Aktuelle Neurologie 2008; 35 - V45
DOI: 10.1055/s-0028-1086481

Diagnostische Bedeutung der intrathekalen Synthese von gegen Varizella-Zoster-Virus gerichteten Antikörpern und Ätiologie der peripheren Fazialisparese: eine retrospektive Studie

K Henkel 1, R Nau 1, A Spreer 1
  • 1Göttingen

Einleitung: Das Spektrum der durch das Varizella-Zoster-Virus (VZV) hervorgerufenen Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) ist breit und reicht von der isolierten Fazialisparese bis zur Meningoenzephalitis. Ein wichtiger Bestandteil der Diagnose ist die vergleichende Bestimmung spezifisch gegen VZV gerichteter Antikörper in Liquor und Serum. Eine intrathekale Synthese (erhöhter VZV-spezifischer Antikörperindex, VZV-AI) spricht für eine aktuelle oder stattgehabte ZNS-Infektion mit VZV, jedoch finden sich erhöhte VZV-AI auch im Rahmen einer polyspezifischen Immunstimulation bei chronisch-entzündlichen ZNS-Prozessen. Eine Abgrenzung dieser unterschiedlichen Erkrankungen kann in untypischen Fällen sehr schwierig sein.

Methoden und Ergebnisse: Nach Erfassung aller zwischen 2002 und 2006 im Neurochemischen Labor bestimmten pathologischen VZV-AI-Werte, wurden die Diagnosen all der in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) behandelten Patienten (n=297) retrospektiv analysiert. In 23,6% der Fälle ließ sich ein erhöhter VZV-AI auf eine VZV-bedingte Erkrankung des ZNS zurückführen, in 8,1% auf eine Infektion mit anderen humanen Herpesviren. 28,3% der Patienten litten entsprechend der modifizierten McDonald-Kriterien an einer Multiple Sklerose (MS), bei 18,2% bestand der Verdacht auf eine MS und bei weiteren 13% wurden andere sichere oder unklare chronisch-entzündliche ZNS-Prozesse diagnostiziert. Des Weiteren wurden anhand der Daten des Neurochemischen Labors sowie des zentralen Diagnose-Dokumentationssystems alle Patienten ermittelt, die von 2002–2004 aufgrund einer neu aufgetretenen peripheren Fazialisparese in der UMG behandelt wurden (n=387). In 26,6% lag der peripheren Fazialisparese eine infektiöse Ursache zugrunde. Ursächlicher Erreger der peripheren Fazialisparese war im Erwachsenenalter in je 1/3 der Fälle VZV und Borrelien, bei Kindern hingegen war VZV selten, hier dominierten Borrelieninfektionen mit 80%.

Schlussfolgerung: Ein erhöhter VZV-AI beruhte in ca. 2/3 der Fälle unseres Kollektivs auf einem zerebralen Autoimmunprozess, in nur ¼ der Fälle lag eine ZNS-Infektion mit VZV zugrunde. Ebenfalls wurde nur ca. ¼ aller infektiös bedingten Fazialisparesen durch VZV verursacht. Durch eine systematische Datenerhebung und Zuordnung liefert diese retrospektive Analyse einen Überblick über die Ursachen einer intrathekalen Antikörpersynthese gegen VZV und soll als Hilfsmittel in der differentialdiagnostischen Einordnung unklarer ZNS-Erkrankungen dienen.