Aktuelle Neurologie 2009; 36(9): 431-432
DOI: 10.1055/s-0029-1223372
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Deutsche Gesellschaft für Neurologie – weiter erfolgreich in schwerer See[1]

German Society of Neurology – Successful In Spite of Stormy WatersH. Reichmann
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Publication Date:
04 November 2009 (online)

Prof. Dr. med. Heinz Reichmann
1. Vorsitzender der DGN

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Freunde,

Sie werden sich wundern, warum sich die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in schwerer See befinden soll. Sind nicht alle Parameter auf Erfolg und glänzende Zukunft ausgerichtet? Wenn man sieht, wie die Geschäftsstelle im FDP-Haus in Berlin floriert, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass nicht nur unsere FDP-Nachbarn in der Gunst der Wähler steigen. Auch wir als Deutsche Gesellschaft für Neurologie werden sowohl von unseren Mitgliedern als auch von der Öffentlichkeit, sei sie politisch oder akademisch, zunehmend wahrgenommen, wir sind gefragt. So ist es uns gelungen, die Deutsche Gesellschaft für Neurologie auf über 6000 Mitglieder anwachsen zu lassen, obwohl es nur etwa 4000 Neurologen in Deutschland gibt. Dies unterstreicht, dass unsere Gesellschaft auch für Schwesterdisziplinen wie Psychiatrie, Neurochirurgie und Neuroradiologie eine attraktive Heimat sein kann.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie betrachtet sich als eine akademische Einrichtung, die sich den Neurowissenschaften, der Qualität der neurologischen Ausbildung und der Diagnostik und Therapie neurologisch Erkrankter verantwortlich fühlt. In diesem Zusammenhang war es ein logischer Schritt, neben erfolgreichen Jahreskongressen, auf die ich gleich zurückkommen werde, sich insbesondere der Fortbildung interessierter Neurologen und damit der Qualitätssicherung und -steigerung anzunehmen. Mit der Etablierung der Fortbildungsakademie gelang es Herrn Prof. Felgenhauer 1996 und 1997 die Trendwende unserer Jahreskongresse einzuleiten. Während diese früher zwar hervorragende Wissenschaft boten, sind heute die Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Neurologie darüber hinaus ausgezeichnete Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen der Fortbildungsakademie. Wir haben es somit geschafft, für ein immer breiteres Publikum ein offensichtlich so attraktives Programm zu gestalten, dass die nicht unerheblichen Ausgaben für den Einzelnen akzeptabel bleiben. Der diesjährige Jahreskongress mit mehr als 4500 Teilnehmern unterstreicht erneut, dass unser Konzept aufgeht und von Ihnen angenommen und akzeptiert wird.

Mit Stolz erfüllt uns, dass die Deutsche Gesellschaft für Neurologie die größte europäische neurologische Gesellschaft ist und daraus leitet sich auch unser Anspruch ab, die Deutsche Neurologie nicht nur national, sondern auch international zu vertreten. Sie werden mir sicherlich alle zustimmen, dass wir z. B. in den Disziplinen Kopfschmerz, Schlaganfall, Hirntumoren, Epilepsie, Multiple Sklerose und neurodegenerative Erkrankungen, um nur einige Leuchttürme zu nennen, deutsche Vertreter in den maßgeblichen internationalen Gremien haben und dass viele deutsche Neurologen Hauptreferate auf europäischen und transatlantischen Kongressen halten. Wir haben somit eine hohe Repräsentanz und können die Deutsche Neurologie würdig vertreten.

Darüber hinaus sind die Publikationsstärke und die Einwerbung von Drittmitteln, wenn wir zunächst an den universitären Bereich denken, nahezu an jedem Standort im obersten Drittel, wenn nicht gar innerhalb der besten drei Kliniken anzusiedeln. Durch die geniale Tat einiger unserer Kollegen gelang es, die Deutsche Neurologie als Betten führendes Fach und aus heutiger Sicht als „Cash cow” zu etablieren. Wäre es nicht gelungen, das Konzept der Stroke Units und den Anspruch der stationären Versorgung von Schlaganfallpatienten für die Neurologie zu sichern, hätte es um die Zukunft des Fachs schwer stehen können. Wir wären eventuell zu einem rein ambulanten konsiliarischen Fach geworden.

