Zeitschrift für Phytotherapie 2009; 30(1): 3
DOI: 10.1055/s-0029-1213420
Editorial
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Phytotherapie 2009: Rückbesinnung auf die »Anwender«?

Volker Schulz
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Publication Date:
06 March 2009 (online)

Zum Jahresbeginn 2009 wurde die Kommission E turnusmäßig vom BMG neu berufen (siehe Seite 38 dieser Ausgabe). Sechs Fachbereiche waren für die nächsten 3 Jahre wieder zu besetzen. Von den insgesamt 24 bestellten Sachverständigen entfallen 15 auf den Bereich der »Anwender«. Alle übrigen Fachbereiche, nämlich Pharmakologie und Toxikologie, klinische Pharmakologie, medizinische Statistik, Pharmazie und Patientenvertretung sind mit jeweils einem Mitglied und dessen Stellvertreter dabei. In dieser Besetzung arbeitet die Kommission seit 30 Jahren. Der Gesetzgeber hat es mit dem AMG von 1976 so gewollt.

Die Zeitschrift für Phytotherapie (ZPT) erscheint mit dieser Ausgabe ebenfalls in ihrem 30. Jahrgang. Die fachliche Gewichtung der Beiträge entwickelte sich aber anders, als es den Stimmenverhältnissen in der Kommission E entspricht. Bei der Mehrzahl der Manuskripte geht es gegenwärtig um Ergebnisse aus der Forschung und Entwicklung zur pharmazeutischen Qualität, zur Pharmakologie und Toxikologie sowie zur klinischen Prüfung und Humanpharmakologie. Die biometrische Analyse der Primärdaten gehört regelmäßig dazu. Das gilt in besonderem Maße für die Ergebnisse kontrollierter Therapiestudien mit pflanzlichen Arzneimitteln, über die mittlerweile in jedem Einzelheft der ZPT berichtet wird.

Bei dieser Gegenüberstellung könnte sich die Frage aufdrängen, ob die konstant gebliebene Vertretung der Sachverständigen in der Kommission E dem wissenschaftlichen Fortschritt nachhängt, oder ob sich die Phytotherapie in den letzen Jahrzehnten zu sehr an »schulmedizinischen« Trends und zu wenig am traditionellen Kern ihrer selbst orientiert hat?

Die Wurzeln der Pflanzenheilkunde beruhen auf den Erfahrungen, die ihre »Anwender« bei Patienten gesammelt haben. Der Prüfstein dafür, ob die individuelle Beobachtung kausal oder zufällig war, wird derzeit vor allem in doppelblinden Vergleichsstudien mit Placebo gesehen. Die Allopathie, zu der sich die moderne Phytotherapie zählt, sieht darin ihr Markenzeichen. »Noch«, könnte man hinzufügen, denn der bekannte Goldstandard der Pharmakotherapie gerät bei bestimmten Anwendungsgebieten ins Wanken. Ob Depression, Demenz oder Dyspepsie: Offenkundig sind die Placebo-Verum-Differenzen artifizieller Therapiestudien bei solchen Indikationen gar nicht repräsentativ für die Erfolge entsprechender Behandlungen in der Praxis. Das gilt für chemische Wirkstoffe zwar ebenso wie für pflanzliche. Die Vertreter der Phytotherapie sollten die Signale aber mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen. Tragen sie doch gegenwärtig schwerer als andere an der Last des negativen Ausgangs großer Therapiestudien mit alten »Flaggschiffen« wie Echinacea, Hypericum, Serenoa, Cimicifuga, Allium sativum, Crataegus und jetzt auch Ginkgo biloba (siehe Seite 20).

Diskrete Zeichen der Neubesinnung im Umfeld der Phytotherapie sind zu erkennen: Eine Metaanalyse zu Ginkgo biloba differenzierte jüngst zwischen »interner« und »externer Validität« der Studien; die Erstere bemisst sich wie bisher an statistischen Designer-Maßstäben, die Letztere berücksichtigt daneben die Stimmigkeit des therapeutischen Umfelds ([1]). Eine Bewertung im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) suchte in pragmatischer Gegenüberstellung verfügbarer Behandlungsalternativen nach »verträglichen« Lösungen – das Ergebnis der jüngsten IQWiG-Analyse zu Ginkgo biloba könnte zumindest in diesem Sinne zu verstehen sein (siehe Seite 27). Ein Pharmakovigilanzsystem für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ([2]) scheint hier den Faden aufgenommen zu haben. Die Phytotherapie sollte sich anschließen, nicht nur, um aktuelle und belastbare Daten zur Akzeptanz und Verträglichkeit ihrer Präparate zu gewinnen, sondern auch, um bei dieser Gelegenheit verloren gegangene Kontakte zu ihren »Anwendern« wieder zu beleben.

Literatur

  • 1 Bornhöft G, Maxion-Begemann S, Matthiessen PF. Die Rolle der externen Validität bei der Beurteilung klinischer Studien zur Demenzbehandlung mit Ginkgo biloba Extrakten.  Z Geront Geriatr. 2008;  41 298-312
  • 2 Matthes H, Tabali M, Jeschke E. Ein Pharmakovigilanzsystem für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen – Ergebnisse einer Projektstudie.  Erfahrungsheilkunde. 2008;  57 34-39
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