Aktuelle Neurologie 2008; 35 - M81
DOI: 10.1055/s-0028-1086501

Induktion von Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression durch transkranielle Gleichstromstimulation

M Nitsche 1
  • 1Göttingen

Fragestellung: Neuroplastische Veränderungen kortikaler Erregbarkeit sind ein wichtiges Korrelat von Lernvorgängen. Tierexperimentelle Untersuchungen zeigten, dass kortikale tonische Stimulation mit schwachem Gleichstrom überdauernde kortikale Erregbarkeitserhöhungen oder Ðreduktionen erzeugen kann. Wir haben ein Stimulationsprotokoll, die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), entwickelt, mit dem es möglich ist, vergleichbare Erregbarkeitsveränderungen nicht-invasiv im Humanexperiment zu erzeugen, und haben mittels elektrophysiologischer und pharmakologischer Experimente dessen Wirkungsmechanismus exploriert.

Methoden: Die grundlegenden Untersuchungen zur tDCS wurden am motorischen Kortex des Menschen durchgeführt. Durch tDCS induzierte Erregbarkeitsveränderungen wurden durch TMS-evozierte Muskelsummenaktionspotentiale (MSAP) erfasst.

Die an den Effekten der tDCS beteiligten neuronalen Subsysteme wurden mittels elektrophysiologischer Stimulationsmethoden, pharmakologischer Interventionen und bildgebender Verfahren identifiziert.

Die Übertragbarkeit der am motorischen Kortex erzielten Ergebnisse auf weitere kortikale Areale wurde mit elektrophysiologischen und funktionellen Verfahren evaluiert.

Ergebnisse: Wir konnten zeigen, dass eine schwache transkranielle Gleichstromstimulation kortikale Erregbarkeitsveränderungen beim Menschen erzeugen kann. Eine kurze Stimulation führt zu polaritätsabhängigen Erregbarkeitssteigerungen oder Ðverminderungen, die die Stimulation nicht überdauern, tDCS über mehrere Minuten führt zu Nacheffekten, die bis zu eine Stunde nach Ende der Stimulation anhalten können. Die Effekte während der Stimulation sind auf eine De- oder Hyperpolarisierung neuronaler Membranen zurückzuführen, während die Nacheffekte durch Veränderung der Stärke von NMDA-Rezeptoren bedingt sind. Diese Modulationen kortikaler Erregbarkeit sind vorwiegend intrakortikal lokalisiert.

Vergleichbare Erregbarkeitsveränderungen lassen sich in visuellen, somatosensiblen und auch präfrontalen Kortizes nachweisen.

Schlussfolgerungen: tDCS ist ein etabliertes Verfahren zur Erzeugung neuroplastischer Erregbarkeitsveränderungen im humanen Kortex. Sie eignet sich zur Exploration der Grundlagen neuroplastischer Mechanismen beim Menschen, aber auch zur Modulation funktioneller Neuroplastizität, wie sie beispielsweise bei Lernvorgängen auftritt. Pilotstudien zur klinischen Relevanz des Verfahrens legen Einsatzmöglichkeiten zur Therapie neuropsychiatrischer Erkrankungen nahe.