Ganz das Gegenteil ist aber eingetreten, wir sind jetzt auf den konservativen Notaufnahmestationen mancher Kliniken für bis zu 50 % aller Fälle zuständig, das heißt, die Neurologie ist ein außerordentlich wichtiges Fach für die Kliniken geworden. Durch diese Aktivitäten werden wir ernst genommen und haben somit auch Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen von Großkrankenhäusern. Diese Wertschätzung der Neurologen äußert sich wieder darin, dass viele Fachkollegen von uns als Dekane in ihren Fakultäten tätig sind, was als Kompliment an die strukturierte Denkensweise der Neurologen gelten kann. An dieser Stelle wäre somit eine optimistische Bilanz zu ziehen, die ergänzt werden könnte durch die Feststellung, dass die Deutsche Gesellschaft für Neurologie finanziell auf gesunden Beinen steht und eine ausgezeichnete Geschäftsstelle in Berlin betreibt. Gerade diese beiden Voraussetzungen bieten die Möglichkeit, künftig weiterhin gestalterisch tätig zu sein und neue Ufer zu betreten, wie ich dies dann in der Mitgliederversammlung etwas ausführlicher darstellen werde.

Warum die schwere See? Trotz aller hervorragender Entwicklungen müssen wir kritisch anmerken, dass durch die Aktivitäten im Bereich der Stroke Units, der Intensivneurologie und der Notaufnahmen das Fach zu einem familienunfreundlichen und harten Ausbildungsfach geworden ist. Vorbei sind die möglicherweise beschaulichen Zeiten, als Neurologen konsiliarisch in Krankenhäusern mit viel Zeit versehen hochkomplizierte Diagnosen stellten und dann bei der Frage nach der Therapie ratlos mit den Schultern zucken mussten. Heute gilt es anzupacken, zu handeln, zu therapieren. Dies bedeutet aber auch, dass wir in einer Zeit, wo 70 % unserer jungen Studenten Frauen sind, Rekrutierungsprobleme haben. Neurologie ist sicherlich nicht das familienfreundlichste klinische Fach. Es muss daher an anderer Stelle ausreichend attraktiv sein, um junge Studenten, insbesondere Studentinnen davon zu überzeugen, diese Ochsentour-Ausbildung zu absolvieren. Hilfreich wäre es, wenn am Ende dieses Studiums und der Facharztausbildung, ähnlich wie in den Vereinigten Staaten, eine gesicherte und erfüllte Zukunft stünde. Gerade hier gibt es aber einige Probleme.

So haben wir die Zeichen der Zeit erkannt und uns zusammen mit dem Berufsverband dafür eingesetzt, dass die schlechte Vergütung unserer niedergelassenen Kollegen zum Thema wurde – und durch diese Aktivitäten das Schlimmste verhindert. Trotzdem befriedigt es uns selbstverständlich nicht, da es unser Selbstverständnis ist das wichtigste menschliche Organ, also das Gehirn, zu betreuen, dass Neurologen nicht, ähnlich wie Kardiologen, hochpreislich vergütet werden. Gerade an dieser Stelle müssen wir zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Neurologen weiter aktiv für die niedergelassenen Kollegen und für unser Fach kämpfen.

Sehr positiv ist diesbezüglich die gute Zusammenarbeit mit dem Berufsverband und die Erkenntnis, dass es glücklicherweise wohl vorbei ist, dass niedergelassene gegen stationär tätige Ärzte und umgekehrt Vorbehalte haben. Wir in den Kliniken haben begriffen, dass wir nur Assistenten zur Ausbildung bekommen, wenn auf dem ambulanten Sektor, das heißt in der privaten Praxis, auch Geld verdient werden kann. Sie wiederum brauchen uns zunehmend, weil ihnen hochtechnische Untersuchungen wie Neurosonografie oder Neurophysiologie und Ähnliches nicht mehr vergütet werden. Hier gibt es Auswüchse, die man nicht nachvollziehen kann und die wir gemeinsam bekämpfen müssen.

