Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(4): 146-149
DOI: 10.1055/s-0030-1263005
Forum

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Eröffnung des ersten Kinderpalliativzentrums in Deutschland – Ein guter Tag

Further Information

Publication History

Publication Date:
20 July 2010 (online)

 

Förderer, Sponsoren, Freunde, Familien und Mitarbeiter: Alle kamen am 27. April zur Eröffnung des Kinderpalliativzentrums Datteln, des ersten in Deutschland. "Das ist ein guter Tag für NRW", freute sich der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Karl-Josef Laumann MdL, in seiner Ansprache. Und ja, es war ein guter Tag vor allem für betroffene Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und deren Familien - ein guter Tag für die Kinderpalliativmedizin.

Den Anfang der Eröffnungsfeier des Kinderpalliativzentrums machte der Münsteraner Bischof Dr. Felix Genn mit einem Gottesdienst. Genn löste in seiner Predigt den scheinbaren Widerspruch zwischen einer Feier und der Eröffnung einer Kinderpalliativstation auf: Die Zunahme an Lebensqualität durch die Arbeit der Kinderpalliativstation und die bewusste Reflektion eigener, Trost spendender Hoffnungsbilder erlauben es, die Eröffnung einer Kinderpalliativstation zu feiern. Während des anschließenden Festaktes auf dem Klinikgelände standen "Lichtblicke" im Mittelpunkt, die die Förderer des Zentrums dem Projekt mit auf den Weg gaben. "Lichtblicke", so heißt die Station, auf der lebensbedrohlich erkrankte Kinder ab Ende Mai behandelt werden.

Hoffnung und Zuversicht wünschten die Förderer, "viele Sonnenstrahlen, damit du es immer warm um dich hast", die Kinder der benachbarten Lohschule. Die Vestische Kinder- und Jugendklinik sei ein besonderes Krankenhaus, sagte Laumann sichtlich bewegt, ein Leuchtturmprojekt auch über die Landesgrenzen hinaus. Und der Beweis dafür, dass sich hohe Fachkompetenz und menschlicher Umgang mit Patienten, Eltern und Mitarbeitern sowie soziales Engagement nicht ausschließen.

Nach der Feier konnten sich die rund 550 Besucher selbst ein Bild von dem machen, was in den letzten Jahren an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln - Universität Witten/Herdecke entstand: Ein Zentrum, gebaut für die Behandlung von Kindern, die an lebenslimitierenden Krankheiten leiden und deren Familien.

Dafür, dass diese Kinder und ihre Familien die wertvolle verbleibende Zeit so intensiv wie möglich miteinander verbringen können, macht sich das Palliative Care-Team für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stark. Die interdisziplinäre Therapie gilt nicht nur den betroffenen Kindern, sondern berücksichtigt die Situation der ganzen Familie: Gesprächsangebote mit Psychologen, spirituelle Begleitung durch einen Seelsorger, Kunst- und Musiktherapie können Eltern und Geschwister der erkrankten Kinder in dieser schwierigen Situation eine Unterstützung bieten. Deshalb stehen neben den acht Patientenzimmern in der ersten Etage des Zentrums fünf Elternappartements zur Verfügung, in denen die Familien während der Zeit der Behandlung ihres Kindes wohnen können und in den Behandlungsprozess integriert werden.

Prof. Dr. Zernikow zusammen mit den Kindern des AWO-Kindergartens Sternenhimmel und der Kindergartenleiterin Andrea Habisch beim Verlesen der Lichtblicke-Botschaft auf der Festbühne (Quelle: Britta Radike).

Die Station "Lichtblicke" selbst besteht aus acht Einzelzimmern, von denen eins bei Bedarf zum Doppelzimmer erweitert werden kann. Hier steht, neben der Möglichkeit einer palliativmedizinischen High-Tech-Medizin, das Sich-Aufgehobenfühlen ganz oben auf der Liste der Prioritäten: Trotz einer medizinischen Ausstattung, die sich auf dem technischen Niveau einer Intensivstation bewegt, haben die Zimmer nichts von der üblichen "sterilen" Krankenhausatmosphäre. Warme Farben dominieren, Holzmöbel bestimmen die Optik der Zimmer. Etwas abseits der Patientenzimmer liegen die Behandlungsräume. Nur hier werden medizinisch-pflegerische Interventionen durchgeführt, so schmerzarm, wie es eben geht. Die Zimmer der Patienten jeden Alters - vom Neugeborenen bis zum jungen Erwachsenen - sind ein geschützter Bereich: Hier werden keine schmerzhaften medizinisch-pflegerischen Maßnahmen durchgeführt. Trotzdem ist alles da, was für eine optimale pädiatrische Palliativversorgung benötigt wird: eine Isoliereinheit für immunsupprimierte oder infektiöse Patienten, ein Deckenliftersystem für Patienten und deren Beatmungsgeräte, Sauerstoff- und Druckluftanschlüsse und bedarfsgerechte Überwachungssysteme in jedem Zimmer.

