Die Strahlenbehandlung des Krebses. I.
Zusammenfassung
Das Karzinom ist für die Therapie keine einheitliche Aufgabe. Die Uteruskarzinome
nehmen eine Sonderstellung ein. Dadurch erklären sich die Gegensätze in der Bewertung
der Strahlentherapie zwischen Chirurgen und vielen Gynäkologen. Zur Zeit kann die
Behandlung des chirurgischen Karzinoms nur operativ sein. Die bisher viel vertretene,
zeitweise sogar herrschende Auffassung, daß jedes Karzinom eine gleichmäßige Radiosensibilität
besitzt und daß es nur eine Frage der Dosierung sei, ob man es beseitigen könne oder
nicht, muß endgültig aus unserer Betrachtung ausscheiden. Wie sich diese Verschiedenheit
der Wirkung erklärt, entzieht sich vorläufig noch unserer Kenntnis. Ueber die rohe
Empirie sind wir noch nicht hinausgekommen. A priori könnte man ja annehmen, daß eine
Krebsbildung um so leichter durch Bestrahlung zu beeinflussen ist, je radiosensibler
der Mutterboden ist, auf dem sie entstanden ist. Diese Erklärung trifft für das Uteruskarzinom
nicht zu, denn wir haben gesehen, daß die Schleimhaut des Uterus und der Vagina ausgesprochen
schwach empfindlich gegen Bestrahlung ist. Es ist wahrscheinlich, daß entwicklungsgeschichtliche
Vorgänge hier eine Rolle spielen. Ich will nicht etwa hier zurückgreifen auf die alte,
mit Recht verlassene Cohnheimsche Theorie, sondern ich denke mir die Vorgänge so:
das Karzinom entsteht entweder örtlich und bleibt lokalisiert, oder es entsteht auf
Grundlage konstitutioneller Faktoren und generalisiert. Die örtliche Entstehung ist
auf falsche Chromosomenkoppelung zurückzuführen. Der formative Trieb der Zelle mit
falscher Chromosomenkoppelung wird durch Ektohormone lange niedergehalten und gelangt
erst dann zu freier Entfaltung, wenn die Ektohormone wirkungslos werden und damit
die Endohormone das Uebergewicht erhalten. Dies tritt ein in dem Lebensalter, in dem
erfahrungsgemäß das Karzinom am meisten klinisch beobachtet wird. Ganz im Gegensatz
dazu entwickelt sich die andere Krebsform. Hier entstehen fermentative Abartungen
im Organismus. An irgendeiner Stelle rufen Reize chemischer oder physikalischer Art
eine Karzinomentwicklung hervor. Diese Krebsform neigt zur Generalisation. Auf erstere
ist die Strahlentherapie wirkungsvoll, auf letztere nicht.