Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11(4): 141-142
DOI: 10.1055/s-0030-1263003
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Sterben zu lassen – ein andauerndes Problem

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Publication Date:
20 July 2010 (online)

 

Prof. Dr. med. H. Christof Müller-Busch

Im Juni 2010 wurde in einem Revisionsverfahren am Bundesgerichthof (BGH) der Fall des Münchner Rechtsanwalts Wolfgang Putz verhandelt. Er hatte einer Mandantin geraten, die schon nicht mehr benutzte Magensonde ihrer in einem Pflegeheim liegenden komatösen Mutter durchzuschneiden, um diese sterben zu lassen. Vorausgegangen waren teilweise groteske betreuungsrechtliche Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit des Sterbenlassens durch Beendigung einer künstlichen Ernährung. Nach 5-jähriger schwerster Pflegebedürftigkeit der 77-jährigen Mutter - ohne Aussicht auf Besserung - schien auch aus ärztlicher Sicht die Sondenernährung medizinisch nicht mehr indiziert zu sein, zumal diese Maßnahme auch den früher geäußerten Willensbekundungen der Patientin widersprach. Eine schriftliche Patientenverfügung lag allerdings nicht vor.

Der Rat des Rechtsanwalts, die Ernährungssonde zu durchtrennen, war sicherlich keine gute Lösung. Immerhin hatte diese Empfehlung eine Verurteilung wegen Totschlags zur Folge. Der Fall zeigt aber auch, wie sehr der Mangel an Kommunikation zu Situationen führen kann, in denen Verzweiflung zu Handlungen führt, die zwar einen Konflikt beenden, aber das dem Konflikt zugrunde liegende Problem nicht lösen.

Das Revisionsverfahren am BGH behandelte einen Konflikt, in dem sich Ärzte, Betroffene und Angehörige in Todesnähe immer wieder befinden und für den es auch trotz des seit 1. September 2009 geltenden Patientenverfügungsgesetzes noch keine optimalen Lösungsvorschläge gibt: Wann darf aus medizinischer Indikation unter Berücksichtigung der Wertvorstellungen des Betroffenen auf möglicherweise lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden bzw. wann können bzw. müssen diese beendet werden, um den Tod zuzulassen?

Probleme und Konflikte in Grenzsituationen bei schwerstkranken und sterbenden Menschen beruhen in fast allen Fällen auf Kommunikationsdefiziten. Insofern ist es auch ein Verdienst des Patientenverfügungsgesetzes auf die Notwendigkeit des Dialogs zwischen Arzt und Patientenvertretern hinzuweisen. Die an die neue Gesetzeslage angepassten - im Mai 2010 erschienenen - Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, haben diesen Aspekt sehr differenziert aufgenommen. Dieser dialogische Prozess, in dem Indikation, Behandlungsziel, Lebenssituation, Nutzen und Belastbarkeit unter Berücksichtigung des maßgeblichen und verbindlichen Willens erörtert werden, stellt die Grundlage der therapeutischen Arbeitsgemeinschaft dar, die nicht nur von der Frage "wer entscheidet" (was eigentlich unstrittig sein sollte) bestimmt wird, sondern in der nach Orientierung und gemeinsamen Wegen in Grenzsituationen gesucht wird.

Effektive Kommunikation, reflektiertes Entscheiden, sowie transparentes (nachvollziehbares) Handeln können als Kernelemente der Palliativmedizin angesehen werden. Wille und Wohl des Betroffenen stehen im Mittelpunkt des Dialogs aller Menschen, die einen Menschen, der sich krankheitsbedingt nicht mehr mitteilen bzw. aktuell nicht entscheiden kann, begleiten. In Betreuungseinrichtungen der Palliativ- und Hospizversorgung sind diese Aspekte selbstverständlich - in Pflegeeinrichtungen und sonstigen Orten des Sterbens bestehen hierzu leider oft noch erhebliche Defizite. Effektive Kommunikation bedeutet, Krankheit nicht nur als pathophysiologische Funktionsstörung, sondern als Prozess und Kranksein als individuelle Erfahrung zu berücksichtigen, es bedeutet aber auch alle Dimensionen des Krankseins zu erfassen, zu wissen, wo bzw. in welcher Lebenssituation sich der andere befindet und welche Werte er hat, es bedeutet gemeinsame Ebenen zu finden und alle Aspekte von "Heilung" im Blick zu haben. Nur so werden Entscheidungen ermöglicht, die auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung von allen getragen werden. In schwierigen Fällen sollte ein Ethikkonsil einberufen und eine Ethische Fallbesprechung durchgeführt werden, durch die Hinweise für die Lösung von Konflikten gefunden werden können. Transparentes Handeln sollte dazu beitragen, dass es für andere nachvollziehbar wird. Es kann weder bedeuten, alles zu tun, was möglich ist, noch alles zu tun, was gewünscht wird. Die gemeinsame Entscheidung zu einer Therapiezieländerung und der damit verbundenen Begrenzung von lebenserhaltenden Maßnahmen erfordert auch eine Begleitung der Patienten und Angehörigen im Sinne der Palliativmedizin mit bestmöglicher Symptomkontrolle der physischen, psychosozialen und spirituellen Probleme, sowie Zuwendung und Unterstützung. "Sonden durchtrennen" als Methode darf nicht zur Regel werden.

Sterben zu lassen bedeutet unter Berücksichtigung des Willens des Betroffenen sich zu begrenzen, auf künstlich lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, wenn diese aus ärztlicher Sicht nicht oder nicht mehr indiziert bzw. aus Sicht des Betroffenen sinnlos geworden sind bzw. explizit nicht gewünscht werden.

Der Bundesgerichtshof hat erwartungsgemäß am 25. Juni Rechtsanwalt Putz freigesprochen. Damit war mit Sicherheit nicht die Methode gemeint, sondern das Ziel, mit der im Fuldaer Fall dem Willen der Betroffenen Geltung verschafft wurde. Der Freispruch sollte nicht als Legitimation für eigenmächtiges Handeln, um Sterben zuzulassen, verstanden werden. In der klaren Begründung der Entscheidung wurde deutlich gemacht, dass lebensverlängernde Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen nicht durchgeführt werden dürfen. Diese palliativmedizinische Selbstverständlichkeit wird sicherlich noch nicht überall in der Medizin ausreichend respektiert. Sterben zu lassen bedeutet für alle Beteiligten auch, sich nicht einseitig auf Positionen ("Wohl oder Wille") festzulegen, sondern miteinander zu kommunizieren und sich darüber zu verständigen, was im Interesse des schwerstkranken bzw. sterbenden Menschen wann noch oder nicht mehr getan werden soll, um einem krankheitsbedingten Sterben, das durch lebensverlängernde Maßnahmen evtl. nur verzögert wird, seinen Lauf zu lassen: eine Aufforderung an alle beim Umgang mit Grenzsituationen die Kernelemente der Palliativmedizin noch mehr zu beachten.

Prof. Dr. med. H. Christof Müller-Busch

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

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