Sprache · Stimme · Gehör 2021; 45(02): 93
DOI: 10.1055/a-1347-3596
Interview

Stimme und Emotion

Interview mit KD Dr. med. J. E. Bohlender

Welches Erscheinungsbild hat die psychogene Aphonie/Dysphonie Ihrer Erfahrung nach in der klinischen Praxis?

Wir sehen in unserer auf Stimm- und Schluckstörungen spezialisierten Abteilung 15–20 Patient*innen pro Jahr, die entweder eine psychogene Dysphonie oder Aphonie aufweisen. Überdurchschnittlich sind dabei Frauen betroffen. Eine umschriebene Alterskohorte können wir dabei nicht feststellen. Ein spezifisches Profil im Hinblick auf Sozialstatus und Beruf kann ebenfalls nicht erhoben werden. Viel interessanter erscheint mir zunächst ein häufig in der Erstbegegnung wahrnehmbares Phänomen (das nun für einen Aussenstehenden sehr subjektiv und stereotyp klingen mag): Dass im Kontrast zu der deutlich sicht- und hörbar angestrengten tonlosen Stimmbildung eine merkwürdig „freundlich lächelnde” Haltung in den Gesprächspausen besteht. Eine manifeste Stimmlosigkeit kann für die erfahrenen Stimmexpert*innen recht schnell als psychogene Aphonie kategorisiert werden. Im Gegensatz dazu stehen die psychogenen Dysphonien, die möglicherweise voreilig als funktionell oder neurogen „gelabeled“ werden. Hier ist ein differenziertes und selbstkritisches Hinterfragen scheinbar gesicherter Diagnosen – auch im Verlauf einer Behandlung – wichtig.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. Juni 2021

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