleitung

Die neuroendokrinen Tumoren sind eine heterogene Gruppe seltener, langsam wachsender, hormonproduzierender Tumoren aus Zellen des neuroendokrinen Systems. Sie können an vielen verschiedenen Lokalisationen vorkommen, befinden sich aber überwiegend im Gastrointestinaltrakt und im bronchopulmonalen System. Etwa 0,5 % aller Malignome sind neuroendokrine Tumoren; allerdings steigt ihre Inzidenz in den letzten Jahren. Ob diese Zunahme real ist oder „nur“ der verbesserten Diagnostik geschuldet ist, bleibt unklar [1].

Die WHO (World Health Organisation) teilt die neuroendokrinen Tumoren in benigne, niedrigmaligne und hochmaligne Subtypen ein. Eine weitere Möglichkeit der Klassifizierung ist, die neuroendokrinen Tumoren in Karzinoide und Nichtkarzinoide, wie z. B. Inselzelltumoren, zu unterteilen. Karzinoide haben eine jährliche Inzidenz von 2 – 3/100 000. Das durchschnittliche Patientenalter wird mit 60 Jahren angegeben. Am häufigsten kommen Karzinoide im Gastrointestinaltrakt vor (ca. 68 %). In dieser Region verteilen sie sich zu ca. 42 % im Dünndarm, zu 27 % im Rektum und zu 9 % im Magen. Außerhalb des Gastrointestinaltrakts kommen Karzinoide insbesondere bronchopulmonal vor (ca. 25 %). Die Nichtkarzinoide werden im Dünndarm (29 %), im Magen (21 %), im Kolon (20 %) und in der Appendix vermiformis gefunden (18 %) [2] [3].

Das Überleben des Betroffenen ist abhängig von der Größe, der Anzahl und der Art des Primärtumors. So haben Pankreas- und Leberkarzinoide mit 18,4 und 37,5 % die schlechteste 5-Jahres-Überlebensrate. Rektale und bronchopulmonale Karzinoide sowie Karzinoide der Appendix weisen mit 88,3, 73,5 und 71,0 % die beste 5-Jahres-Überlebensrate auf. Dabei ist von zentraler Bedeutung, ob die Patienten bei Diagnosestellung Lebermetastasen haben, da dann die 5-Jahres-Überlebensrate signifikant auf lediglich 20 – 40 % sinkt, im Vergleich zu der von Patienten ohne Lebermetastasierung, die eine 5-Jahres-Überlebensrate von bis zu 75 – 99 % haben [3] [4].

Neuroendokrine Tumoren sind häufig lange Zeit – auch bei einem lokalen Progress – asymptomatisch. Sie werden oft erst dann symptomatisch, wenn sich Lebermetastasen gebildet haben, da dann Symptome auftreten, die von der Hormonüberproduktion des Tumors ausgelöst werden. Die Häufigkeit der Lebermetastasen wird im Krankheitsverlauf mit 40 – 90 % angegeben. Von diesen Patienten zeigen dann etwa 25 – 50 % hormonelle Symptome. Die Symptome sind sehr unterschiedlich und richten sich nach der zugrunde liegenden Histologie des Primärtumors bzw. der Metastasen und den damit freigesetzten Mediatoren und Hormonen (z. B. Serotonin, Histamin, Bradykinin, Gastrin, Insulin). Zu den Symptomen gehören z. B. Flush-Symptomatik, Diarrhöen, kolikartige Bauchschmerzen, Bronchokonstriktionen und Hypoglykämien. Die Ausprägung der Symptomatik korreliert mit der Ausdehnung der Metastasierung und kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen [5] [6].

Neuroendokrine Tumoren werden häufig erst dann symptomatisch, wenn ein fortgeschrittenes Erkrankungsstadium mit Lebermetastasierung vorliegt. Durch die hormonelle Symptomatik kann die Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigt werden.

Das Ziel der Behandlung von Patienten mit hepatisch metastasierten neuroendokrinen Tumoren ist daher nicht nur eine Verlängerung des Überlebens, sondern vor allem die Verbesserung der Lebensqualität durch Reduktion der hormoninduzierten Symptome. Die Zytoreduktion nimmt hierbei einen hohen Stellenwert ein. Im Wesentlichen konzentriert sich die lokale Therapie auf folgende Stützpfeiler [5]:

  • direkte Behandlung der Lebermetastasen von außen durch Resektion oder Ablation

  • intraarterielle Therapie durch Embolisation, Chemoembolisation oder Radioembolisation

Die Chirurgie bietet die wirksamste Strategie zur Behandlung der Lebermetastasen bei Patienten mit neuroendokrinen Tumoren. Sie kann die symptomfreie 5-Jahres-Überlebensrate im selektierten Patientengut auf durchschnittlich 70 % steigern; jedoch ist sie nur bei 15 – 50 % der Patienten möglich [7]. Ein weiteres Problem ist das Fehlen einer wirkungsvollen systemischen Therapie bei fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumoren, trotz einiger Erfolge beim Einsatz von Somatostatinanaloga, Sunitinib und Everolimus in den letzten Jahren [8] [9].

Die Zytoreduktion und die damit verbundene Reduktion der hormonellen Symptomatik haben einen hohen Stellenwert in der Behandlung von Lebermetastasen eines neuroendokrinen Tumors.

Die intraarteriellen Therapieformen stellen in den letzten Jahren eine wichtige Alternative zur chirurgischen und ablativen Therapie bei Patienten mit Lebermetastasen bei neuroendokrinen Tumoren dar. Das gilt bei hoher Tumorlast, bei chirurgisch nicht therapierbaren Metastasenlokalisationen und bei Patienten mit wiederkehrenden Lebermetastasen nach Therapie. Hier stoßen die chirurgischen und ablativen Verfahren häufig an ihre Grenzen. Ein großer Anteil von Patienten hat bei Diagnose schon bilaterale Lebermetastasen [5]. Eine vollständige Resektion von Metastasen bei neuroendokrinen Tumoren ist daher deutlich seltener möglich als z. B. bei Lebermetastasen aufgrund kolorektaler Karzinome [10]. Ein großes Problem stellt zudem das Wiederauftreten von Metastasen nach chirurgischer und ablativer Therapie bei neuroendokrinen Tumoren dar, deren Häufigkeit sich auf über 90 % beläuft und die überwiegend intrahepatisch vorkommen [5]. Wahrscheinlich ist das auf die Grenzen der Bildgebung in der Detektion kleinster Metastasen zurückzuführen [11]. Die intraarteriellen Therapieformen ermöglichen eine signifikante Tumorreduktion und aufgrund der daraus resultierenden Zytoreduktion eine Verbesserung der Lebensqualität durch Verminderung der hormoninduzierten Symptome. Möglicherweise ist sogar die intraarterielle Therapie eine Option für die primäre Therapie von Lebermetastasen bei neuroendokrinen Tumoren, zumindest bei ausgedehnten Befunden.