Suchttherapie 2019; 20(04): 221
DOI: 10.1055/a-0996-5980
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Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e.V.

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Publication Date:
07 November 2019 (online)

Drogentote in Deutschland

Es ist verständlich, dass Betroffene und Einrichtungen, die sich um Menschen mit Suchterkrankungen kümmern, die jährliche Veröffentlichung der Drogentodeszahl zum Anlass nehmen, auf Missstände und mögliche Verbesserungen hinzuweisen. Alle bewiesenen Interventionen, die in Zukunft Drogentote verhindern könnten, sollten umgesetzt werden. Dazu zählt sicher auch das zur Verfügung-Stellen eines Opioidantidots, das auch von Laien im lebensbedrohlichen Notfall angewandt werden kann. Am deutlichsten können Morbidität und Mortalität allerdings durch die Substitutionsbehandlung gesenkt werden. Je nachdem, ob die niedrige Schätzung von 150 000 Opioidabhängigen oder die höhere von 300 000 zugrunde gelegt wird, befindet sich nur die Hälfte oder lediglich ein Viertel der Betroffenen in der Therapie der ersten Wahl, der Substitutionsbehandlung. Immer weniger Ärztinnen und Ärzte versorgen immer mehr Patientinnen und Patienten. Was können die Gründe sein? Anscheinend ist die Substitutionsbehandlung immer noch zu unattraktiv, die Hürden für die Betroffenen zu hoch, das Angebot zu gering. Wichtigste Ursache dürfte nach wie vor die extreme staatliche Repression sein, die den Schwarzmarkt befeuert und die Patient/Innen als Straftäter verfolgt. Trotz der im Oktober 2017 in Kraft getretenen BtMVV, in der die Substitutionsbehandlung in die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer gestellt worden ist, werden Kolleginnen und Kollegen, die Substitutionsbehandlung anbieten, strafrechtlich verfolgt. Insgesamt wird diese so erfolgreiche Behandlung weiterhin zu selten angewandt; sie ist immer noch mit zu hohen strafrechtlichen Risiken behaftet. Dennoch sei auf die Diskrepanz der Darstellung hinsichtlich der Abhängigkeit von der härtesten Droge Alkohol und der Opioidabhängigkeit hingewiesen: Im Bereich der Opioidabhängigkeit wird in den Medien jeder einzelne Tote gezählt, die Alkoholtoten werden praktisch gar nicht erwähnt. Dazu ein paar Zahlen: Wiederum je nach Schätzung sterben pro Jahr 0,85 bzw. 0,425% der Opioidabhängigen. Bei den Alkoholkranken verhält es sich so: Legt man die hohe Schätzung von 3 Mio. Alkoholabhängigen zu Grunde, sterben mit ca. 75 000 Toten pro Jahr 2,5%. Bei den veröffentlichten 1,5 Mio. Abhängigen sind es 5%. Opioidabhängige können wir durch die auch lebenslange Verschreibung eines nebenwirkungsarmen Medikaments effektiv behandeln. Bei Alkoholkranken bleibt als Therapieweg überwiegend nach wie vor nur die Abstinenz, die Reduktion der Trinkmenge oder kontrolliertes Trinken, da bisher keine geeigneten Substitutionsmedikamente zur Verfügung stehen. Studien mit Benzodiazepinen, Pregabalin, aber auch Opioiden wären wünschenswert. Infolge des Tabakkonsums sterben die meisten Menschen. Die E-Zigarette oder die neuen Tabakerhitzer haben sicher ihren Stellenwert im Bereich der Harm Reduction. Eine eventuell sehr effektive Therapie, die Substitutionsbehandlung mit Pflastern, Sprays u. a. müsste forciert untersucht werden. Dazu müsste die Politik diese Produkte als Arzneimittel zulassen. Somit könnten diese dann verschreibungspflichtigen Medikamente im Rahmen einer ärztlichen Behandlung der Tabakabhängigkeit eine erfolgreiche Rolle spielen.

Prof. Dr. med. Markus Backmund, München