Diabetologie und Stoffwechsel 2022; 17(02): 111
DOI: 10.1055/a-1772-7273
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Kommentar zu Kardiovaskuläre Phänotypen bei Typ-2-Diabetes-Patienten mit ASCVD identifiziert

Contributor(s):
Robert Wagner

Patienten mit Typ-2-Diabetes verlieren im 40. Lebensjahr durchschnittlich bis zu 6 Jahre Lebensdauer im Vergleich zu anderen ohne Diabetes [1]. Die Hauptmasse der Letalität des Diabetes wird über Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermittelt. Es wäre wichtig zu wissen, welche Patienten am meisten gefährdet sind, und wie sie am besten behandelt werden können. Die Arbeit von Sharma et al. untersucht Patienten mit bereits bekannten atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen in der Kombination mit Diabetes, und nutzt Daten aus zwei großen randomisierten klinischen Studien, um unterschiedliche Cluster zu identifizieren. Methodisch verwendeten die Autoren ein zweistufiges Clustering-Verfahren mit einer vorgeschalteten Bündelung und Dimensionsreduzierung von Variablengruppen, was ihnen erlaubt hat, eine große Anzahl von klinischen Merkmalen in die Partitionierung der Patienten einfließen zu lassen. Obschon dies eine gute Replizierbarkeit in der ähnlichen zweiten Studie ermöglichte, waren die vier identifizierten Cluster auch für Alter, Ethnizität und Geschlechtsverteilung unterschiedlich, was einen Teil der abweichenden Risikoprofile erklären kann. Das niedrigste Risiko für den primären kardiovaskulären Endpunkt hatte Cluster II, das aus überwiegend asiatischen Patienten bestand, deren diabetesbedingte Mortalität bekannt niedriger ist als bei Europäern [1]. Das höchste Risiko hatte Cluster IV, deren Teilnehmer die ältesten waren und fast ausnahmslos Herzinsuffizienz hatten. Eine wichtige Komponente dieser Hochrisikogruppe ist das in diesem Cluster höchste durchschnittliche Albumin-Kreatinin-Verhältnis im Urin, das bekanntermaßen ein Mortalitätsprädiktor in Diabetes ist [2]. Am interessantesten scheint Cluster III zu sein, das eine Kombination von langem Diabetesverlauf, hoher Neuropathieprävalenz und typischerweise nichtkoronarer – also zerebrovaskulärer und peripherer – Atherosklerose aufweist. Die Erkennung eines für hohes Schlaganfallrisiko charakteristischen klinischen Musters als Cluster wäre von hoher Relevanz. Dadurch könnten präventive Maßnahmen auf die Hochrisikogruppe konzentriert, und viel Krankheitsleiden und verlorene Lebensqualität verhindert werden. Hierfür scheint die Studie allerdings zu spät einzuschreiten, da die rekrutierten Patienten bereits manifeste Atherosklerose hatten. Im Kontinuum des Prädiabetes-Diabetes-Spektrums bieten sich auch Ansätze, die die Heterogenität des Stoffwechsels früher erkennen, damit Endorganschäden komplett verhindert werden könnten [3].

Die Arbeit analysierte Daten aus randomisierten klinischen Studien. Dies ermöglicht auch bei retrospektivem Clustering den nachträglichen Vergleich der Therapiewirksamkeit in unterschiedlichen Clustern [4]. Hier zeigte sich für Sitagliptin in keinem der Cluster eine kardiovaskuläre Protektion. Von einer Testung unterschiedlicher Therapiewirksamkeit in der Exenatid-Studie wurde nicht berichtet. Damit bleibt die Arbeit zunächst den Nachweis einer therapeutischen Bedeutung der vorgeschlagenen Cluster schuldig, auch wenn eine differenzielle Wirksamkeit von bestimmten Medikamenten in den Clustern, wie z.B. die von den Autoren vorgeschlagenen SGLT-2 Inhibitoren, durchaus plausibel wäre. Für den Leser bleibt es ebenfalls fraglich, ob die auf einem großen Variablensatz basierende Clustereinteilung, die im Hauptartikel nicht ausgeführt wurde und nur im Supplement lesbar ist, für klinische Einsätze je realisierbar wäre.



Publication History

Article published online:
04 April 2022

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