Es ist meine Überzeugung, dass wir in den Kliniken nicht so aufgestellt sind, dass wir sämtliche neurosonografischen oder neurophysiologischen Leistungen für unsere niedergelassenen Fachkollegen übernehmen können. Dies wird von uns nicht angestrebt, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass diejenigen, welche die Qualifikation für und die Freude an solcher Zusatzdiagnostik haben, diese auch wieder separat vergütet bekommen. Das heißt, der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wird sich eben künftig nicht allein um akademische und Ausbildungsbelange kümmern, sondern er wird zusammen mit dem Berufsverband, dem hier allerdings die Leitwolffunktion zukommt, verbünden müssen, um hier für die Deutschen Neurologen akzeptable Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Ein zweiter Grund, warum wir mit dem Nachwuchs Sorgen haben, ist sicherlich in der Tatsache begründet, dass immer mehr Krankenhäuser neurologische Abteilungen gegründet haben und des Weiteren, dass aufgrund der demografischen Entwicklung in unserem Land immer mehr Neurorehabilitationsplätze und Pflegeeinrichtungen für neurologisch erkrankte Patienten geschaffen werden müssen. Dies bedeutet, dass wir immer mehr Fachpersonal zur Verfügung stellen müssen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Leider deuten die Vorzeichen darauf hin, dass wir in Deutschland in eine Unterversorgung in der Neurologie geraten könnten und dass wir hier baldmöglichst gegensteuern müssen. Wir können an dieser Stelle nur an die Politiker appellieren, sich dieser Problematik umgehend anzunehmen, weil sich sonst die Versorgung von neurologisch Erkrankten auf wenige Ballungszentren konzentrieren wird und diejenigen, die in Deutschland auf dem flachen Land leben, und das sind nicht wenige, durch das Raster fallen werden. Gerade unsere neurologischen Patienten sind nicht mobil genug, um weite Strecken auf sich zu nehmen, um sich ausschließlich in Zentren therapieren zu lassen. Es muss uns somit gelingen, mithilfe der Politik und genügender finanzieller Ressourcen auch wieder neurologische Kassenarztsitze außerhalb der Ballungszentren zu generieren und zu besetzen.

Zusammenfassend gibt es somit doch einige Probleme, die die Zukunft bereit hält. Nach gründlicher Analyse werden wir aktiv mit Lösungsvorschlägen auf die Politik zugehen. Unseren Teil werden wir leisten, wir haben ein sehr aktives Programm für junge Studenten etabliert, das möglichst viele zur Überlegung bringen soll, Facharzt für Neurologie zu werden. Dazu gehören die Summer-Schools, die wir in Köln und Dresden vor wenigen Wochen erfolgreich durchführten. Die Jungen Neurologen, die vielleicht noch besser den Ton der Studenten treffen als wir Älteren, sollen durch intelligente Projekte die Faszination des neurologischen Fachs den Studenten und zum Teil Schülern nahe bringen. Es muss uns des Weiteren gelingen, dass wir nicht 50 % unserer ausgebildeten Studenten irgendwohin verlieren, sondern diese müssen wieder mehrheitlich am Krankenbett ankommen und somit für unsere Patienten zur Verfügung stehen. Das heißt, wir müssen das Medizinstudium und das spätere Tätigsein als Arzt in Deutschland wieder attraktiver machen. An dieser Stelle ist es deswegen äußerst ermutigend zu sehen, dass sich viele von Ihnen aktiv in die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und die Lösung dieser Probleme einbringen. Sei es in der Praxis, in der Klinik oder eben auch in Kommissionen und Gremien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. An dieser Stelle möchte ich Ihnen allen für dieses Engagement danken und habe somit keine Bange, dass wir gemeinsam auch diese schwierigen Zeiten bestehen werden.

Ihr Heinz Reichmann

1 Vortrag auf der Eröffnungsveranstaltung, am 24.9.2009, bei der 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

1 Vortrag auf der Eröffnungsveranstaltung, am 24.9.2009, bei der 82. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

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