physioscience 2025; 21(02): 96-97
DOI: 10.1055/a-2527-9034
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Wie erklären wir Jugendlichen schmerzhafte, nicht traumatische Kniebeschwerden? Eine Multimethoden-Studie zur Entwicklung glaubwürdiger Erklärungen

How Do We Explain Painful Non-traumatic Knee Conditions to Adolescents? A Multiple-method Study to Develop Credible ExplanationsContributor(s):
Michael Adams

Zusammenfassung

Hintergrund

Anhaltende Knieschmerzen sind eine große potenzielle Gefährdung für die biopsychosoziale Gesundheit von Jugendlichen [1]. Nicht traumatische Knieschmerzen, z. B. das patellofemorale Schmerzsyndrom (PFPS), wurden lange als selbstlimitierend verstanden und kommuniziert [2]. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass die Hälfte der betroffenen Jugendlichen selbst 2 Jahre nach Beginn noch Knieschmerzen haben [3]. Ungenügende Aufklärung sowie diagnostische Herausforderungen führen bei Jugendlichen nicht selten zu erhöhter Unsicherheit hinsichtlich ihrer Diagnose. Das kann Kaskaden einer Schmerzchronifizierung anregen und den anschließenden Therapie- und Selbstmanagementprozess stark negativ beeinflussen [4]. Die Frage, wie die Patientenaufklärung verbessert und Schmerz verständlich gemacht werden kann, wurde daher kürzlich als eine der wichtigsten Forschungsprioritäten für die Versorgung chronischer muskuloskelettaler Schmerzen eingestuft [5].


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Ziel

Ziel der vorliegenden Studie war die Entwicklung glaubwürdiger Erklärungen für eine Diagnose für Jugendliche mit nicht traumatischen Knieschmerzen.


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Methode

Der Aufbau dieser Multimethoden-Studie ist ein iterativer, dreistufiger Prozess:

Schritt (1): Literaturrecherche

Im ersten Schritt wurden 2 systematische Literatursuchen in MEDLINE durchgeführt. Suche 1 fokussierte sich auf die Frage, welche Informationen für das Verständnis chronischer, primär muskuloskelettaler Schmerzdiagnosen wichtig sind. Suche 2 konzentrierte sich auf die Ätiologie von nicht traumatischen Knieschmerzen bei Jugendlichen. Auf Grundlage der gesammelten Informationen wurden Erklärungen in Laiensprache formuliert.


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Schritt (2): Delphi-Prozess

Im zweiten Schritt folgte ein argumentativer Delphi-Prozess mit 2 Runden hinsichtlich der Fragestellung: Was halten klinische Expert*innen für wichtig in einer glaubhaften Erklärung? Die Kliniker*innen bewerteten die bisherigen Erklärungen auf einer Likert-Skala hinsichtlich der wahrgenommenen diagnostischen Unsicherheit. Anschließend konnten sie Änderungen vorschlagen und diese begründen. Auf Basis der Begründungen wurden mittels qualitativer thematischer Textanalyse Codes geniert. Die Ergebnisse wurden im Team der Autor*innen diskutiert und die überarbeiteten Erklärungen in einer zweiten Delphi-Runde evaluiert.


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Schritt (3): Think-aloud-Interviews

Im dritten Schritt folgte eine Testung an Jugendlichen mit und ohne Knieschmerzen im Alter von 8 bis 19 Jahren. Ein iteratives qualitatives Design wurde angewandt, bestehend aus: Nutzertests, qualitativen Think-aloud-Einzelinterviews, Feedback, Input von der Gruppe der Autor*innen und Überarbeitung. Für die Think-aloud-Interviews wurden die Teilnehmenden angewiesen, ihre Gedanken zu verbalisieren und laut auszusprechen, was ihnen beim Lesen der glaubwürdigen Erklärung in den Sinn kommt.


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Ergebnisse

Schritt (1): Literaturrecherche

Die erste Suche umfasste 3239 Studien, von denen 16 in die Analyse inkludiert wurden. Die Inhalte wurden 5 Themen zugeordnet: „Verstehen der Ursachen und Faktoren, die zum Schmerzempfinden beitragen“, „Das Gefühl, wegen einer unsichtbaren Krankheit stigmatisiert zu werden“, „Einen Namen für den Schmerz zu haben“, „Kontrollierbarkeit von Schmerz“, „Sorge, dass etwas übersehen wurde“.

Die Suche nach der Ätiologie/Pathogenese von nicht traumatischen Knieschmerzen umfasste 2934 Studien, von denen 64 inkludiert wurden.


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Schritt (2): Delphi-Prozess

Von 18 teilnehmenden Expert*innen aus 7 Ländern der ersten Runde antworteten 16 in Runde 2. Die Analyse ihrer Rückmeldungen ergab 14 Subthemen für folgende 4 Hauptthemen: Multidimensionale Perspektive, zugeschnitten auf Jugendliche, Validierung und Beruhigung, achtsame Formulierung. Die Formulierungen in Runde 2 fanden Zustimmung bei 13 der 16 Teilnehmenden.

