Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P627
DOI: 10.1055/s-0029-1238720

Das Foix-Chavany-Marie-Syndrom als Vorläufer einer primären progressiven Aphasie?

I Uttner 1, B Brendel 1, B Lindner-Pfleghar 1, J Brettschneider 1, A Riecker 1
  • 1Ulm, Tübingen

Hintergrund: Das Foix-Chavany-Marie-Syndrom (FCMS) oder anteriore Operculumsyndrom ist ein seltenes, durch zumeist bilaterale Schädigungen der frontoparietalen Opercula verursachtes Störungsbild. Charakteristisch ist eine schwere Beeinträchtigung willkürlicher Bewegungen im Bereich der Gesichts-, Kiefer-, Zungen- und Pharynxmuskulatur, während unwillkürliche, automatische Bewegungen dieser Muskelgruppen möglich sind. Häufigste Ursache des FCMS sind Ischämien, entzündliche und raumfordernde Prozesse sowie, sehr selten, neurodegenerative Erkrankungen. Hier berichten wir über eine Patientin mit progredienten Sprech- und Schluckstörungen seit vier Jahren, die jetzt zusätzlich erste schriftsprachliche Auffälligkeiten als möglichen Hinweis für eine primär progressive Aphasie entwickelte.

Ergebnisse: Die Untersuchung der 56-jährigen Patientin zeigte eine ausgeprägte Sprechapraxie mit oralen Suchbewegungen, Lautentstellungen und hoher Fehlervariabilität, eine buccofaziale Apraxie mit massiv beeinträchtigten Intentionsbewegungen der orofazialen Muskulatur sowie eine „emotional facial paresis“. Im Aachener-Aphasie Test fanden sich Hinweise auf eine Störung schriftsprachlicher Leistungen mit orthographischen Unsicherheiten und Buchstabenauslassungen sowie -vertauschungen. Fiberendoskopisch ergab sich eine Dysphagie mit Störung der oralen und pharyngealen Phase mit erheblich verzögerter Auslösung des Schluckreflexes. Dieser ließ sich jedoch durch Reizung im Bereich der Epiglottis problemlos initiieren. Im cMRT fand sich eine diskrete Atrophie des frontotemporalen Operculum einschließlich der Insel rechts ohne Zeichen eines vaskulären Prozesses. Das Glukose-PET zeigte passend dazu einen Hypometabolismus in diesem Bereich und eine leichte Minderutilisation im rechten Temporal- und Parietallappen. Die Laborwerte einschließlich Tau – und Amyloid-β 1–42– Protein im Liquor waren unauffällig.

Schlussfolgerungen: Die Befunde zeigen das typische Bild eines FCMS mit gestörter intentionaler- und erhaltener unwillkürlicher Innervation der Gesichts-, Kiefer, Zungen- und Pharynxmuskulatur. Anamnese und Bildgebung verweisen auf einen neurodegenerativen Entstehungshintergrund, wobei die jetzt neu aufgetretenen schriftsprachlichen Beeinträchtigungen eine beginnende Aphasie nahe legen und angesichts der sonst unauffälligen kognitiven Leistungen differenzialdiagnostisch an die Möglichkeit einer primär progressiven Aphasie denken lassen.