Aktuelle Neurologie 2011; 38 - P47
DOI: 10.1055/s-0031-1276552

Zur Differenzialdiagnose des dystonen Blepharospasmus – es gibt keine „inhibitorische Blepharospasmusvariante“

G. Reichel 1, A. Stenner 1
  • 1Zwickau

Fragestellung: Erkrankungen mit der Unfähigkeit zur Lidöffnung sind Folge ophthalmologischer (z.B. „trockenes Auge“) oder neurologischer Störungen. Neben der paralytischen Ptose (Levator palpebrae- oder Sympathikuslähmung) ist als Ursache vor allem der dystone Blepharospasmus zu bedenken.

Methoden: Aus den Daten einer klinisch-elektromyografischen (M. levator palpebrae superioris, pars palpebralis et orbitalis m. orbicularis oculi) Studie an 81 Patienten mit Lidöffnungsstörungen (Reichel, Stenner, Hermann 2009) analysierten wir nun die Relevanz eine exakten Einteilung für die Botulinumtoxin(BTX)-Therapie.

Ergebnisse: Es stellten sich folgende therapeutische Entscheidungssituationen dar:

  • 1. Dystoner Blepharospasmus allein oder mit Einbeziehung des orbitalen Anteils des M. orbicularis oculi: Behandlung nur an den orbitalen Injektionspunkten.

  • 2. Palpebrale Variante des dystonen Blepharospasmus:

Behandlung nur am unteren Oberlidrand. Wird auch in die orbitale Injektionspunkte BTX gegeben, verschlechtert sich das Krankheitsbild.

  • 3. Kombination aus 1. und 2. erfordert auch Kombination der genannten Injektionsstellen.

  • 4. Gestörte antagonistische Inhibition zeigt sich als synchrone Elektromyogramm-Aktivität in den Mm. orbicularis oculi et levator palpebrae superioris. Es handelt sich nicht um eine fokale Dystonie. Durch Behandlung der orbitalen Injektionspunkte des M. orbicularis oculi kann das Krankheitsbild lediglich gemildert werden.

  • 5. Lidöffnungsapraxie ist erkennbar am Fehlen jeglicher Aktivität im M. levator palpebrae superioris bei normaler Aktivität im M. orbicularis oculi. Dabei ist das Lid passiv manuell leicht zu öffnen und bleibt bis zur nächsten willkürlichen oder unwillkürlichen Kontraktion des M. orbicularis oculi offen („Zwickauer Augenzeichen“). Eine BTX-Behandlung ist kontraindiziert.

Schlussfolgerungen: Die elektromyografische Differenzierung der Lidöffnungsstörungen führt zu klarer Differenzierung der verschiedenen Krankheiten und hat Auswirkungen auf die Therapiestrategie mit BTX.