Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P756
DOI: 10.1055/s-0028-1087010

SANDO bei eineiigen Zwillingsschwestern

S Siebert 1
  • 1Ingolstadt

Hintergrund: In den letzten Jahren wurden Mutationen im POLG1-Gen als Ursache einer Reihe phänotpisch heterogener Erkrankungen identifiziert, darunter SANDO (sensible ataktische Polyneuropathie, Dysarthrie, Ophthalmoparese), CPEO und Alpers-Syndrom. Das Genprodukt Polymerase gamma stellt das Schlüsselenzym bei der Replikation mitochondrialer DNA dar. Wir berichten über ein SANDO-Syndrom bei eineiigen Zwillingschwestern mit einer bislang nicht beschriebenen Kombination von bekannten Mutationen im POLG1-Gen.

Kasuistik: In der Anamnese seit Jahren zunehmende Gangunicherheit und aufsteigende Gefühlsstörungen der unteren Extremitäten.

Klinisch besteht eine inkomplette externe Ophthalmoplegie mit beidseitiger Ptose, Dysarthrie, Dysphagie, ein Zieltremor im Finger-Nase-Versuch und eine sensible axonale Polyneuropathie mit schwerer propriozeptiver Ataxie. Im Schädel-MRT finden sich beidseits bandfömige Gliosezonen cerebellär. Die Muskelbiopsie blieb unter Einschluss von Spezialuntersuchungen (Elektronenmikroskopie, Enzymdiagnostik, Atmungskettendiagnostik) ohne Hinweis auf eine mitochondriale Störung. Molekulargenetisch fanden wir, jeweils compound heterozygot, pathogene missense-Mutationen im POLG1-Gen: G2243C (Trp748Ser) und G1880A (Arg627Gln), zusätzlich eine Reihe von Polymorphismen, darunter Glu1143Gly.

Diskussion: Die Trp748Ser-Mutation wurde erstmals 2004 bei einem Patienten mit Ophthalmoparese, sensibler ataktischer Polyneuropathie und Tremor beschrieben, die Arg627Gln-Mutation erstmals 2005 bei einem Fall von SANDO. Die vorliegende Kombination von Mutationen wurde bislang nicht publiziert. Beide Mutationen liegen in der sogenannten spacer-Region des POLG1-Gens, der eine wichtige Rolle hinsichtlich der DNA-Bindungskapazität und DNA-Affinität der Polymerase gamma zugeschrieben wird. Sie kodiert jedoch nicht für eigentlichen katalytischen Domänen des Enzyms. Mutationen in dieser Region gehen häufig mit cerebellären Funktionsstörungen einher. Vergleichbare MRT-Veränderungen im Bereich des Nucleus dentatus wurden bei Patienten mit homozygoten Ala467Thr- oder Gln497His/Trp748Ser-Mutationen gefunden. Homozygote Trp748Ser/Glu1143Gly-Mutationen sind häufige Ursache autosomal rezessiv vererbter Ataxien in Finnland.

Schlussfolgerungen: Das SANDO-Syndrom stellt eine seltene Differentialdiagnose bei ataktischen Polyneuropathien dar. Auch bei negativer Muskelbiopsie können Mutationen im POLG-Gen vorliegen. Bei Verdacht sollte daher eine molekulargenetische Untersuchung erfolgen.