ZFA (Stuttgart) 2008; 84(10): 428-435
DOI: 10.1055/s-0028-1087184
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Welche Erfahrungen haben deutsche Hausärzte mit Patienten mit Migrationshintergrund? Ergebnisse einer Fokusgruppendiskussion mit Hausärzten

Experience of German General Practitioners with Patients having a Migration Background – Results of a Focus GroupH. Gerlach 1 , N. Becker 1 , H.-H. Abholz 1
  • 1Abteilung Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
Further Information

Publication History

eingereicht: 03.08.2008

akzeptiert: 04.09.2008

Publication Date:
17 October 2008 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Drei bis über 50% der Bevölkerung Deutschlands haben einen Migrationshintergrund. Es liegen bislang kaum Forschungsergebnisse über Erfahrungen deutscher Hausärzte mit Patienten mit Migrationshintergrund vor.

Methode: Es wurde eine non-direktive Fokusgruppendiskussion mit 30 Hausärzten und Hausärztinnen zu erzählgenerierender Eingangsfrage nach Erfahrungen mit Patienten mit Migrationshintergrund durchgeführt. Die inhaltsanalytische Auswertung wurde nach einem am Material entwickelten Kategoriensystem durch die drei Autoren unabhängig voneinander durchgeführt und danach in einem Konsentierungsprozess bearbeitet.

Ergebnisse: Die gefundenen Hauptkategorien sind: 1. Kommunikation, 2. Eigen- und Fremdverständnis in Bezug auf Kultur und Krankheit, 3. Empathie und Verständnis, 4. Verunsicherung, Hilflosigkeit und Wut sowie 5. Verallgemeinerung, Diffamierung und Ausgrenzung. Die Teilnehmenden (TN) konstruierten ein „eigenes” und ein „fremdes” Verständnis von Kultur und Krankheit und setzten dabei ihr „eigenes” als Norm. Bemühen um empathisches Verstehen der Patientengruppe kam partiell zum Ausdruck. Die TN fühlten sich gegenüber der Patientengruppe verunsichert und hilflos, was sich u. a. auch in Wut äußerte. Verallgemeinerungen, diskriminierendes und ausgrenzendes Verhalten wurden mehrfach deutlich und sind eine Ausdrucksart von Rassismus.

Schlussfolgerungen: Die TN zeigen trotz ihres bewussten Bemühens um Vermeidung rassistischen Denkens und Handelns dennoch Hinweise darauf. Dies muss in weiteren Forschungen untersucht werden. Gleichzeitig sollten Maßnahmen gegen Alltagrassismus und strukturellen Rassismus in der Allgemeinmedizin durchgeführt werden, wie dies z. B. mit der Implementierung von Diversity-Programmen möglich ist.

Abstract

Background: In spite of some research on immigrants in German Health Care there exists hardly any research on General Practitioners (GP) experiences with immigrants or with patients having a migration background.

Methods: A focus group with about 30 German family doctors was held, documented and transcribed. The authors performed independently a content analysis and developed inductively a categorical system in a consensus process.

Results: The categories found are: 1. Communication, 2. Concepts of culture and disease 3. Empathy and understanding, 4. Personal insecurity, helplessness and anger and 5. Generalising, defamation and social exclusion. The participants (P) saw a major problem in verbal communication with their patients due to their presumed low level of German language. Ps constructed an “own”, a “self” and an “another” concept of culture and disease when reflecting on themselves and their migrant patients. A profound effort for an empathic understanding of patients from this group was expressed by some Ps. Ps did not report on own discriminating behaviour or racism. However they demonstrated such thinking, speaking and acting. A few participants could perceive differences and individuality within this patient group.

Conclusions: It could be shown that behind Ps effort for a non-discriminating approach to patients with a migration background, they presented an attitude of otherization, generalisation, essentialisation, prejudices, discrimination and racism. To overcome discrimination and racism in German General Medicine, it is necessary to develop and implement “equity and diversity approaches”.

