Zusammenfassung
Einleitung In der Geschichtswissenschaft besteht noch immer kein
vollständiger Konsens, wie sich der Übergang von eugenisch
begründeter Sterilisationspraxis zur „Euthanasie“
interpretieren lässt. Ziel des vorliegenden Artikels ist es daher,
dieser konkreten Fragestellung kritisch-historisch nachzugehen. Hierzu dient das
Täterprofil Berthold Kihns, wobei vor allem hervorzuheben ist, dass sich
Kihns Weg in den „Euthanasie“-„Abgrund“ ohne
eine primäre eugenische Ausrichtung entwickelte.
Methoden Es erfolgte Literatur- und Archivstudium. Erstmalig wurden auch
relevante fränkische und familienarchivarische Quellen einbezogen. Zudem
wurden Dokumente des Universitätsarchivs Jena mit solchen der
Konzentrationslager Buchenwald und Oranienburg verglichen.
Ergebnisse Nach beruflichen und privaten Dilemmata setzte der
Neuroinfektiologe Kihn einen neuen pseudowissenschaftlichen Schwerpunkt hin zur
„Ausschaltung der Minderwertigen aus der Gesellschaft“. Neben
Kihns etwa seit der Jahrtausendwende zweifelsfrei wissenschaftlich belegter
Rolle bei der zentralen „Euthanasie“ und der
„Kinder-Euthanasie“ finden sich aktuell auch Hinweise auf seine
Beteiligung an der dezentralen „Euthanasie“. Dies wird anhand
des prominenten Patienten Felix von Papen aufgezeigt.
Diskussion Kihn gehörte weder zu den etablierten Rassenhygienikern
noch zu den wissenschaftlich angesehenen Erbbiologen und Eugenikern.
Karrierestrategisch sprang er auf eine sich abzeichnende staatspolitisch
geförderte Bewegung auf. Hierfür mitverantwortlich mag seine
berufliche sowie private Sackgassen-Situation gewesen sein.
Schluss Weiterführend vergleichende Profilerstellung von
NS-„Euthanasie“-Tätern ist ein Forschungs-Desiderat. Sie
kann dazu beitragen, der immer noch unzureichend geklärten Frage der
Eugenik-„Entartung“ hin zur „Euthanasie“
differenzierter zu begegnen.
Abstract
Introduction In historical sciences, there is no consensus on how to
understand the transition from eugenic sterilization to
“euthanasia”. The aim of this article was to investigate this
question based on the historical-critical method, using the example of the
perpetrator profile of Berthold Kihn. His pseudoscientific way to
“euthanasia”, however, did not have an eugenic foundation.
Methods Literature- and archival studies were carried out. For the first
time, attention was paid to relevant Franconian and familial archival sources.
Moreover, documents of the Jena University Archive were compared to those of the
concentration camps of Buchenwald and Oranienburg.
Results After professional as well as private dilemma, the
neuroinfectiologist Kihn set a focus on the “eradication of the
inferiors“. Apart from Kihn’s role in central
“euthanasia” and “childrens’
euthanasia”, which has been clearly demonstrated, we found actual hints
of his additional involvement in decentral “euthanasia”. This is
shown using the example of the prominent patient Felix von Papen.
Discussion Kihn was no racial hygienist, he did not make his mark as an
eugenicist. His professional and private dilemma may – among other
things – have motivated him, to join a politically promoted
movement.
Conclusion Further comparative research in the profiling of NS
perpetrators may contribute to a better differentiation of the transition from
eugenics to “euthanasia”.
Schlüsselwörter
Berthold Kihn - Neurosyphilis-Experte - fehlende Eugenik-Spezialisierung - T4-Gutachter
- „Euthanasie“
Key words
Berthold Kihn - expert on neurosyphilis - lack of eugenics specialization - T4-referee
- „euthanasia“