Aktuelle Neurologie 2008; 35 - P642
DOI: 10.1055/s-0028-1086896

Negativer-Effekt von ddI, ddC und d4T als Bestandteil der hochaktiven antiretroviralen Behandlung auf kognitive Funktionen während der HIV-Infektion

B Hudelmaier 1, K Biehl 1, D Reichelt 1, N Gregor 1, U Oelker-Grüneberg 1, S Evers 1, I.W Husstedt 1
  • 1Münster

Typische toxische Effekte der hochaktiven antiviralen Therapie (HAART) können in allen Organen auftreten und sind von neurologischer Seite insbesondere im peripheren Nervensystem durch ddI, ddC und d4T sowie in der Muskulatur gut bekannt. Der neurotoxische Effekt der antiretroviralen Medikamente ddI, ddC und d4T als Bestandteil von HAART auf neurokognitive Funktionen und das periphere Nervensystem wurde bei HIV-Infizierten in einer retrospektiven Querschnittsstudie klinisch und neurophysiologisch mit visuell ereigniskorrelierten Potentialen (P300) und einer Neurographie untersucht. Für die Patienten unter HAART betrug die mittlere Einnahme von ddI, ddC oder d4T 24±6 Monate. 28 HIV-Infizierte nahmen ddC, 18 ddI und 13 d4T ein. Als Kontrolle diente eine Gruppe von HIV-Infizierten unter HAART, die niemals mit ddI, ddC oder d4T behandelt worden waren. Neben den demographischen und laborchemischen Parametern wurden die Komponenten P2, N2, P3 und die Amplitude von P3 der P300 sowie die mittlere Reaktionszeit ausgewertet. Das Vorliegen einer HIV-assoziierten distal-symmetrische Polyneuropathie (DSP) wurde mit konventionellen klinischen und neurophysiologischen Methoden untersucht. Die statistischen Analysen ergaben keine signifikanten Unterschiede für die demographischen und laborchemischen Parameter zwischen beiden Kollektiven. Patienten, die mit ddI, ddC oder d4T behandelt worden waren, wiesen eine signifikante Verlängerung der Komponente P3 der P300 im Vergleich zum Kollektiv ohne diese Substanzen auf (448±45 vs. 431±33) msec(p<0.02). Die standardmäßigen klinischen und neurophysiologischen Untersuchungen ergaben eine höhere Prävalenz von kognitiven Beeinträchtigungen und dem Vorliegen einer DSP in der Gruppe unter ddI, ddD und d4T (p<0.009). Diese Studie weist nach, dass die ausgeprägt neurotoxischen Substanzen ddI, ddC und d4T neben der HIV-Infektion selber kognitive Alterationen bei HIV-Infizierten induzieren können. Diese Alteration der Kognition unter ddI, ddC und d4T ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die toxischen Effekte von ddI, ddC und d4T auf die gamma-Polymerase in den Mitochondrien des ZNS verursacht. Wie es durch Untersuchungen an Neugeborenen gezeigt wurde, kann nach Absetzen der neurotoxische Effekt von Retrovirustatika, die generell toxisch sind, bis zwei Jahre andauern. Neurotoxische Effekte von HAART stellen somit einen zusätzlichen Faktor der Entwicklung neuer Formen HIV-assoziierter neurologischer Einschränkungen dar.