Literatur

  • 1 Sechster Familienbericht der Bundesregierung in Beck-Gernsheim E .Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf Migranten und Minderheiten. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004
  • 2 , Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Dritter Bericht über Deutschland, verabschiedet am 5. Dezember 2005, Straßburg, den 8. Juni 2004: European Commission against Racism and Intolerance, Datum der Abfrage: 04.9.2008: http://www.coe.int/ecri , country by country approach, Germany, German version, Dritter Bericht über Deutschland, verabschiedet am 5. Dezember 2003: http://www.coe.int/t/e/human_rights/ecri/1-ecri/2-country-by-country_approach/germany/3e_rapport_allemagne_allemand.pdf , S. 6
  • 3 Gerlach H, Becker N, Fuchs A. et al . Diskriminierung von Schwarzen aufgrund ihrer Hautfarbe? Ergebnisse von Focusgruppendiskussionen mit Betroffenen im deutschen Gesundheitswesen.  Das Gesundheitswesen. 2008;  70 47-52
  • 4 Lamneck S. Gruppendiskussion. Theorie und Praxis. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 1998 2. Auflage 2005: 26
  • 5 Merton RK, Kendall PL. in Christel Hopf und Elmar Weingarten, Hrsg Qualitative Sozialforschung. Stuttgart: Klett-Cotta 1979 2. Auflage 1984: 171
  • 6 Bohnsack R. in Flick Uwe, von Kardorff E, Steinke I, Hrsg Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt 2000 4. Auflage 2005: 372
  • 7 Dittmar N. Transkription. Ein Leitfaden für Studenten, Forscher und Laien. 2. Auflage. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2004 236: 99-101
  • 8 Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse – ein Überblick. In: Flick U, von Kardorff E, Steinke I, Hrsg Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek: Rowohlt 2000 4. Auflage 2005: 468–475
  • 9 Flick U. Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. 5. Auflage. Reinbek: Rowohlt 2000: 212-215
  • 10 Kluge .Bearb. von Elmar Seebold, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. durchgesehene und erweiterte Auflage. Berlin/New York: Walter de Gruyter 2002
  • 11 Sow N. Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. München: C. Bertelsmann Verlag 2008
  • 12 BMA. Equal Opportunities Committee . , Datum der Abfrage: 3. August 2008: http://www.bma.org.uk/ap.nsf/content/hubequalopportunitiescommittee , Zusammenfassung des Strategieplans: http://www.bma.org.uk/ap.nsf/content/eocsummary

1 Auch ECRI gebraucht den Begriff „ausländerfeindlich” an dieser Stelle deutlich als Surrogat für Rassismus, da Weiße mit Pässen aus der Schweiz, den USA, England, Schweden usw. nicht „ausländerfeindlicher” Gewalt ausgesetzt sind.

2 „Schwarze” steht hier nicht für die „schwarz” als Farbe, sondern als gesellschafltich-politischer Begriff, der Selbstbezeichnung von „Schwarzen Deutschen” entspricht und daher mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben wird.

3 Der „Pulk” ist eine zusammengehörige Gruppe von Fahrzeugen, in älterer Bedeutung auch Truppenteil und ist entlehnt aus dem polnischen „pôlk” und russischen „polk” für „Heer, Truppe, Schar”. Auffallend ist vor allem, dass diese Bezeichnung kaum auf eine Gruppe von weißen, blonden, blauäugigen Personen angewandt werden würde, wenn diese gemeinsam eine Einrichtung aufsuchen und in dem gebrauchten Zusammenhang eine diffamierende, herabwürdigende Konnotation aufweist [10].

Korrespondenzadresse

Dr med. H. Gerlach

Fachärztin für Allgemeinmedizin

Betriebsmedizin

DTMPH

Kurstraße 1 e

14129 Berlin

Email: Heli.Gerlach@t-online.de

    >