Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P733
DOI: 10.1055/s-0029-1238826

Hirnabszess im jungen Alter – breit behandeln oder fein biopsieren?

A Klein 1, A Juzek 1, CM Kosinski 1, R Kaminski 1, M Mull 1, KW Nolte 1, J Schiefer 1
  • 1Aachen, Würselen

Der Hirnabszess ist eine lokale Infektion des Hirngewebes, die mit einer jährlichen Inzidenz von 0,3–1,3/100000 v.a. im höheren Lebensalter auftritt. Insbesondere bei jungen Patienten liegt häufig eine Immunsuppression, z.B. bei HIV-Infektion, zugrunde.

Wir berichten über 3 Patientinnen, deren initiale Bildgebung den Verdacht auf einen cerebralen Abszess ergab.

Fall 1: Die 25-jährige Patientin, die aufgrund einer Colitis ulcerosa seit Jahren immunsuppressiv behandelt wurde, präsentierte sich mit einer seit 3 Tagen bestehenden Hemiparese links. Die cMRT zeigte am Seitenventrikel links eine Raumforderung mit randständiger Kontrastmittelaufnahme. Trotz laborchemisch nachweisbarer Infektkonstellation verlief die umfangreiche Erregersuche inklusive Liquordiagnostik ergebnislos. Nachdem sich unter zehntägiger breitbandantibiotischer Therapie bildmorphologisch keine Befundregredienz zeigte, erfolgte eine Biopsie. Diese ergab überraschend den Befund eines Glioblastoma multiforme (WHO Grad IV).

Fall 2: Die 39-jährige Patientin wurde aufgrund einer seit 10 Tagen progredienten Hypästhesie des rechten Beines aufgenommen. Die cMRT ergab links parietal eine ringförmig kontrastmittelaufnehmende Läsion. Die Liquordiagnostik war unauffällig. Eine antibiotische Therapie führte zu keiner Befundbesserung. Die Biopsie identifizierte schließlich einen entzündlich-demyelinisierenden Herd als Erstmanifestation einer Multiplen Sklerose.

Fall 3: Die 17-jährige Patientin stellte sich mit Kopfschmerzen und Meningismus vor. Die cMRT zeigte am rechten Hinterhorn eine Raumforderung mit randständiger Kontrastmittelaufnahme. Bei einer Liquorpleozytose von 2000 Zellen/ul wurde in der Blutkultur als Erreger eine Leuconostoc spec. nachgewiesen. Dieses grampositive Bakterium, welches u.a. bei der Sauerkrautgärung zum Einsatz kommt, verursacht v.a. bei Immunsuppression schwere Infektionen. Nach Antibiogramm erfolgte eine sechswöchige Therapie mit Ceftriaxon, worunter sich Liquorbefund und Klinik normalisierten. Von einer Biopsie wurde bei bildgebender und klinischer Rekonvaleszenz abgesehen.

Fazit: Auch bei nahe liegendem Verdacht auf einen Hirnabzess ist bei fehlendem Erregernachweis und/oder mangelnder bildmorphologischer Befundregredienz eine Biopsie zur sicheren differenzialdiagnostischen Abklärung erforderlich. Außerdem muss auch bei jungen immunkompetenten Patienten ein seltener Keim wie Leuconostoc spec. als Erreger in Betracht gezogen werden.