Einleitung
Der Terminus Apraxie (griechisch, die Untätigkeit) wurde erstmals von Heyman Steinthal
im Jahr 1891 für die Beschreibung von Fehlhandlungen und das fehlerhafte Benutzen
von Objekten bei einem aphasischen Patienten angewendet [1].
Apraxie
Bei den Apraxien handelt es sich um höhere motorische Störungen, die das Ausführen
und Imitieren von Bewegungen oder Bewegungsfolgen sowie den zweckmäßigen Gebrauch
von Objekten betreffen. Die beobachteten Defizite dürfen nicht per se durch eine Lähmung,
Ataxie, Dyskinesie, Sensibilitätsstörung, Beeinträchtigung des Sprachverständnisses
oder der Objekterkennung bedingt sein.
Einen großen Einfluss auf die Erforschung und klinische Klassifikation von Apraxien
hatte der jüdische Neurologe Hugo Liepmann. Die von Liepmann definierten Syndrome
der ideatorischen und ideomotorischen Apraxie [2] werden immer noch in der klinischen Praxis gebraucht, wobei neuere Forschung von
dieser starren Konzeption der Gliedmaßenapraxie Abstand nimmt und eine genaue Beschreibung
der apraktischen Defizite in den motorischen Domänen vorschlägt. Vollständigkeitshalber
wird hier zuerst die Liepmann’sche Sicht auf Apraxien kurz dargestellt:
Ideomotorische und ideatorische Apraxien treten überwiegend nach Läsionen der sprachdominanten
Hemisphäre auf, manifestieren sich aber bilateral (d. h. sowohl in kontra- wie auch
in ipsiläsionellen Extremitäten). Eine einseitige ideomotorische Apraxie kann in seltenen
Fällen bei einer Läsion der Balkenfasern in den Extremitäten ipsilateral zur sprachdominanten
Hemisphäre beobachtet werden.
Bei den von Liepmann definierten Formen der Apraxien resultiert die Störung der Ausführung
von komplexen Bewegungen entweder aus der fehlerhaften Planung (ideatorische Apraxie)
oder aus der fehlerhaften Umsetzung der korrekten Planung in korrekte Bewegungsfolgen
bzw. -abläufe (ideomotorische Apraxie). Dabei werden (vereinfachend) zwei Hauptkomponenten
der Handlungsplanung und -durchführung unterschieden:
-
ein Handlungskonzeptsystem, mit Kenntnissen über den Werkzeuggebrauch und die mechanischen Rahmenbedingungen
(bei einer ideatorischen Apraxie beeinträchtigt),
-
ein Handlungsproduktionssystem, mit Informationen über die motorischen Programme und deren Umsetzung in erlernte
Bewegungsmuster (Schäden führen zu einer ideomotorischen Apraxie).
Liepmann unterschied eine 3. Komponente, das „kinetische Gedächtnis“ des „Sensomotoriums“,
in dem überlernte Bewegungsabläufe gespeichert sind und dessen Schädigung zur isolierten
gliedkinetischen Apraxie der gegenüberliegenden Hand führt [2].
Wie bereits erwähnt, konzentriert sich die moderne Forschung der Gliedmaßenapraxie
auf die Beschreibung der Störungen in den drei wichtigsten Domänen motorischer Aktionen:
-
das Imitieren von bedeutungslosen Gesten,
-
das Ausführen bedeutungsvoller Gesten (inklusive der Pantomime des Werkzeug-/Objektgebrauchs)
und
-
den tatsächlichen Gebrauch von Werkzeugen und Objekten.
Es hat sich gezeigt, dass die Störungen in den drei motorischen Domänen viel plastischer
die komplexen apraktischen Defizite beschreiben und eine neue, offenere Sicht auf
Gliedmaßenapraxien erlauben. Wollte man eine Parallele zu den Liepman’schen Formen
der Apraxien bilden, dann würde die ideomotorische Apraxie in etwa die Störung entweder
der Imitation oder der Pantomime (oder beide) einschließen und die ideatorische Apraxie
in etwa die Störung des Objektgebrauchs bedeuten.
Neben den komplexen Gliedmaßenapraxien, die von einer profunden Störung des höheren
motorischen Systems herrühren, existieren zusätzliche einfachere Formen der Apraxie,
die auf niedrigeren Ebenen der motorischen Hierarchie angesiedelt sind. Zu diesen
gehören
-
die rein exekutiven Apraxien, wie die bereits von Liepmann beschriebene gliedkinetische
Apraxie oder die Sprechapraxie, die überwiegend nach frontalen Läsionen auftreten,
und
-
die intermediären Apraxien (taktil, visuomotorisch), die überwiegend nach hochparietalen
Läsionen auftreten.
