Sprache · Stimme · Gehör 2012; 36(02): 94
DOI: 10.1055/s-0032-1322333
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Absehen, Ablesen oder Lippenlesen?

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Juli 2012 (online)

Absehen, Ablesen oder Lippenlesen? Sowohl in der Fachliteratur als auch in der Umgangssprache existieren genannte Begriffe parallel nebeneinander – weitere sind Mundablesen, Sprechlesen und Sprechsehen. Die Vielfalt der Begriffe trägt nicht unbedingt zur fachlichen Auseinandersetzung bei, wenn auch davon auszugehen ist, dass dem Fachmann klar ist, was gemeint ist. Bei Personen, die zunächst als Laien mit dem Thema in Kontakt kommen, als z.B. im späteren Lebensalter von einer Hörschädigung betroffene Menschen, führt es eher zur Verunsicherung.

Die Vielfalt der Begriffe hat mehrere Ursachen. Eine liegt beispielsweise in historischen (Fehl-)Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Absehens. So ging Graser in seiner Schrift "Der durch Gesicht und Tonsprache der Menschheit wiedergegebene Taubstumme" von 1829 von einem Mundalphabet aus und überschätzte damit die Möglichkeiten des Absehens bei weitem. Eine weitere Ursache liegt im unkritischen Übertragen des im englischsprachigen Raum benutzten Terminus "lip reading" ins Deutsche. Insbesondere in der deutschsprachigen medizinischen Fachliteratur hat sich in Folge dessen das Wort "Lippenlesen" verankert, ohne sich zuvor tatsächlich mit dem Absehvorgang näher auseinanderzusetzen.