Klin Monbl Augenheilkd 2012; 229(6): 635
DOI: 10.1055/s-0031-1299411
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Halbgötterdämmerung

Twilight of The Demi-Gods
G. K. Lang
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Publication Date:
29 June 2012 (online)

In einem durchaus beachtenswerten Editorial mit dem Titel „Warum keiner mehr Assistenzarzt werden will“, erschienen in der Januarausgabe des Klinikarztes (Medizin im Krankenhaus), beleuchtet Prof. Dr. med. Matthias Leschke, Esslingen, die Situation der Assistenzärzte.

Er prangert die Entwicklung an, wonach bis zu 2/3 der Arbeitszeit eines Assistenzarztes für Dokumentation und Arbeit am PC und weniger als 1/3 für Patientenkontakte und Versorgung bleiben.

Die Forderung des Autors ist, dass dies wieder rückgängig gemacht werden müsse und die ärztliche Tätigkeit wieder die Hauptaufgabe der Assistenzärzte sein sollte.

Nur so könnten junge Menschen langfristig für die Medizin begeistert werden.

Recht hat er, hier eine Lanze für die Assistenzärzte/Innen zu brechen. Aber mehr noch, die Assistenzärzte/Innen von heute sind die Oberärzte/Innen von morgen und die Chefärzte/Innen und Ordinarien von übermorgen.

Hier möchte ich nochmals einen Gedanken des o. g. Editorials aufnehmen, wo zu lesen ist: „Die klinische Assistentenzeit war nie ein Zuckerschlecken. Früher regierten die Chefs eisern und der Nachwuchs tat gut daran, dem Chef gefällig zu sein, egal wie lang sich der Dienst hinzog. Doch irgendwann hatte man die Ochsentour geschafft und war zum Oberarzt bestellt mit Aussicht auf eine eigene Chefposition oder die lukrative Praxis. Doch heute kämpfen niedergelassene Ärzte mit den Kostenträgern darum, wie sie für eine 40 €-Pauschale ihre Kassenpatienten ein Quartal lang betreuen sollen und Klinikchefs dürfen von der einstmals obligatorischen Villa nur noch träumen“.

Auch hier hat der Kollege recht!

Der Ophthalmologe und Verleger Dr. Hans Biermann hat im Bericht zur Lage eines Faches bereits 2008 wie folgt formuliert: „Dass der Augenarzt in der Einzelpraxis selten wird, spiegelt sich in dieser Auflistung ebenso wenig wider wie der allmähliche, aber offenbar unaufhaltsame Abstieg des Chefarztes, der früher auch in der Augenheilkunde oft deshalb eine imposante Figur abgab, weil es ihm wirtschaftlich so gut ging. Heute sind Chefärzte, darin den Ordinarien nicht unähnlich, zu besseren Abteilungsleitern in Klinikhierarchien abgestiegen, die von Managern und Konzern-Controllern beherrscht werden. Im Zuge eines nicht abgedeckten Bedarfs an qualifizierten Führungskräften wird sich auch diese Fehlentwicklung wieder ändern – aber das wird wahrscheinlich länger dauern.“

Von einer Änderung ist derzeit noch nichts in Sicht!

Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich die Klinik- und Hochschullandschaft massiv verändert. Nicht jeder Oberarzt oder vielleicht sogar Leitender Oberarzt, der eine im Ärztetarif gut dotierte Vergütung hat, mit zusätzlicher Möglichkeit der Überstunden- und Nachtdienst-Vergütung sowie Poolbeteiligung, strebt überhaupt noch eine Chefarztstelle oder ein Ordinariat an. Dort würde er womöglich zunächst zeitlich befristet werden und nur geringfügig mehr verdienen, jedoch für den Preis einer hohen Verantwortung und dem Druck seines Verwaltungsdirektors nach Kosteneinsparung und Gewinnmaximierung uneingeschränkt ausgesetzt sein.

Die Position eines früheren Ordinarius, die vielen jungen Oberärzten als beruflicher Ansporn diente, vom Ministerium berufen, ausgestattet mit dem Professorenprivileg und dem Liquidationsrecht, ist längst ein Auslaufmodell. Die Berufungszusagen und Liquidationsrechterteilungen sind modernen Chefarztverträgen gewichen, bei denen ein Teil des Gehalts an den wirtschaftlichen Erfolg der Klinik geknüpft ist.

Diese jungen Ordinarien und Chefärzte sind nicht mehr frei in ihren medizinischen Entscheidungen, weil hier von findigen Verwaltungsdirektoren wirtschaftliche Interessen des Klinikums und das verständliche pekuniäre Streben eines Klinikleiters mit klinischen Entscheidungen verknüpft worden sind.

Der Halbgott in Weiß – sollte es ihn je gegeben haben – ist heute vielleicht nur noch virtuell in den Köpfen der Patienten existent, indem sie einen Klinikleiter als behandelnden Arzt vor sich haben, dem sie voll und ganz Vertrauen schenken können, und der mit seinen Mitarbeitern auch außerhalb normaler Arbeitszeiten für seine Patienten da ist.

Für die Verwaltungen von Universitätskliniken, städtischen Kliniken und Sanitätsverbünden ist der Klinikleiter längst zu einem Leitenden Angestellten der Verwaltung verkommen, dessen Hauptaufgabe es ist, den 24-Stunden-Motivator für seine Mitarbeiter und sich selbst zur Selbstaufopferung zu geben! Es ist wirklich an der Zeit, dass die Dinge sich wieder ändern!

Prof. Dr. med. Gerhard K. Lang, Ulm

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