Klin Monbl Augenheilkd 2011; 228(3): 185-186
DOI: 10.1055/s-0029-1246100
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chirurgie der Netzhautablösung

Surgery for Retinal DetachmentA. M. Joussen1 , H. Helbig1
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 March 2011 (online)

Die Chirurgie der Netzhautablösung ist einen weiten Weg gegangen von den Anfängen der Ignipunktur durch Jules Gonin in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts bis zur Einführung der Vitrektomie durch Robert Machemer in den 70er-Jahren. Innerhalb von 100 Jahren haben innovative Augenärzte die Heilungsrate für Patienten mit Netzhautablösung von 0 auf nahezu 100 % gesteigert. Erblindung an Netzhautablösung ist eine Rarität geworden. Die Therapie der Netzhautablösung macht heute immer noch eine der wichtigsten und erfolgreichsten Indikationen im Spektrum der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie aus.

Schon in der „Prä-Buckel”-Ära gab es Überlegungen, die Skleraresektion (Lindner ca. 1932) mit einer inneren Tamponade zu kombinieren (Gasinjektion durch Rosengren ca. 1937). Die Plombenchirurgie durch Custodis nach 1945 und die Entwicklung der Cerclage durch Schepens 1957 erlaubten in Verbindung mit der Lichtkoagulation (Meyer-Schwickerath ab 1950) oder Kryochirurgie (Lincoff ab 1965) bereits eine gute Heilungschance für die meisten Patienten mit Netzhautablösung.

Winterhalter und Mitarbeiter zeigen in ihrem Beitrag die Originalzeichnung eines Patienten mit einem traumatischen Riesenriss von Custodis. Wir haben keine Informationen über den Heilungsverlauf dieses Patienten, jedoch erlaubten in diesen komplexen Fällen segmentale Buckelverfahren trotz radiärer Zusatzbuckel oft nur eine unzureichende Wiederanlage des Risses und konnten die PVR-Entstehung nicht verhindern.

Eine primäre Glaskörperentfernung, also eine Vitrektomie, als alleiniges Verfahren zur Behandlung einer Netzhautablösung wurde erstmals durch Klöti 1983 durchgeführt. Jedoch war nicht nur die Verfeinerung der chirurgischen Instrumente hin zu den trokargeführten Systemen entscheidend für die Verbesserung der chirurgischen Ergebnisse, sondern auch die Entwicklung von gut verträglichen Langzeittamponaden sowie intraoperativer Hilfsmittel wie Perfluorcarbone als sogenannte „dritte Hand”. Erst diese Innovationen erlaubten, komplexe Eingriffe z. B. bei Riesenrissamotiones erfolgreich durchzuführen, wie in der Arbeit von Winterhalter und Mitarbeitern beschrieben. Das chirurgische Vorgehen muss sehr unterschiedlich gewählt werden in Abhängigkeit vom Ausgangsbefund der Ablatio. Eine Oradialyse erfordert eine segmentale Buckelchirurgie, ein Riesenriss dagegen eine Vitrektomie mit intraokularer Tamponade. Die Autoren gehen auf die wichtige Diskussion der Prophylaxe des Partnerauges ein, die insbesondere bei idiopathischen Riesenrissen mit hohem Risiko für eine Netzhautablösung des zweiten Auges überlegt werden muss.

