physioscience 2012; 8(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0031-1299242
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patient Research Partner – der Einbezug von Betroffenen in der Forschung

K. Niedermann
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Publication Date:
27 February 2012 (online)

Patienten gelten als der kommende Machtfaktor im Gesundheitswesen. Dank Internet gut informiert und selbstbewusst, wollen sie als Kunden wahrgenommen und an der Behandlungsentscheidung und -gestaltung beteiligt werden. Die Autorität der Gesundheitsfachpersonen wird kleiner, im guten Fall entsteht daraus eine Grundhaltung, Betroffene als Partner wahrzunehmen und aktiv in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Deutlich wird das auch in neuer Terminologie: Man spricht nicht mehr von Compliance (die Behandlungsanweisungen befolgen), sondern von Adhärenz (die von Gesundheitsfachpersonen und Patienten gemeinsam festgelegten Behandlungsziele und -prozesse einhalten) und zunehmend auch von Konkordanz (Übereinstimmung in den Behandlungszielen und -prozessen, was auch Kompromisse oder das Akzeptieren von Uneinigkeit beinhalten kann [4].

In einigen Fachdisziplinen, beispielsweise der Rheumatologie, geht man noch einen Schritt weiter. Unter dem Patronat der Rheumaligen werden Patienten mit rheumatischen Krankheiten geschult, die dann als Partner in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten und anderen Health Professionals eingesetzt werden [2]. In diesem Konzept sind die Betroffenen keine „Fälle“, die vorgestellt und diskutiert werden, sondern sie vermitteln aktiv die Patientenperspektive. Explizit wird dabei ihre diesbezügliche Expertenrolle und direkte Erfahrung eines Lebens mit einer chronischen Krankheit anerkannt und genutzt.

Ein folgerichtiger Schritt ist nun, Patienten als Patient Research Partner auch in Forschungsprojekten als Teammitglieder und nicht nur als Datenlieferanten einzubeziehen. Was hierzulande noch als neue Idee und zum Teil skeptisch betrachtet wird, ist in den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und Großbritannien bereits etabliert. Patient (Research) Partner sind in der Rheumatologie, im Aids-Bereich, in der Onkologie und der Psychiatrie aktiv.

Was sind ihre Aufgaben? Patient Research Partner können in vielen Phasen einer Studie wirkungsvoll tätig sein: im Planungsprozess machen sie z. B. Vorschläge zu zusätzlichen Endpunkten oder den Zeitintervallen zwischen den Messungen. In der Vorbereitung gestalten sie Patienteninformationen und Abläufe benutzerfreundlich. Bei der Studiendurchführung unterstützen sie die Patientenrekrutierung, da sie über weitere bzw. andere Kontakte verfügen. Später können sie helfen, Daten zu interpretieren, z. B. bei der Transkription von Gesprächsprotokollen, oder die Bedeutung von quantitativen Ergebnissen aus ihrer Sicht erklären. In der Schlussphase schließlich verbreiten sie die Resultate in ihren Netzwerken und Communities.

Im Forschungsteam des Nationalen Kompetenzzentrums für Rheumatologische Rehabilitation (NKRR) in Oslo wurde 2007 als Pilotversuch ein Patienten-Panel gestartet, deren Mitglieder in neue und patientenorientierte Forschungsprojekte einbezogen werden. Das Panel steht unter der Leitung einer Patient Research Partnerin (eine von rheumatoider Arthritis Betroffene) und einer Forscherin (eine promovierte Ergotherapeutin). Beim Kongress der European League Against Rheumatism (EULAR) 2011 wurde die Evaluation des Pilotversuchs präsentiert [1].

Innerhalb von 4 Jahren arbeiteten 11 Patient Research Partner jeweils alleine oder zu zweit in 26 Projekten mit: in 5 Wirksamkeitsstudien, 9 Projekten zur Entwicklung von Informationsmaterial für Patienten und/oder Patient Education Programme, 4 Projekten zur Entwicklung von Informationsmaterial für Gesundheitsfachleute und/oder deren Schulung, 5 Fragebogenentwicklungen oder -übersetzungen und 3 anderen, nicht spezifizierten Projekten. Bei 5 Projekten waren die Patient Research Partner während des ganzen Projekts involviert, bei den anderen unterstützten sie einzelne Projektphasen oder Arbeitsschritte. Ihre Aufgaben erfüllten sie in Projekt- und Arbeitssitzungen und per E-mail. Einige Patient Research Partner präsentierten auch die Studienergebnisse auf Kongressen oder dienten als Modell bei DVD-Aufnahmen zu Schulungszwecken. Für ihre Tätigkeit erhielten sie eine Entschädigung und Reisespesen. Abhängig vom Projekt beliefen sich die dadurch entstandenen Kosten auf 39 – 276 €, im Durchschnitt 112 €.

Aufgrund der positiven Erfahrungen aller Beteiligten und der von den Gesundheitsfachleuten und Forschenden wahrgenommenen verbesserten Qualität von klinischer Tätigkeit und Forschung wird das Patienten-Panel in Oslo zurzeit als fester Bestandteil der Forschungsabteilung des NKRR etabliert.