Apraktische Störungen können nicht nur die Arme und Beine, sondern auch die Gesichtsmuskulatur
betreffen (bukkofaziale oder Gesichtsapraxie). Aphasie und Apraxie treten häufig gemeinsam
auf, variieren aber im Schweregrad voneinander unabhängig.
Dieser Beitrag basiert überwiegend auf Daten, die an Patienten mit strukturellen Hirnläsionen,
hauptsächlich nach Schlaganfall, erhoben wurden.
Die genaue Kenntnis der apraktischen Syndrome ist für den klinischen Alltag von enormer
Wichtigkeit. Denn Apraxien werden immer häufiger bei Patienten mit neurodegenerativen
Erkrankungen und mit unterschiedlichen Formen von Demenz diagnostiziert.
Interessanterweise scheinen sich einige apraktische Symptome bei unterschiedlichen
Demenzerkrankungen besonders häufig zu manifestieren [3].
Fall 1
Ein 65-jähriger Patient erleidet einen rechtseitigen ischämischen Mediateilinfarkt.
Im akuten Stadium manifestierte sich eine distal betonte hochgradige rein motorische
Parese im linken Arm. Im Laufe der ersten 4 Wochen nach dem Infarktereignis kam es
zu einer Besserung der Symptome, wobei die Diagnose immer noch motorische Parese lautete.
Bei der klinischen Untersuchung nach der Verlegung in die Rehabilitationsklinik ergab
sich ein differenzierteres Bild. Die Muskeleigenreflexe im linken Arm waren immer
noch erhöht, aber die Beweglichkeit des linken proximalen Arms zeigte eine deutliche
Besserung. Bei der Untersuchung der Handfunktion konnten erhaltene individuelle Fingerbewegungen
und eine erhaltene Griffkraft in der linken Hand gefunden werden. Dennoch war die
linke Hand ungeschickt und unfähig, Objekte und Werkzeuge zu gebrauchen.
Die Zusatzdiagnostik ergab im MRT eine Läsion im rechten frontalen Operculum, also
im ventralen prämotorischen Kortex im hinteren Teil des Gyrus frontalis inferior (Area
44 und 45 nach Brodman), die Diffusion-Tensor-Traktografie demonstrierte die Intaktheit
der Pyramidenbahn auf der rechten Seite, und die transkranielle Magnetstimulation
des rechten motorischen Kortex ergab erhaltene motorisch evozierten Potenziale zu
den Muskeln der linken Hand.
In der Zusammenschau konnte die Diagnose einer gliedkinetischen Apraxie der linken
Hand gestellt werden.
Durch eine gezielte Physiotherapie konnte eine weitere signifikante Besserung der
Beweglichkeit und Geschicklichkeit der linken Hand erzielt werden.
Exekutive Apraxien
Die frontalen oder exekutiven Apraxien sind durch Defizite in der Exekution (Produktion)
von komplexen Bewegungsabläufen charakterisiert. Repräsentative Formen sind die gliedkinetische
Apraxie und die Sprechapraxie. Sie sind bedingt durch Störungen der „prämotorischen“
Funktionen des kaudalen Frontallappens als Speicher und Prozessor von komplexen Handlungen.
Läsionsbedingte Unterbrechungen des parieto-prämotorischen Informationsflusses spielen
ebenfalls eine wichtige Rolle.
Gliedkinetische Apraxie
Pathophysiologie
Bei der Umsetzung von sensorischen Informationen in geeignete Bewegungsschemata interagieren
der inferiore parietale Kortex und der ventrale prämotorische Kortex eng miteinander.
Im Parietalkortex (z. B. im anterioren intraparietalen Areal, AIP) werden multisensorische
Informationen integriert und mehrere motorische Programme für die Hand vorbereitet.
Im ventralen prämotorischen Kortex wird das für die Ausführung der spezifischen Bewegung
benötigte Programm in Abstimmung mit dem Parietalkortex ausgewählt [4], um im primären motorischen Kortex (M1) ausgeführt zu werden. Da es keine direkten
anatomischen Verbindungen zwischen dem Areal AIP und dem primären motorischen Kortex
gibt, kommt es nach Läsionen des prämotorischen Kortex zu einer „Deaffarenzierung“
von M1 (wobei die sensorischen Afferenzen aus primären sensorischen Kortex, S1, erhalten
bleiben). Die Konsequenz ist eine unzureichende Bewegungskontrolle, da der Zugang
zu motorischen Programmen nicht mehr möglich ist.