Basierend auf den Ergebnissen von Schritt (1) und Schritt (2) wurden 3 Schlüsseldomänen für die Entwicklung glaubhafter Erklärungen abgeleitet: „Was ist das (die Diagnose) und was bedeutet es?“, „Was verursacht meinen Knieschmerz?“, „Wie manage ich meinen Knieschmerz?“.


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Schritt (3): Think-aloud-Interviews

Für die Enduser-Testung wurden 16 Jugendliche (11 mit nicht traumatischen Knieschmerzen/5 ohne Schmerzsyndrom) auf 4 sequentielle Sitzungen aufgeteilt, wobei nach jeder Sitzung eine Überarbeitung stattfand. Das Hauptproblem in den ersten beiden Sitzungen waren zu lange Sätze, unverständliche Formulierungen und zu viele medizinische Fachbegriffe. In den Sitzungen 3 und 4 beschrieben die meisten Teilnehmenden die Erklärungen als flüssig zu lesen und einfach zu verstehen. Jugendliche mit Knieschmerzen konnten sich mit den Themen identifizieren.


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Finale Formulierungen

Die finalen Erklärungen für die häufigsten Störungsbilder mit nicht traumatischen Knieschmerz (u. a. Morbus Osgood-Schlatter, Patellatendinopathie) sind im Anhang der Publikation hinterlegt. Beispielhaft werden Ausschnitte der Erklärung für PFPS präsentiert (frei übersetzt):

„Was sind patellofemorale Schmerzen und was bedeuten sie?“: Vielleicht hast du das Gefühl, dass sich deine Schmerzen von Tag zu Tag oder sogar im Laufe des Tages ändern. Das ist normal und kein Zeichen für eine Schädigung deines Knies, auch wenn es sehr schmerzhaft sein kann.

„Was verursacht meinen Knieschmerz?“: Wie stark deine Schmerzen sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die nicht immer direkt mit deinem Knie zu tun haben. Das können deine Stimmung und deine Gedanken sein oder wie du dein Knie benutzt, wenn du Schmerzen hast.

„Wie manage ich meinen Knieschmerz?“: Dein Körper und dein Knie reagieren am besten auf kleine Veränderungen während Aktivität. Bei Knieschmerzen ist es sinnvoll, ein Gleichgewicht zwischen körperlicher Aktivität und Ruhe zu finden. Es ist völlig normal, dass du manchmal mehr Schmerzen verspürst, wenn du versuchst, das richtige Gleichgewicht zu finden.


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Schlussfolgerungen

Die Studie identifizierte Schlüsseldomänen in der Kommunikation von Diagnosen, welche adressiert werden sollten, um Unsicherheitsempfinden bei Patient*innen zu reduzieren. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es nicht ausreicht, Diagnosen gegenüber Jugendlichen mit Schmerzen lediglich zu nennen, sondern es sollen Verständnis und Bedeutung generiert werden. Ob sich die Anwendung der entwickelten Erklärungen positiv auf den Verlauf von nicht traumatischer Knieschmerzen bei Jugendlichen auswirkt, sollten zukünftige Studien untersuchen.


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Publication History

Article published online:
21 May 2025

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Georg Thieme Verlag KG
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  • Literatur

  • 1 Rathleff MS, Roos EM, Olesen JL. et al. High prevalence of daily and multi-site pain – A cross-sectional population-based study among 3000 Danish adolescents. BMC Pediatrics 2013; 13: 191
  • 2 Rathleff MS, Rathleff CR, Olesen JL. et al. Is knee pain during adolescence a self-limiting condition?: Prognosis of patellofemoral pain and other types of knee pain. Am J Sports Med 2016; 44: 1165-1171
  • 3 Rathleff MS, Holden S, Straszek CL. et al. Five-year prognosis and impact of adolescent knee pain: A prospective population-based cohort study of 504 adolescents in Denmark. BMJ Open 2019; 9: e024113
  • 4 Tanna V, Heathcote LC, Heirich MS. et al. Something else going on? Diagnostic uncertainty in children with chronic pain and their parents. Children 2020; 7: 165
  • 5 Lyng KD, Larsen JB, Birnie KA. et al. Participatory research: A priority setting partnership for chronic musculoskeletal pain in Denmark. Scan J Pain 2022; 23: 402-415
  • 6 Mankelow J, Ryan C, Taylor P. et al. A Systematic Review and Meta-Analysis of the Effects of Biopsychosocial Pain Education upon Health Care Professional Pain Attitudes, Knowledge, Behavior and Patient Outcomes. J Pain 2022; 23: 1-24