Krankenhaushygiene up2date 2009; 4(1): 4-5
DOI: 10.1055/s-0029-1214449
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Laminar Airflow: kein Schutz vor Infektionen

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Publication Date:
09 March 2009 (online)

Brandt C, Hott U, Sohr D et al. Operating room ventilation with laminar airflow shows no protective effect on the surgical site infection rate in orthopedic and abdominal surgery. Ann Surg 248; 5: 695 – 700

Die infektionsprophylaktischen Aspekte von raumlufttechnischen Anlagen in OP-Abteilungen werden in nächster Zeit vermehrt diskutiert werden, da die Nachfolgeversion der DIN 1946, Teil IV seit kurzem verabschiedet ist (DIN 1946-4: 2008-12). Der vorliegende Artikel von Christian Brandt und Kollegen kommt daher gerade rechtzeitig, um das Augenmerk von den verschiedenen Aspekten der Realisierung und Überprüfung moderner Reinraumtechnik auf das eigentlich interessierende Endergebnis, nämlich die Auswirkung auf die Rate von postoperativen Wundinfektionen, zu lenken. Die Datenlage hierzu wurde bereits ausführlich in dieser Zeitschrift besprochen [Krankenh.hyg. up2date 2007; 2: E1 – E27]. Kurz gesagt gibt es bislang kaum „harte” Daten, die eine aufwändige Reinlufttechnik zur Infektionsprophylaxe stützen können [Annals of Surgery 2008; 248: 701 – 702]. Lediglich die in diesem Zusammenhang überstrapazierte so genannte Lidwell-Studie [Br Med J 1982; 285:10 – 14] wurde randomisiert und kontrolliert durchgeführt. Leider konnte hier die Gabe einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe als protektiver Faktor im Sinne eines „confounders” nicht angemessen berücksichtigt werden. So wurde seitdem für die Implantation großer Fremdkörper, wie z. B. Hüft- oder Kniegelenksendoprothesen, ein möglicher infektionsprophylaktischer Effekt von raumlufttechnischen Anlagen mit „laminar airflow” (LAF) diskutiert.

In der vorliegenden Arbeit werteten die Autoren umfangreiches Datenmaterial des bundesdeutschen Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) hinsichtlich der verwendeten Raumlufttechnik aus. Ziel der Studie war es, den Einfluss HEPA-filtrierter Raumluft, entweder turbulent oder durch laminar-airflow-Technik gerichtet auf postoperative Wundinfektionsraten bei häufig durchgeführten orthopädischen und abdominellen Eingriffen (Hüft- und Knieendoprothetik, Appendektomien, Cholezystektomien, Koloneingriffe und Leistenoperationen) zu untersuchen. In den sorgfältig konzipierten statistischen Analysen wurden die bei KISS verfügbaren Einflussfaktoren auf postoperative Wundinfektionen (so genannte „confounder”) wie Geschlecht, Alter, ASA-Score, Wundklassifikation und Dauer der Operation berücksichtigt. Ebenfalls gingen endoskopischer Operationszugang, Häufigkeit der durchgeführten Operation, Größe sowie akademischer Status des Krankenhauses, Langzeitteilnahme an KISS und natürlich die Art der raumlufttechnischen Anlage in die Auswertung ein.

Der Datenpool aus den Jahren 2000 bis 2004 umfasste 63 operative Abteilungen in 55 Kliniken mit über 99 000 Eingriffen. Insgesamt traten 1901 postoperative Wundinfektionen auf. Die multivariate Analyse ergab unerwarteterweise eine Tendenz zu einem höheren Wundinfektionsrisiko in OP-Räumen, die mit laminar-airflow-Technologie ausgestattet waren. Das Risiko (Odds Ratio) für tiefe Wundinfektionen nach Hüftendoprothesenimplantation war unter laminar-airflow-Belüftung signifikant höher als unter konventioneller turbulenter Belüftung mit HEPA-filtrierter Luft. Es zeigte sich kein signifikanter infektionsprophylaktischer Effekt einer laminaren Belüftung bei häufig durchgeführten Operationen wie Koloneingriffen, Cholezystektomien, Appendektomien, Bauchhernienoperationen und Implantation von Knieendoprothesen. Darüber hinaus erwiesen sich die Risikofaktoren Alter und Geschlecht (analog zum US-amerikanischen NNIS – National Nosocomial Infection Surveillance System) als signifikante Risikofaktoren für Infektionen. Mit einem niedrigeren Risiko verbunden war endoskopisches Vorgehen bei Appendektomien, Cholezystektomien und Leistenhernienoperationen, jedoch nicht bei den Koloneingriffen.