Gliedkinetische Apraxien können auch bei neurodegenerativen Erkrankungen mit Beteiligung
der Basalganglien, wie der kortikobasalen Degeneration oder dem Morbus Parkinson,
auftreten [5].
Dies weist darauf hin, dass die Feinabstimmung von Bewegungen auf der kortikalen Ebene
einer ständigen Kontrolle durch die Basalganglien unterliegt.
Diagnostik
Die gliedkinetische (auch Innervations- oder melokinetische) Apraxie manifestiert
sich als die Unfähigkeit, fein abgestimmte und präzise Handbewegungen durchzuführen
[2]. Die Bewegungen sind umso ungeschickter, je größer die Anforderungen an die Feinmotorik
sind. Luria beschrieb das charakteristische Merkmal der gliedkinetischen Apraxie als
den „Verlust der Bewegungsmelodie“ [6]. Dieses Syndrom wird (zu) selten diagnostiziert, weil die Abgrenzung von einer durch
die Läsion der Pyramidenbahn bedingten Parese schwierig ist.
Tipp
Letztendlich eignet sich für die klinische Diagnosestellung der Nachweis einer Ungeschicklichkeit
von Arm- und Handbewegungen zusammen mit einer Störung der Feinmotorik, der Koordination
von Explorationsbewegungen, von Schreibstörungen und einer Störung der Gelenkkoordination,
bei erhaltener Kraftproduktion und erhaltenen individuellen Fingerbewegungen.
Für eine quantitative Erfassung der gliedkinetischen Apraxie haben Vanbellingen et
al. [7] den Münz-Rotations-Test (Coin Rotation Test, CR; s. Infobox) vorgeschlagen.
Coin Rotation Test, CR-Test
In dem Test werden die Patienten gebeten, eine Münze der Größe von einem schweizerischen
50-Rappen-Stück zwischen dem Daumen, dem Zeige- und dem Mittelfinger so schnell wie
möglich zu rotieren. Jede Untersuchung umfasst 3 Versuche von 10 Sekunden Rotation
für jede Hand. In der Videoaufzeichung werden dann die Anzahl der Halbdrehungen und
der Verluste der Münze gezählt.
Der CR-Score wird wie folgt berechnet:
CR-Score = Halbumdrehungen – [(Verluste × 0,1) × Halbumdrehungen]
Zur Testung eignet sich auch z. B. der gegenläufige Faustschluss nach Oseretzki, in
dem die Fäuste gegenläufig auf- und zu gemacht werden (rechts auf, links zu etc.).
Für die Testung der Koordination eignet sich die Untersuchung von Rhythmusproduktion,
bei der einfache Rhythmen mit beiden Händen geklopft werden.
Die Diagnose wird erleichtert, wenn es gelingt, mithilfe der Bildgebung und/oder von
elektrophysiologischen Verfahren die Integrität des primärmotorischen Kortex und der
Pyramidenbahn nachzuweisen. Dies kann einfach gelingen, wenn die Läsion klar vor dem
Gyrus praecentralis lokalisiert ist. Mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS)
können intakte zentralmotorische Latenzen und Amplituden der Muskelaktionspotenziale
(MAP) zu den Muskeln der betroffenen Extremität nachgewiesen werden.
Die Vorteile des kombinierten Einsatzes von klinischer Untersuchung und Zusatzdiagnostik
lassen sich am Beispiel eines Patienten mit einer Läsion im Bereich des rechten frontalen
Operculums demonstrieren ([Abb. 2]).
Abb. 2 Gliedkinetische Apraxie. a Ein Patient mit einer ausgeprägten Störung der feinmotorischen und der Geschicklichkeitsbewegungen
der linken Hand (oben links), bei gut erhaltenen individuellen Fingerbewegungen und
normaler Kraftproduktion. b Die zugrundeliegende chronische ischämisch Läsion befindet sich im ventralen prämotorischen
Kortex im rechtsseitigen frontalen Operculum. c fMRT-Untersuchung. Während der Durchführung einer feinmotorischen Aufgabe mit der
betroffenen Hand wurde nicht nur der bilaterale sekundäre sensorische Kortex, sondern
auch der primäre sensomotorische und der intraparietale Kortex auf der Läsionsseite
aktiviert. d Die Kontinuität der Pyramidenbahn auf der Läsionsseite konnte mithilfe der Diffusions-Tensor-Traktografie
dargestellt werden (blauer Bereich).
