Aktuelle Neurologie 2008; 35 - V212
DOI: 10.1055/s-0028-1086579

Eine neue Punktmutation im myelin protein zero (MPZ/P0) als Ursache einer schweren Ausprägung einer hereditären motorisch-sensiblen Neuropathie

J Zschüntzsch 1, P Dibaj 1, J Kötting 1, W.M Blaszczyk 1, C Neusch 1
  • 1Göttingen, Bochum

Einleitung: Die hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN), auch Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) genannt, ist die häufigste hereditäre Polyneuropathie (PNP) und wird in axonale und demyelinisierende Formen unterteilt. In der überwiegenden Zahl der demyelinisierenden Form (CMT1) liegt eine Duplikation oder Punktmutation im PMP22-Genlocus vor. Mutationen im MPZ (P0)-Gen zeigen eine hohe klinische Variabilität und können sowohl einer demyelinisierenden als auch einer axonalen Form der HMSN zugrunde liegen. Wir berichten von einem 35-jährigen deutschen Mann mit einer früh beginnenden, sensomotorischen, demyelinisierenden PNP bei dem nach Ausschluss einer Duplikation der Erbanlage PMP22 eine bisher nicht beschriebene Mutation im MPZ (P0)-Gen gefunden wurde.

Methoden: Die 6 Exons des MPZ (P0)-Gens wurden direkt sequenziert.

Ergebnisse: Der Pat. stellte sich zur weiteren Abklärung auf eine hereditäre Erkrankung bei verzögerter frühkindlicher motorischer Entwicklung vor. Bei der neurologischen Untersuchung fanden sich Atrophien der Hand- und Fußmuskulatur mit einer distal betonten Tetraparese vom KG 4 sowie eine distale Hypästhesie aller Extremitäten begleitet von einer Kyphoskoliose. Die Neurographie offenbarte eine schwere, sensomotorische, demyelinisierende PNP mit einer hochgradig reduzierten mNLG (<10m/sek). Die MRT-Untersuchung der LWS zeigte ausgeprägte Verdickungen von Kaudafasern mit Liquoreiweisserhöhung im Sinne eines Stop-Liquors. Die Sequenz-Analyse des MPZ (P0)-Gens ergab eine Insertion eines T-Nukleotids an Position 618_619 (M207fsX38) im heterozygoten Zustand, welche zur Leserasterverschiebung und vorzeitigem Proteinsynthese-Stop führt. Die Familienanamnese wie auch die klinische Untersuchung der Eltern ließen keine Zeichen einer PNP erkennen, so dass wir von einer de novo Mutation ausgehen.

Schlussfolgerung: Aufgrund der Anamnese, der klinischen Präsentation als auch der neurophysiologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit den Auftreibungen der Kaudafasern im LWS-MRT präsentiert sich dieser Fall mit der typischen Klinik einer schwer verlaufenden HMSN, die auch als Déjérine-Sottas-Syndrom (CMT3) beschrieben wird. Punktmutationen im MPZ (P0)-Gen gehen mit einer hohen klinischen Heterogenität einher, so dass nach Ausschluss einer PMP22-Duplikation/Deletion Patienten mit primär demyelinisierender Komponente auf Punktmutationen im MPZ (P0)-Gen untersucht werden sollten.