Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P649
DOI: 10.1055/s-0028-1086903

Schwere Leukoenzephalopathie als Immun-Rekonstruktions-Syndrom im AIDS-Stadium – Kasuistik: differentialdiagnostische und therapeutische Implikationen

C Oelschläger 1, R Dziewas 1, D Reichelt 1, M Hasselblatt 1, T Niederstadt 1, E.B Ringelstein 1, I.W Husstedt 1
  • 1Münster

Unter der hochaktiven, antiretroviralen Therapie (HAART) tritt eine Rekonstitution des Immunsystems ein, wobei gelegentlich abnorme Autoimmunreaktionen in der Initialphase auftreten können. Auf neurologischem Fachgebiet sind hochakut verlaufende Neuropathien und Leukoenzephalopathien von großer Bedeutung. Dargestellt wird eine Leukoenzephalopathie als Immun-Rekonstruktions-Syndrom (IRIS) mit klinischen, technischen und neuropathologischen Ergebnissen.

  • Alter, Medikation, Einweisungsgrund: Die 37-jährige Patientin stellte sich aufgrund von Verlangsamung, Sprachverlust sowie unspezifischen Kopfschmerzen neurologisch vor. Die antiretrovirale Therapie bestand aus Lopinavir/Ritonavir und Saquinavir. Darunter betrug die Viruslast 5600 Kopien/ml. Die CD8+ Zellen waren normwertig. Während sich die CD-4+ Zellen unter Therapie langsam erholten, war deren Anzahl noch auf die Hälfte reduziert.

  • Klinischer Befund: In der klinisch-neurologischen Untersuchung präsentierte sich eine psychomotorisch verlangsamte Patientin mit einer mittelschweren sensorischen Aphasie.

  • Untersuchungsergebnisse: Die MRT-Bildgebung zeigte eine ausgeprägte perivasculäre Infiltration sowie rechtsbetonte, großflächige Signalalterationen vor allem parietal sowie parieto-occipital gelegen. Eine umfangreiche serologische und liquorchemische Erregerdiagnostik fiel negativ aus, trotzdem wurde eine breite antibakterielle, -virale und -mykotische Therapie initiiert.

  • Verlauf mit therap. Maßnahmen: Im Verlauf kam es zu einem generalisierten Hirnödem. Die EEG-Diagnostik zeigte einen non-konvulsiven Status epilepticus. Aufgrund eines rasch beginnenden Komas wurde die Patientin intubationspflichtig. Medikamentös wurde mit Cortison therapiert. Die Patientin verstarb an einer Herniation des Hirnstamms.

  • Neuropathologie: In dem Autopsiematerial wurde eine Meningoencephalitis ohne Erregernachweis mit ubiquitär ödematöser Aufquellung sowie perivasculären, lymphozytären Infiltraten mit überwiegend zytotoxischen Zellen beschrieben.

Bei unklaren, rasch progredienten Leukoenzephalopathien nach Aufnahme einer HAART muss eine Leukoenzephalopathie als IRIS differentialdiagnostisch berücksichtigt werden. Auch der Einsatz einer stereotaktischen Biopsie ist in diesen Fällen gerechtfertigt, die meistens klare diagnostische Zuordnungen ergibt. Therapeutisch sind z.Zt. Cortison und Immunglobuline Mittel der ersten Wahl.