Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P727
DOI: 10.1055/s-0029-1238820

Steroid-responsive Myalgien: atypische Polymyalgia rheumatica oder unspezifische Autoimmunerkrankung mit muskulärer Beteiligung?

J Schwabe 1, T Rosenkranz 1, KC Knop 1, C Terborg 1
  • 1Hamburg

Hintergrund: Die Polymyalgia rheumatica ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters mit nächtlichen Schmerzen, Druckschmerzhaftigkeit und morgendlicher Steifigkeit der proximalen Schulter- und Beckengürtelmuskulatur. Zu den labortypischen Veränderungen gehört eine stark beschleunigte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG).

Fallbericht: Eine 65-jährige Patientin wurde mit seit zwei Jahren bestehenden Schmerzen der ventralen Oberschenkelmuskulatur aufgenommen. Diese traten insbesondere nachts auf und führten zu einer Unterbrechung des Schlafes. Das Treppensteigen, Erheben aus der Sitzposition und Aufrichten aus der Hocke waren wegen der Schmerzen nur mit Einschränkungen möglich. Arthralgien, Kopfschmerzen, Sehstörungen oder eine Schwäche der Schultergürtelmuskulatur lagen nicht vor. Bei altersentsprechendem neurologischen Befund fand sich in den Laboruntersuchungen eine normale BSG (17mm/1h), eine leichte Erhöhungen des C-reaktives Proteins mit 6,6mg/l, der α-1- und β-1-Globulinfraktion mit 3,6 respektive 5,3g/l und des Antinukleären Antikörpertiters mit nukleär granulärem Floureszenzmuster von 1:320. Der elektroneuro- und -myographische Befund war regelrecht, eine Magnetresonanztomografie der Lendenwirbelsäule und der Oberschenkelmuskulatur ergab keine Spinalkanalstenose, keinen Bandscheibenvorfall und keine muskulären Auffälligkeiten. Eine Muskelbiopsie des M. vastus lateralis zeigte lediglich eine unspezifische Typ-2-Faseratrophie.

Unter der Verdachtsdiagnose einer atypischen, BSG-negativen Polymyalgia rheumatica erfolgte eine hochdosierte Glukokortikoid-Therapie, die innerhalb von zwei Tagen zu einer dramatischen Beschwerdebesserung führte. Die Schmerzen waren ebenso wie die Einschränkungen beim Treppensteigen und Aufrichten aus der Hocke verschwunden. Ob es sich um eine atypische, BSG-negative Polymyalgia rheumatica oder eine andere Erkrankung aus dem Formenkreis der Kollagenosen oder Vaskulitiden mit primär muskulärer Beteiligung handelt, kann letztlich nicht bewiesen werden.

Schlussfolgerung: Bei typischer Klinik einer Polymyalgia rheumatica sollte auch ohne beschleunigte BSG eine probatorische Glukokortikoid-Therapie erfolgen. Der Therapieerfolg orientiert sich dabei allein an dem Ausmaß der Beschwerden.