Neurologie up2date 2020; 3(03): 275-294
DOI: 10.1055/a-0943-0986
Neurorehabilitation

Apraxien

Ferdinand Binkofski
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Apraxien entstehen durch eine Störung der motorischen Programme, durch eine Störung der höheren modalitätsgebundenen sensomotorischen Bewegungskontrolle oder eine Störung der Handlungsplanung/-konzeption. Da die verschiedenen Formen der Apraxien die alltäglichen Aktivitäten unterschiedlich stark beeinträchtigen und z. T. erhebliche Unterschiede in der Erholungsfähigkeit aufweisen, ist die Kenntnis der Formen der Apraxien für den klinischen Alltag von großer Relevanz.

Fallbeispiel

Fall 3

Ein 64-jähriger Patient wachte mit Sprachstörungen und Verwirrtheit auf. Die initiale Untersuchung in der Notaufnahme zeigte eine mittelgradige fluide Aphasie mit Störungen des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion mit Agrammatismus und Neologismen. Der Patient war zusätzlich zeitlich und örtlich desorientiert. Das Aufnahme-CT wies einen ischämischen Infarkt im linken posterioren Mediateilinfarkt in der parieto-temporalen Übergangsregion nach.

Im weiteren Verlauf besserte sich die Sprachstörung deutlich mit deutlichen Fortschritten des Sprachverständnisses und der Kommunikation. Dafür wurde eine Unbeholfenheit der Bewegungen immer auffälliger. Im Kölner Apraxie Screening (KAS) wurden Werte deutlich unter dem Cut-off für beiden Subtests, Imitation und Pantomime gefunden. Der Test for Upper Limb Apraxia (TULIA) war ebenfalls deutlich auffällig.

Die vertiefende Untersuchung mithilfe von 5 Protokollen nach Goldenberg zeigten das ganze Ausmaß der apraktischen Störung: im Subtest Fingerimitation wurden 11 von 20, im Subtest Handimitation wurden 14 von 20, im Subtest Hand- und Fingerimitation wurden 4 von 20, im Subtest Pantomime wurden 23 von 55 und im Subtest Objektgebrauch wurden 20 von 20 Punkten erreicht.

Somit konnte die Diagnose einer Gliedmaßenapraxie mit Störung der Imitation und der Pantomime bei intaktem Gebrauch von realen Objekten gestellt werden. Sehr anschaulich war der recht häufige Befund bei der gestörten Pantomime des Objektgebrauchs, vor allem bei der Pantomime von Handlungen mit mehreren Objekten bei absolut intaktem Gebrauch der gleichen Objekte in natura.

Kernaussagen
  • Eine gliedkinetische Apraxie entsteht nach Läsion des kontralateralen prämotorischen Kortex oder der Basalganglien. Betroffen ist die Koordination von Finger- und Handbewegungen bei erhaltener Sensibilität, grober Kraft und individuellen Fingerbewegungen.

  • Bei der Sprechapraxie können einzelne Bewegungen des Sprechapparates mit normaler Kraft und Geschwindigkeit durchgeführt, aber nicht zum flüssigen Ablauf des Sprechens koordiniert werden. Es besteht eine enge Korrelation mit der Broca-Aphasie.

  • Die taktile Apraxie betrifft die Koordination von Fingerbewegungen und die taktile Exploration von Objekten. Die Läsionen befinden sich überwiegend im kontralateralen superioren Lobulus parietalis. Es besteht eine Korrelation mit Astereognosie. Optische Apraxie (Ataxie) entsteht nach Läsionen im Bereich des parieto-okzipitalen Übergangs und ist gekennzeichnet durch das Vorbeigreifen an Objekten, die sich überwiegend im peripheren Gesichtsfeld befinden. Beide intermediären Formen der Apraxie entstehen nach Läsionen im dorso-dorsalen Strom der Informationsverarbeitung.

  • Die Gliedmaßenapraxie ist die komplexeste Form der Apraxie und entsteht nach Läsionen im ventro-dorsalen Strom der Informationsverarbeitung, überwiegend links. Sie manifestiert sich in drei Domänen des motorischen Verhaltens:

    • Störung der Imitation von bedeutungslosen Gesten,

    • Störung der Pantomime,

    • Störung des Objektgebrauchs.

  • Für die Untersuchung der Imitation und der Pantomime eignen sich unter anderem die von Georg Goldenberg entwickelten Untersuchungsprotokolle. Alternativ können das Kölner Apraxie-Screening (KAS) als schnelles Screening und der TULIA (Test of Upper Limb Apraxia) als Bestätigungstest angewandt werden.

  • Die Testung des Objektgebrauchs sollte Handlungen mit einzelnen Objekten oder Werkzeugen beinhalten, es sollten aber auch komplexere Handlungen mit mehreren Objekten, wie Kaffee machen oder Blätter abheften, untersucht werden.

  • Die Therapie der Gliedmaßenapraxie soll sich nach den Aktivitäten des täglichen Lebens ausrichten, möglichst alltagsnahe Übungen beinhalten und die Angehörigen einschließen.



Publication History

Article published online:
12 August 2020

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