Fortschr Neurol Psychiatr 2009; 77(4): 191
DOI: 10.1055/s-0028-1109333
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zerebrale Sinus- und Venenthrombosen: Helfen uns D-Dimere oder endovaskuläre Lyse aus den diagnostischen oder therapeutischen Dilemmata?

Cerebral Sinus and Venous Thrombosis: Can D-Dimer Levels or Endovascular Thrombolysis Help to Escape the Diagnostic or Therapeutic Dilemma?Gereon R Fink1
  • 1Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinik Köln
Further Information

Publication History

Publication Date:
03 April 2009 (online)

Die Thrombose zerebraler und duraler Hirnvenen oder Sinus kann durch die Erhöhung des intrakraniellen Druckes infolge der Abflussbehinderung des Blutes schnell zu lebensbedrohlichen Zuständen führen. Eine rechtzeitige Diagnosestellung und Einleitung der geeigneten Therapiemaßnahmen sind deshalb von größter Wichtigkeit zur Vermeidung unnötiger Folgeschäden und oft auch lebensrettend. Da die frühen Symptome einer Sinus- bzw. zerebralen Venenthrombose häufig unspezifisch sind oder aber – weil letztlich doch in der Praxis eher selten – die Sinus- bzw. Venenthrombose differenzialdiagnostisch oft auch nicht rechtzeitig mitbedacht wird, wird die Erkrankung trotz verbesserter diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten immer wieder zu spät erkannt (und sehr wahrscheinlich auch oft übersehen). Die Arbeit von Koennecke „Zerebrale Sinus- und Venenthrombosen“ im Fort- und Weiterbildungsteil der aktuellen Ausgabe der „Fortschritte der Neurologie · Psychiatrie“ versucht folgerichtig, die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Erkrankungsbild zu richten und vermittelt aktuell den Stand zu Epidemiologie und Pathologie, Ursachen und Risikofaktoren, Klinik, Diagnostik, Therapie und Prognose. Die Arbeit von Koennecke steht in einer Reihe von Artikeln in den Fortschritten, die sich entweder als Übersichtsarbeiten [1] [2] [3] oder als Originalarbeiten [4] mit dem Thema direkt oder aber aufgrund der Differenzialdiagnosen indirekt [5] [6] [7] beschäftigt haben.

Insbesondere die in den letzten Jahren erzielten Fortschritte zu Diagnostik und Therapie werden kritisch evaluiert. So wird zum Beispiel mit dem weithin akzeptierten Vorurteil aufgeräumt, dass negative D-Dimere ein geeigneter Parameter sind, um eine zerebrale Sinus- oder Venenthrombose sicher auszuschließen – die hohe Sensitivität von bis zu 97 % [8] darf nicht dazu verleiten, die falsch negativen Ergebnisse (je nach Studienlage 3 – 26 %) zu übersehen. Letzteres scheint insbesondere für Patienten zu gelten, die lediglich Kopfschmerzen beklagen [9] (die wichtige Differenzialdiagnose zur Migräne und die Fallstricke bei Migräne-Patienten mit Sinus- oder Venenthrombose werden ebenfalls von Koennecke erläutert). Hinzu kommt, dass D-Dimere auch im Rahmen von Infekten etc. ansteigen können (Spezifität je nach Studien ca. 90 %). Neben diagnostischen Neuigkeiten werden auch neue therapeutische Ansätze wie die endovaskuläre Thrombolyse diskutiert – die zurzeit vorliegenden Fallserien und Einzelberichte ermöglichen weder ein abschließendes Urteil, noch erlauben sie eine allgemeine Therapieempfehlung selbst in Zentren, die über eine neuroradiologische Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft verfügen.

Gerade der letzte Punkt veranschaulicht ein wesentliches Problem mit der zerebralen Sinus- und Venenthrombose: Wie Koennecke ausführt, existieren nicht einmal reliable Daten zur Inzidenz der Erkrankung – solange aber unklar ist, wie oft eine Erkrankung auftritt, wie ihr Spontanverlauf ist etc., sind Angaben zur Prognose unsicher und Therapiestudien dementsprechend schwierig. Der gegenwärtige „Goldstandard“ der Therapie – leitliniengerecht in der Akutphase mit intravenös verabreichtem unfraktionierten Heparin für mindestens 10 – 14 Tage und nachfolgender oraler Antikoagulanzienbehandlung für 3 – 6 Monate – ist empirisch gut gesichert und pathophysiologisch gut fundiert. Nur multizentrische Studien werden aber nachweisen können, ob diese Therapie tatsächlich für alle Patienten mit fulminanten Sinusthrombosen ebenso wie mit kleinen Brückenvenenthrombosen die beste Therapie darstellt. Zumindest bis dahin bleibt das Krankheitsbild der zerebralen Sinus- oder Venenthrombose ein klinisch spannendes und potenziell hochgefährliches neurologisches Erkrankungsbild, an das öfter gedacht werden sollte: sowohl um eine bessere Datenlage zu schaffen als auch um Patienten frühzeitig der adäquaten Therapie zuführen zu können.

Literatur

Prof. Dr. Gereon R. Fink

Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie Universitätsklinik Köln

Kerpener Straße 62

50937 Köln

Email: gereon.fink@uk-koeln.de