Lokalisation
Gliedkinetische Apraxien treten nach Läsionen im Frontallappen in dem Kortexabschnitt
auf, der vor dem primären motorischen Kortex (M1, Brodman-Areal 4) liegt. In dem sogenannten
prämotorischen Kortex liegen die Läsionen kontralateral zum betroffenen Arm.
Therapie und Alltagsrelevanz
Die gliedkinetische Apraxie wird häufig als Parese verkannt, dabei ist diese Form
der Apraxie physiotherapeutischen Maßnahmen gut zugänglich.
Dedizierte, auf Feinmotorik ausgerichtete physiotherapeutische Maßnahmen können sehr
gute Resultate zeigen.
Die Patienten profitieren auch von „Bottom-up-orientierten“ Übungsschemata, z. B.
der „forced Use Therapy“. Auch „Top-down-orientierte“ Ansätze (z. B. durch Bewegungsvorstellung
oder Bewegungsbeobachtung), wie die Spiegeltherapie und das Videotraining, scheinen
gute Erfolge zu bringen.
Sprechapraxie
Klinische Diagnose
Bei der Sprechapraxie ist die Zusammensetzung von artikulatorischen Bewegungen zu
Sprachlauten und Wörtern gestört. Das Sprechen der Patienten wirkt angestrengt, es
ist langsam und durch phonetische Abweichungen entstellt. Die Patienten erwecken beim
Sprechen den Eindruck, dass sie die Mundbewegungen und die Koordination des Sprechapparates
und der Atmung bewusst kontrollieren müssen.
Die Diagnose einer Sprechapraxie wird auf der Basis der Analyse der sprachlichen Äußerungen
des Patienten, vor allem bei fehlenden Symptomen einer Aphasie oder einer Dysarthrie
gestellt. Im deutschsprachigen Raum existiert eine standardisierte Testbatterie zur
Diagnostik von Sprechapraxien [8].
Die Vorausplanung der Sprechbewegungen ist gestört und die Laute sind schlecht aufeinander
abgestimmt. Bei der Sprechapraxie können einzelne Bewegungen des Sprechapparates mit
normaler Kraft und Geschwindigkeit durchgeführt, aber nicht zum flüssigen Ablauf des
Sprechens koordiniert werden. Die gestörte Sprechartikulation bei fehlender struktureller
Störung des Sprechapparates deutet daraufhin, dass bei der Sprechapraxie ein Defekt
der höheren motorischen Sprechkontrolle vorliegt. Somit kann man die Sprechapraxie
als eine exekutive (produktive) Störung klassifizieren.
Läsion
Eine Sprechapraxie tritt am häufigsten infolge von Läsionen links anterior, im oder
um den Gyrus praecentralis (Teile des Broca-Areals) auf, möglicherweise sind subkortikale
Strukturen mitbetroffen. Andere Daten deuten auf eine schwerpunktmäßige Beteiligung
der transsylvischen Strukturen, vor allem der anterioren Insel hin.
Therapie und Bedeutung
Patienten, die schwer bis moderat betroffen sind, können mit der Übung der Aussprache
und Intonation von einfachen Silben beginnen. Dabei kann die Vorstellung der korrekten
Bewegungen der Lippen und Zunge hilfreich sein. Einige Patienten können ihre Artikulation
durch rhythmisches Klopfen oder Klatschen verbessern. Das Üben der Betonung orientiert
sich am natürlichen Sprechrhythmus, um die Verständlichkeit zu verbessern.
Intermediäre Apraxien
Die Verarbeitung der visuellen Information im menschlichen Gehirn wird klassischerweise
in zwei Ströme der Informationsverarbeitung aufgeteilt:
Der ventrale Strom fängt im primären visuellen Kortex an, führt in den ventralen Temporallappen
und ist für die Kategorisierung und semantische Verarbeitung zuständig. Der dorsale
Strom führt vom visuellen Kortex über den Parietallappen nach frontal. Die aktuelle
Forschung zeigt, dass der klassische dorsale Strom in zwei Unterströme unterteilt
ist, in den dorso-dorsalen Strom und den ventro-dorsalen Strom. Der dorso-dorsale
Strom ist für die unmittelbare („Online-“) Bewegungskontrolle zuständig, während der
ventro-dorsale Strom für die langsamere wissensbasierte Bewegungskontrolle zuständig
ist, die auf zeitaufwendigeren Komponenten der Bewegungsprogrammierung beruht [9] ([Abb. 3]). Der bei den intermediären Apraxien besonders häufig betroffene obere Parietallappen
gehört zu dem dorso-dorsalen Strom, fungiert als sensomotorisches „Interface“ und
ist mit der unmittelbaren und modalitätsgebundenen Bewegungskontrolle beschäftigt.