Wo liegen nun die Einschränkungen bei der Bewertbarkeit o. g. Ergebnisse? Die in die Analyse eingegangenen Variablen können naturgemäß nicht alle „confounder” berücksichtigen, die sich auf postoperative Wundinfektionen auswirken. Beispiele hierfür wären Rauchgewohnheiten, Übergewicht, intraoperative Körpertemperatur, Blutzucker und adäquate chirurgische Technik. Bei multizentrisch erhobenen Daten können immer auch unterschiedliche Erfasserinterpretationen vorkommen. Letzteres wird jedoch sicherlich mehr als ausgeglichen durch die große Anzahl der teilnehmenden Kliniken und Eingriffe. Außerdem nehmen die Erfasser in aller Regel an einer jährlichen Auffrischung teil (KISS-Erfahrungsaustausch in Berlin).

Schwieriger zu interpretieren ist das eher ungünstige Ergebnis der OPs mit laminar-airflow-Belüftung: Die Autoren diskutieren beispielsweise die Tatsache, dass sich die Köpfe der Chirurgen in der Regel über dem OP-Feld direkt im laminaren Luftstrom von der Decke in Richtung Wunde befinden. Dadurch könnten bakterienbeladene Hautschuppen oder Tröpfchen in das OP-Feld eingetragen werden. Ein anderer Erklärungsversuch ist, dass eine intensive laminare Belüftung zu niedrigeren Gewebstemperaturen während des Eingriffs führen könnte. Allerdings wurden bislang lokale Wundtemperaturen nicht in größerem Stil im Zusammenhang mit der Belüftung untersucht. Andererseits ist bekannt, dass systemische Hypothermie ein Risikofaktor für Wundinfektionen ist.

Fazit: Die vorliegende Arbeit verleiht einer der Kernaussagen der in dieser Zeitschrift kürzlich erschienen Literaturübersicht zu Raumlufttechnik und Infektionen Nachdruck, nämlich „dass es auch für Operationen mit Implantation großer Fremdkörper nur marginale – und keineswegs überzeugende Hinweise dafür (gibt), dass die Luft als Erregerreservoir für endemische postoperative Wundinfektionen eine Rolle spielen kann” [Krankenh.hyg. up2date 2007; 2: E1 – E27]. Umso mehr gilt dies für die ebenfalls in dieser Übersicht getroffene Aussage, dass „… es keine Daten aus klinischen oder mikrobiologischen Studien (gibt), mit denen die Bedeutung der Luft als relevantes Erregerreservoir für endemische postoperative Wundinfektionen ohne Implantation großer Fremdkörper belegt werden könnte …” Nun sind die sich mit Infektionsverhütung beschäftigenden Fachgesellschaften gefragt, sowohl Krankenhausträgern als auch dem Öffentlichen Gesundheitsdienst Orientierung bei der Einschätzung des infektionsprophylaktischen Nutzens verschiedener Raumlufttechniken zu geben. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung der neuen DIN 1946, Teil IV. Die dort empfohlenen Anforderungen an die Raumlufttechnik sowie deren regelmäßige Überprüfung lassen eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob die aufwändigen technischen Anstrengungen auch einen infektionsprophylaktischen Nutzen mit sich bringen, vermissen.

Dr. med. Thomas Hauer, Freiburg

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