Zusammenfassung
Bei unserem ersten Kranken mußte man annehmen, daß dieser chylöse Erguß nicht per
diapedesin, sondern mehr infolge der durch den Druck auf den Ductus thoracicus entstandenen
Stauung im Milchbrustgang selbst und dessen Zerreißen zustande gekommen ist, obgleich
wir diese Annahme weder durch Operation noch durch Sektion zu bestätigen Gelegenheit
fanden. Die schnelle Ansammlung der Flüssigkeit und ihre chemischphysikalische und
mikroskopische Beschaffenheit paßten mehr zu einem chylösen Erguß. Die per os gegebene Orcanettelösung in Olivenöl färbte den Erguß deutlich
und bestätigte mithin die Herkunft des Ergusses vom Ductus thoracicus. Bei unserem
zweiten Falle hatten wir klinische Beweise, die uns zur Annahme eines malignen Tumors
und einer Peritonitis zwangen. Nach seinen physikalischen, chemischen und mikroskopischen
Eigenschaften war der Erguß mehr chyliform zu nennen. Orcanette hat diesen Aszites nicht färben können. Auch mit unserem Reagens
konnten wir keine Orcanette feststellen.
Es ist schwierig, durch Vertiefung der chemischen, physikalischen und mikroskopischen
Untersuchungen bei einem Kranken mit milchartigem Erguß die Differenzierung des vorliegenden
Ergusses in chylöse, chyliforme und pseudochylöse Gruppen fertigzubringen. Die Straußsche
Fettdiätprobe , die darin besteht, daß man dem Kranken eine Fettdiät vorschreibt und darauf die
Fettmenge im milchigen Ergüsse kontrolliert, hat in der Klinik nicht immer zum positiven
Ergebnis geführt. Da die Fette nicht in gleicher Beschaffenheit durch die Darmwand
resorbiert werden, so meint Leidhecker, daß das Olivenöl mit seiner Beschaffenheit
zu diesem Zwecke ungeeignet sei. Die Erhöhung des Fettgehaltes eines milchigen Ergusses
nach der Fettdiät wird für einen positiven Beweis für die chylöse Beschaffenheit dieses
Ergusses gehalten. Manche Autoren legen auf das positive Ausfallen der Probe mehr
Wert, andere behaupten gerade das Gegenteil.
Da man dem Kranken wegen der Anorexie oder Widerwillen nicht immer beliebig viel Fett
zu geben vermag, und da das Problem der Ausnutzungsfähigkeit der Fette durch den Organismus
selbst einer gesonderten Betrachtung harrt, so kann die Straußsche Fettdiätprobe nicht
immer als zuverlässig angesehen und ihre Ausführung nicht als leicht bezeichnet werden.
Die Flüssigkeit, die wir bei unserem zweiten Kranken durch Punktion gewonnen hatten,
hatte sowohl adipöse als auch chylöse Beschaffenheit. Das Nichtübergehen der Orcanette
in den Erguß zeigte uns, daß sein Milchigsein in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt
des Ductus thoracicus stand.
Das orcanettehaltige Olivenöl ist ein Mittel, das man jedem Kranken als Arznei verordnen
kann. Da der Farbstoff auch in geringer Menge in den Ductus thoracicus und mithin
in die mit diesem Duktus in Verbindung stehenden Höhlen (mit den Fetten, die per diapedesin
oder durch das Zerreißen eindringen) übergehen kann, so ist seine Bestimmung in diesen
Ergüssen mit dem angegebenen Reagens sehr einfach.
Es hat sich herausgestellt, daß die Orcanettemenge die chylösen Ergüsse deutlich rot
färbt und in die gewöhnlichen entzündlichen oder nicht entzündlichen Brust- und Bauchergüsse
nicht übergeht. Der Gebrauch der Orcanette scheint uns nicht nur über chylöse Ergüsse, sondern vielleicht auch noch über Chylurie
und Lipämie, über deren Wesen die Meinungen noch geteilt sind, manche lehrreiche und
nutzbringende Aufklärung bringen zu können.