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DOI: 10.1055/s-0029-1243748
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Müdigkeit – Alltagsphänomen oder Leitsymptom einer schweren Erkrankung?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
01. Dezember 2009 (online)

Für hart arbeitende Hausärzte, die nach einem langen Arbeitstag in ihr Bett fallen, ist Müdigkeit ein vertrautes Alltagsphänomen. Ganz anders ist jedoch die Einschätzung, wenn sich ein Patient montags morgens an uns wendet und seine Beschwerden so schildert: „Herr/Frau Doktor, ich bin die ganze Zeit so schrecklich müde ...“ Die Abklärung von Müdigkeit als Leitsymptom gilt sowohl in der Literatur als auch unter Hausärzten als gefürchtet.
Müdigkeit, ein Leistungsknick oder „Fatigue“ sind unspezifische, komplexe Beschwerdebilder, die oft übersehen werden und über die noch immer wenig bekannt ist. Die Differenzialdiagnose scheint schier unerschöpflich zu sein. Die Empfehlungen zur Abklärung dieser Symptome sind allerdings oft wenig evidenzbasiert, sodass der arme Patient und sein Hausarzt mit der „aus Sicherheitsgründen“ angeforderten Diagnostik oft wenig glücklich werden. Es droht ein Einstieg in eine Karriere als psychosomatischer Patient. Dies bemängeln auch die Autoren der S3-Leitlinie „Müdigkeit“ (AWMF-Leitlinienregister Nr. 053–002; www.leitlinien.net) und empfehlen Zurückhaltung bei Diagnostik und -therapie.
Umso erfreulicher ist nun die Tatsache, dass gerade etwas Licht in das Dunkel gebracht wird. Unsere Kollegen in den Niederlanden haben sich in einer großen empirischen Studie der Klärung der Frage gewidmet, welche Diagnosen im Verlauf eines Jahres nach einer Konsultation mit dem Symptom ,Müdigkeit' gestellt werden (Nijrolder I et al. CMAJ 2009; Oct 26). Um das wichtigste Ergebnis zuerst zu nennen: Bei den meisten Betroffenen konnte keine Diagnose gestellt werden, die als ursächlich für die Müdigkeit gelten konnte. Schwere somatische Krankheiten traten zwar auf, beruhten jedoch meist auf einer prävalenten Komorbidität und nicht auf neu entwickelten Gesundheitsstörungen. Atemwegserkrankungen – meist Infektionen – waren vergleichsweise häufig.
Dementsprechend ist wohl bei Patienten, die über Müdigkeit klagen, vor allem auf Anämien und endokrine Störungen zu achten. Zwar waren in der erwähnten Studie zum Teil auch inzidente Krebserkrankungen und Depressionen Auslöser der Fatigue, sie waren allerdings so selten, dass sie vermutlich dem normalen Risiko eines normalen Patientenkollektivs einer Allgemeinarztpraxis entsprechen. Dieses Ergebnis bestätigt auch eine aktuelle deutsche Studie (Frese T. www.cmaj.ca/cgi/eletters/cmaj.090647v1). Hier hatten die Autoren bei hausärztlich betreuten Fatiguepatienten ebenfalls nur wenig schwerwiegende Diagnosen beobachtet. Dementsprechend schien den meisten Hausärzten auch eine – leitlinienkonforme – abwartende Strategie und ein „Offenhalten“ der Diagnose mit einer erneuten Einbestellung der Betroffenen als das beste Management dieser Patienten.
Was bleibt als Fazit festzuhalten? Viele Krankheiten, die in Lehrbüchern als wichtige und unabdinglich abzuklärende, potenziell gefährliche Ursachen von Müdigkeit aufgezählt werden, muss der Hausarzt – weil zu selten – nicht zwangsweise berücksichtigen. Im individuellen Fall kann man nach der Anamnese und einer problemzentrierten körperlichen Untersuchung mit einer weiteren Abklärung ruhig einige Zeit abwarten. Für den Rest der Patienten mit anhaltender Müdigkeit dürfte ein einfacher Laborcheck reichen, der die Bestimmung des basalen TSH-Werts (TSH = Thyreoidea stimulierendes Hormon), die Bestimmung diverser Infektmarker (Blutsenkungsgeschwindigkeit, C-reaktives Protein) und ein Blutbild umfasst (Sandholzer H et al. MMW Fortschr Med 2008; 150 (17): 27–30).