Selbstverständlich brauchen die Patient Research Partner Schulung und kontinuierliche Erklärungen zur Forschungsmethodologie, die Finanzierung ihres Einsatzes muss geregelt sein und Sitzungen sollten in geeigneten Räumlichkeiten und zu passenden Zeitpunkten stattfinden; z. B. ist ein Treffen um 8 Uhr morgens für viele Betroffene schwierig. Die Herausforderungen liegen allerdings nicht primär auf der finanziellen oder organisatorischen, sondern auf der ideell-psychologischen Ebene. Der Einbezug von Betroffenen in Forschungsprojekte fordert eine positive Grundhaltung seitens der Studienverantwortlichen und der beteiligten Forschenden. Sie müssen die Mitarbeit ermöglichen, für alle nötige Unterstützung sorgen und die Meinungen und Beiträge der Patient Research Partner annehmen und umsetzen wollen, sonst bleibt es eine Alibiübung. Beide Seiten müssen neue Rollen leben, Patienten werden zu gleichwertigen Partnern, klinisch und wissenschaftlich Tätige zu ihren Kollegen. Oft wird von Gesundheitsfachpersonen und Forschenden die Befürchtung geäußert, die Patienten könnten dominant auftreten und den Forschenden ihre Ideen aufdrängen wollen. Die Erfahrungen mit Patient Research Partnern zeigen: Sie müssen eher darin bestärkt werden, dass gerade ihr anderes Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen mit der Erkrankung erwünscht und ihre Beiträge wertvoll sind.

In der Wirksamkeitsstudie zu Gelenkschutzmethoden arbeitete ebenfalls ein Patient Research Partner mit [3]. Die Rheumaliga Schweiz vermittelte eine Patientin mit rheumatoider Arthritis, die bereits als Patient Partner geschult und im Einsatz war. Nachdem sie sich mit dem entstehenden Studienprotokoll vertraut gemacht hatte, überprüfte und bearbeitete sie Patientendokumente (z. B. die Patienteninformation und das Begleitschreiben) und gestaltete ein auf das Zielpublikum zugeschnittenes Werbeinserat mit. Weiter nahm sie als Modell an der Schulung der Therapeuten teil. Dabei wies sie die Therapeuten und Studienverantwortlichen auf für Patienten wichtige Elemente hin. Bei geeigneten Finanzierungsanträgen war sie als Mitgesuchstellerin involviert, was sich als erfolgreiche Strategie herausstellte, und während der Studiendurchführung bzw. Patientenrekrutierung warb sie bei von rheumatoider Arthritis Betroffenen und Rheumatologen aktiv für die Studie.

Eine weitere Möglichkeit, die stärker genutzt werden sollte, ist es, mit Patientenorganisationen zusammenzuarbeiten. Diese sind an patientenrelevanter Forschung interessiert und verfügen über ein großes Netzwerk sowohl zu den Betroffenen als auch zu den Fachpersonen, die oft Meinungsführer im entsprechenden Fachgebiet sind. Patientenorganisationen sind heutzutage finanziell oft nicht auf Rosen gebettet, aber sie haben gegebenenfalls Möglichkeiten, sich an einer Studie mit Arbeitskraft zu beteiligen, z. B. für administrative oder organisatorische Aufgaben oder die Patientenrekrutierung tatkräftig zu unterstützen.

Patienten haben oft eine langjährige Erfahrung, mit ihrer chronischen Krankheit und der damit verbundenen Belastung zu leben und von außerhalb des medizinisch-wissenschaftlichen Feldes stammend, können sie „blinde Flecken“ aufdecken. Diese Ressourcen sollten zum Vorteil des Forschungsprojektes genutzt werden. Patient Research Partner gewinnen durch ihre aktive Mitarbeit Selbstvertrauen, Selbstbestimmung und Zufriedenheit. Forschende können ihre Vorstellungen und Annahmen überdenken und mehr Verständnis für die Krankheit und den alltäglichen Umgang damit entwickeln.

In diesem Sinn wünsche ich vielen Forschenden die Bereitschaft, den Mut und die Freude, Patient Research Partner in ihre Projekte einzubeziehen.

 
  • Literatur

  • 1 Aanerud GJ, Reinsberg SL, Kjeken I. Experience from four Years of Involving Patient Research Partners in Developing Clinical Practice and Research. Ann Rheum Dis 2011; 70 (Suppl. 03) 787
  • 2 Michel BA, Tschumi U, Beglinger C et al. Chronische muskuloskelettale Schmerzen in der Schweiz: Defizite in der Betreuungsqualität und Maßnahmen für die Praxis. Schweizerische Ärztezeitung 2009; 90 (39) 1518-1520
  • 3 Niedermann K, de Bie R, Kubli R et al. Effectiveness of Individualized Ressource-oriented Joint Protection Education in People with Rheumatoid Arthritis. A Randomized Controlled Trial. Patient Educ Couns 2011; 82: 42-48
  • 4 Treharne GJ, Lyons AC, Hale ED et al. “Compliance” is futile but is “concordance” between rheumatology patients and health professionals attainable?. Rheumatology 2006; 45: 1-5