Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P797
DOI: 10.1055/s-0028-1087051

Sexualfunktionsstörungen bei Multipler Sklerose

A.K Kuhn 1, M Wirtz 1, K Hubbert 1, S Schipper 1
  • 1Bochum, Düsseldorf

Hintergrund: Die Multiple Sklerose (MS) kann zu Sexualfunktionsstörungen (SFS) führen, je nach Studie berichten 40–80% der MS-Erkrankten darüber. Die Erhebung der Problematik leidet unter der Schambesetztheit der Thematik, hohe Raten fehlender Antworten beeinflussen die Aussagekraft der Ergebnisse.

Fragestellung: Ziel der Voruntersuchung soll eine erste Beschreibung der Häufigkeit und Art von SFS und der sexuellen Zufriedenheit der Erkrankten, u.a. in Abhängigkeit vom Geschlecht, sein.

Methode: Eingesetzt wurde der Multiple Sclerosis Intimacy and Sexuality Questionnaire-19 (MSISQ-19), überdies wurden soziodemographische und krankheitsbezogene Daten erhoben. Der Fragebogen wurde bei Selbsthilfegruppentreffen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Landesverband Nordrhein-Westfalen (DMSG-LV NRW) eingesetzt, zwecks Enttabuisierung der Thematik wurde ein Fachvortrag der Datenerhebung vorangestellt.

Ergebnisse: Insgesamt nahmen 27 Personen teil, im Vergleich zu anderen Studien fällt die hohe Rate männlicher Probanden (42,3%) auf. Die Teilnehmer waren zwischen 25 und 61 Jahre alt (M=44,5, SD=9,59), vorrangig leicht beeinträchtigt (EDSS <4: 68%) und lebten in ca. der Hälfte der Fälle in einer Partnerschaft (60%). Nach eigener Einschätzung leiden 37% unter SFS, davon signifikant mehr Männer (64%) als Frauen (13%). Es finden sich primäre, sekundäre und tertiäre SFS. Am häufigsten finden sich gemäß MSISQ-19 Lubrikations- bzw. Erektionsprobleme (39%), aber auch die Verzögerung des Orgasmus betrifft ca. ein Drittel der Befragten. Die Männer beschreiben im Vergleich zu den Frauen eine geringere sexuelle Zufriedenheit, sie berichten mehr sexuelle Probleme durch gemindertes Selbstvertrauen. Tendenziell signifikante Abweichungen in der genannten Richtung finden sich bezüglich der Orgasmusintensität, des Einflusses eingeschränkter Beweglichkeit, der Angst vor Zurückweisung, Problemen mit der Konzentration, Gedächtnisleistungen und den Denkprozessen sowie des Erlebens verminderter Männlichkeit respektive Weiblichkeit.

Schlussfolgerungen: Organische und psychische Einflüsse der MS auf das Sexualleben mindern insbesondere bei Männern die sexuelle Zufriedenheit. Die Erfassung der SFS durch das gewählte Vorgehen (Einsatz des MSISQ-19, Enttabuisierung durch Information) erscheint sinnvoll, anzustreben ist eine Erhöhung der Probandenzahl, um weitergehende Aussagen (z.B. hinsichtlich des Einflusses der SFS auf die Lebensqualität) treffen zu können.