Ein Zimmer im Kinderpalliativzentrum mit Zugang zum Garten (Quelle: Britta Radike).

Und dann gibt es da noch die Technik, die nicht zur Medizin gehört, aber bereits Kinder und Jugendliche begeistert: Jedes Zimmer ist mit Laptops inklusive Webcam und WLAN ausgestattet. Wer auf der Station "Lichtblicke" liegt, ist nicht ausgeschlossen. Wer mag, kann mailen, chatten, videotelefonieren oder Freunde und Verwandte zu Hause einfach auf dem Bildschirm sehen.

Für die farbliche Gestaltung des gesamten Zentrums wurde die Herdecker Künstlerin Andrea Behn engagiert, die neben so genannten "Farbduschen", die die Flure in freundliches Farblicht tauchen, auch bei der Farbgestaltung und Einrichtung des Hauses beriet. Große Fenster, holzumrahmte Glastüren in jedem Patientenzimmer, eine Ausrichtung der Krankenzimmer nach Süden und helle Farben garantieren, dass die Kinderpalliativstation Licht durchflutet ist. Eine ausgeklügelte Verschattungsanlage trägt Sorge, dass die kranken Kinder genau die Sonneneinstrahlung in ihrem Zimmer oder auf ihrer Terrasse einstellen können, die sie wünschen.

Jedes der Zimmer hat einen eigenen Zugang zum dem Palliativzentrum zugehörigen Sinnesgarten. Die Flügeltüren zur Terrasse sind breit - so breit, dass auch bettlägerige Kinder mitsamt allem erforderlichem Equipment nach draußen gefahren werden können, um im Garten unter freiem Himmel zu sein. Es geht in Datteln um die Bedürfnisse des kranken Kindes, darum, das Leben mit allen Sinnen erfahren zu können. Wer dazu Unterstützung benötigt, der bekommt sie.

Bischof Dr. Felix Genn, Prof. Dr. Zernikow und Karl-Josef Laumann MdL während der Eröffnungsfeier im Zelt (v.l.n.r., Quelle: Britta Radike).

Der Ent-Spannung - der häufig an Muskelspastik leidenden Patienten - dient auch der Snoezelraum. Hier stehen Wippen zur Verfügung, ein Wasserbett mit sanfter Musik, deren Bässe durch Vibration über das Wasserbett auch für gehörlose Patienten spürbar werden, Lichtspiele, aber auch die Möglichkeit, alles zu verdunkeln, um sich zurück zu ziehen. Wer aufgrund seiner Krankheit den Snoezelraum nicht aufsuchen kann, zu dem kann bei Bedarf eine mobile Snoezeleinheit ins Zimmer gebracht werden. Auch zu sehen gibt es Etwas: Im Eingangsbereich des Kinderpalliativzentrums steht ein großes Aquarium. Kinder, die sich nicht mehr bewegen, aber schauen können, können hier eine ganze Unterwasserwelt für sich entdecken.

Für die Familien, die die kranken Kinder begleiten, steht die 1. Etage zur Verfügung. Neben den 5 Appartements für die Familien gibt es eine Gemeinschaftsküche, in der sich die Angehörigen treffen, austauschen und erzählen können. Für die Geschwister wurde ein Spielzimmer eingerichtet mit dicken Matten zum Toben und einem Kicker, an dem Turniere ausgetragen werden können.

Das "Dattelner Modell" soll Schule machen - deswegen liegen im neuen Kinderpalliativzentrum eigene Räume für die multiprofessionelle Aus- und Weiterbildung von pädiatrischen Palliativversorgern. Schon lange richtet das Vodafone-Stiftungsinstitut mit dem angegliederten Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin Seminare und Kongresse aus - nun können alle Kompetenzen erstmals an einem Ort gebündelt werden.

Ein guter Tag. Nicht nur für NRW.

Prof. Dr. Boris Zernikow, Chefarzt des Vodafone Stiftungsinstituts für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln und Lehrstuhlinhaber für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin an der Universität Witten / Herdecke

    >