Pseudophakieablationes machen heute etwa ein Drittel der operierten Netzhautablösungen aus. Geschätzte gut 600 000 kataraktchirurgische Eingriffe werden pro Jahr in Deutschland durchgeführt. Ungefähr 6 % der Bevölkerung haben eine Intraokularlinse. Diese epidemiologischen Zahlen illustrieren die zunehmende Bedeutung der Pseudophakieablationes. Die Datenlage beweist inzwischen eindeutig ein erhöhtes Ablatiorisiko auch nach moderner komplikationsloser Linsenoperation. Dieses Risiko bleibt dabei nicht auf die Zeit kurz nach der Operation begrenzt, sondern ist für viele Jahre möglicherweise Jahrzehnte erhöht. Der kausale Zusammenhang zwischen Katarakt-Operation und Netzhautablösung ist für Katarakt-Chirurg und Patient durch das lange Intervall dabei nicht immer offensichtlich. Bei der Kumulation der Risikofaktoren Myopie, junges Patientenalter und männliches Geschlecht ist von einem langfristigen Risiko von bis zu 20 % für eine Pseudophakieablatio auszugehen. Intraoperative Komplikationen wie Kapselruptur und Kernverlust erhöhen das Ablatio-Risiko noch weiter. Dies muss sicher Beachtung finden bei der Indikationsstellung für eine Clear-Lens-Extraktion bei jungen myopen Patienten. Herrmann und Mitarbeiter diskutieren in ihrem Beitrag die Charakteristika der Pseudophakieamotio. Die Autoren beschreiben die Pathophysiologie der Amotioentstehung im pseudophaken Auge und diskutieren die Besonderheiten der Lochsituation: deutlich häufiger liegt eine unklare Lochsituation vor, die Auswirkungen auf das therapeutische Vorgehen hat. Während die Vitrektomie hinsichtlich des anatomischen Erfolgs das Verfahren der Wahl ist, zeigt sich zwischen Buckelchirurgie und Vitrektomie kein Unterschied hinsichtlich des funktionellen Ergebnisses.

Die jetzt über Retina.net von Herrn P. Walter initiierte randomisierte Multicenterstudie soll untersuchen, ob bei der Pseudophakieamotio die zusätzliche Cerclage einen Vorteil gegenüber der alleinigen Vitrektomie bringt. Wir hoffen, dass für diese Studie eine zügige Rekrutierung gelingen wird.

Während die ersten beiden Übersichten sich mit aktuellen Aspekten etablierter Methodiken und bekannter Probleme auseinandersetzen, weist der dritte Artikel in die Zukunft. A. Gandorfer zeigt in seiner Übersicht zur pharmakologischen Vitreolyse einen völlig neuartigen Weg zur Behandlung vitreoretinaler Erkankungen auf. Er beschreibt ausführlich die wichtige Rolle der Pathologie an der vitreoretinalen Grenzfläche für eine ganze Reihe von Erkrankungen und den Weg, den die Entwicklung dieser Pharmaka bis zur ersten klinischen Anwendung gemacht hat. Die Auflösung der Glaskörperstrukturen mittels intraokularer Anwendung von Enzymen kann die schon heute wenig traumatische Glaskörperchirurgie möglicherweise weiter erleichtern oder in einigen Fällen vielleicht sogar ganz vermeiden. Inwieweit diese Technik sich breit durchsetzen wird und ob sie die vitreoretinale Chirurgie revolutionieren wird, bleibt abzuwarten.

Die Beiträge in diesem Themenheft zur Pseudophakieablatio und zur Behandlung der Riesenrissamotio zeigen, dass die Ablatiochirurige auch weiterhin ein aktuelles Thema bleibt, das die Aufmerksamkeit nicht nur der netzhautchirurgisch tätigen Kollegen verdient. Die Übersichtsarbeit zur pharmakologischen Vitreolyse ist ein Beispiel für innovative Ansätze und für die Dynamik, die unser Fach auch fast ein Jahrhundert nach Jules Gonin noch immer auszeichnet.

Prof. Dr. A. M. Joussen

Augenklinik der Charité, Universitätsklinik Berlin, Virchowklinikum (CVK)

Augustenburger Platz

13353 Berlin


Klinikum Steglitz (CBF)

Hindenburgdamm 30

12200 Berlin

Email: joussen@googlemail.com

Prof. Dr. Horst Helbig

Augenklinik, Universitätsklinikum Regensburg

Franz-Josef-Strauß-Allee 11

93042 Regensburg

Phone: ++ 49/9 41/9 44 92 00

Email: helbig@eye-regensburg.de

    >