Klin Monbl Augenheilkd 2011; 228(9): 753
DOI: 10.1055/s-0031-1281720
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Myopie

MyopiaH. Helbig1 , A. Joussen1
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Publication Date:
12 September 2011 (online)

Das aktuelle Themenheft „Netzhaut und Glaskörper” widmet sich der Kurzsichtigkeit. Dieses Thema beschäftigt viele Subspezialitäten in der Ophthalmologie. Natürlich die refraktiven Chirurgen, Glaukomologen und Grundlagenforscher. Die wesentlichen, visusbedrohenden Probleme der Kurzsichtigkeit jedoch betreffen die Retinologie.

Die Myopie wird mehr und mehr eine Volkskrankheit. Epidemiologische Untersuchungen beschreiben übereinstimmend eine drastische Zunahme der Häufigkeit der Kurzsichtigkeit. Diese geht einher mit einer „Urbanisierung” des Lebensstils. Die Pathophysiologie der Entstehung und Beeinflussung der Entwicklung der Kurzsichtigkeit ist seit Längerem ein umstrittenes Thema. Die Diskussion um die Frage, ob Gene verantwortlich sind, Naharbeit die Kurzsichtigkeit verstärkt, die Korrektur des Sehfehlers mit Brillengläsern möglicherweise ebenso, hatte zeitweise schon fast einen ideologischen Charakter. Die Übersichtsarbeit von Schaeffel [1] stellt den aktuellen Wissensstand dar. Er unterscheidet dabei zum einen die durch Seherfahrung gesteuerte Emmetropisierung und deren Beeinflussung. Davon abzugrenzen ist die pathologische Myopie, die nicht durch den Emmetropisierungsprozess kontrolliert wird. Während im Tierexperiment das Augenlängenwachstum durch verschiedene Manipulationen recht gut vorhersagbar beeinflusst werden kann, ist die klinische Situation am Patienten komplexer. Größer als die Effekte optischer oder pharmakologischer Manipulationen scheint jedoch der Einfluss des Lebensstils. Eine enge Korrelation fand sich bei Kindern zwischen der Dauer des Aufenthalts im Freien und bei hellem Licht mit einer geringeren Myopieentwicklung. Allerdings sind es gerade diese „einfachen” Maßnahmen, die in der Praxis doch schwer umzusetzen sind. Auch das metabolische Syndrom wäre durch eine Änderung des Lebensstils oft leicht zu beseitigen. Hier bedarf es einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit der Augenärzte. Alle bisherigen Versuche bei pathologischer Myopie, chirurgisch, durch Kollagen-Quervernetzungen oder andere Maßnahmen, das Augenwachstum aufzuhalten, sind bisher nicht über das experimentelle Stadium hinausgekommen.

Chorioidale Neovaskularisationen bei hoher Myopie gehören zu den häufigen Komplikationen, die die Lesefähigkeit bedrohen. Voykov und Ziemssen [2] beschreiben die Besonderheiten dieser myopen CNVs, die sich in einigen Aspekten in Klinik und Verlauf von der CNV bei alterskorrelierter Makuladegeneration (AMD) unterscheiden. Die Beurteilung der Aktivität einer myopen CNV ist dabei wesentlich schwieriger als bei der AMD und erfordert zusätzlich zum OCT auch wiederholte Angiografien. Therapeutisch sind die anti-VEGF-Medikamente der Photodynamischen Therapie überlegen und derzeit als Therapie erster Wahl anzusehen, wenn auch Dosierung und Injektionsintervalle nach wie vor nicht abschließend geklärt sind.

Müller und Joussen [3] schließlich beschreiben ein relativ neues Krankheitsbild: die traktive myope Makulopathie. Mit der besseren Bildgebung durch das OCT lassen sich ganz neue Pathologien darstellen: epiretinale Membranen, vermutlich Anteile des Glaskörperkortex, zystische, schisisartige Veränderungen sowohl der inneren als auch der äußeren Netzhautschichten, Schichtlöcher und durchgreifende Löcher mit und ohne Netzhautablösung. Wir fangen erst an, zu lernen, wie diese Veränderungen sich im Spontanverlauf entwickeln und ineinander übergehen, und wie sie therapeutisch zu beeinflussen sind. Hier ist an erster Stelle die Vitrektomie mit kompletter Entfernung aller traktiven Membranen zu erwähnen. Aber auch die Buckelchirurgie des Staphyloms erlebt eine Renaissance, da es leider oft nicht möglich ist, eine verkürzte Netzhaut der Kurvatur des Staphyloms folgend wieder komplett anzulegen, insbesondere da auf der häufig Pigmentepithel-freien blanken Sklera keine Adhäsion der Lochränder mittels Laserkoagulation erreicht werden kann. Müller und Joussen beschreiben dieses Problem realitätsnah, während retrospektive Fall-Serien in der Literatur oft positive Resultate berichten, die die klinische Wirklichkeit dieses komplexen und unbefriedigenden Krankheitsbilds nicht wiedergeben.

Kurzsichtigkeit ist nicht nur ein refraktives Problem. Kurzsichtigkeit gehört in den Industrieländern zu den häufigen Erblindungsursachen. Verschiedene Komplikationen haben wir gelernt, besser zu verstehen und zu behandeln. Die Entwicklung des Augenwachstums bei der Myopie zu verstehen und zu beeinflussen, bleibt die eigentliche Aufgabe bei dieser Volkskrankheit.

Literatur

  • 1 Schaeffel F. Myopie Update 2011.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2011;  228 754-761
  • 2 Voykov B, Ziemssen F. Myope CNV.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2011;  228 762-770
  • 3 Müller B, Joussen A M. Traktive myope Makulopathie – vitreoretinales Traktionssyndrom bei hoher Myopie und hinterem Staphylom.  Klin Monatsbl Augenheilkd. 2011;  228 771-779

Prof. Dr. Horst Helbig

Augenklinik, Universitätsklinikum Regensburg

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93042 Regensburg

Phone:  ++ 49/9 41/9 44 92 00

Email: helbig@eye-regensburg.de

Prof. Dr. A. M. Joussen

Augenklinik der Charité, Universitätsklinik Berlin, Virchowklinikum (CVK)

Augustenburger Platz

13353 Berlin

Email: joussen@googlemail.com

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