Abb. 3 Schematische Darstellung des dorsalen („Wie“-) Stromes und des ventralen („Was“-)
Stroms bei der Verarbeitung von visuellen Informationen für die Handlungen (dorsaler
Strom) bzw. die Wahrnehmung (ventraler Strom). Der dorsale Strom kann in den dorso-dorsalen
(rot) und den ventro-dorsalen (grün) Strom unterteilt werden. Der dorso-dorsale Strom
geht über den superioren parietalen Lobulus zum dorsalen prämotorischen Kortex und
ist für die schnelle Online-Kontrolle von visuell gesteuerten Bewegungen zuständig.
Der ventro-dorsale Strom geht über den inferioren parietalen Lobulus und ist für die
komplexe zeitlich-räumliche Planung von Bewegungen zuständig. Der ventrale Strom (blau)
ist für die visuelle Objekterkennung zuständig [10].
Intermediären Apraxien sind auf Dysfunktionen in einem sensorischen System beschränkt
und äußern sich überwiegend kontralateral. Typische Vertreter sind die taktile Apraxie
und die optische (visuomotorische) Apraxie (auch optische Ataxie).
Taktile Apraxie
Klinische Diagnose
Die taktile Apraxie ist eine Störung explorativer Fingerbewegungen (bei gleichzeitiger
Abwesenheit einer Parese oder Sensibilitätsstörung). Die Fingerbewegungen wirken unkoordiniert
und inadäquat im Verhältnis zu Größe und Gestalt des zu explorierenden Objektes ([Abb. 4]). Typischerweise sind die intransitiven (nicht objektbezogenen) und expressiven
Bewegungen (Gesten, Ausdrucksbewegungen) gut erhalten. Begleitend zur taktilen Apraxie
findet sich entsprechend häufig eine Astereognosie (trotz intakter basaler Sensibilität
bestehende Unfähigkeit zur Objekterkennung durch Tasten [11].
Abb. 4 Taktile Apraxie. Schlecht koordinierte und im Verhältnis zu der Objektgröße inadäquate
Explorationsbewegungen (unten, links) mit deutlich vergrößertem Umfang und Geschwindigkeit
der Fingerbewegungen (unten, rechts). Im Vergleich dazu gut koordinierte Fingerbewegungen
einer Normalperson (oberes Bild) [11] (D = Daumen, ZF = Zeigefinger).
Pathophysiologie
Ähnlich wie bei der gliedkinetischen Apraxie könnte auch hier eine Störung der Interaktion
zwischen spezialisierten parietalen und prämotorischen Arealen vorliegen. Der parietale
Kortex dient als sensomotorisches „Interface“ für den zweckgemäßen Einsatz von Explorationsbewegungen.
Objektcharakteristika triggern geeignete Fingerbewegungen, die im Dienst der Wahrnehmung
durchgeführt werden („Action for Perception“, „Feed-back“). Gleichzeitig determiniert
die Beschaffenheit der Objekte den Bewegungsumfang – Wahrnehmung im Dienste der Aktion
(„Perception for Action“, „Feed-forward“).
Für die Steuerung der Fingerbewegungen ist das intraparietale Areal AIP und der benachbarte
superiore parietale sensorische Assoziationskortex wichtig. Diese gehören zu dem oben
erwähnten dorso-dorsalen Strom und sind für die Online-Kontrolle der Fingerbewegungen
bei der Exploration von Objekten zuständig. Die taktile Objekterkennung an sich findet
im anterioren und posterioren Parietallappen statt.
Vieles spricht dafür, dass es bei der taktilen Objekterkennung zu einem Informationsaustausch
mit dem inferioren Temporallappen kommt, also einer Region, die für das visuelle Erkennen
von Objekten wichtig ist.
Läsion
Taktile Apraxien sind typischerweise Folge von Läsionen des kontralateralen superioren
parietalen Lobulus und/oder anteriorer Anteile des Sulcus intraparietalis. Wenn hintere
Anteile des Gyrus postcentralis betroffen sind, können begleitend auch Störungen somatosensibler
Leistungen auftreten. Die bedeutende Rolle des superioren parietalen Lobulus und des
anterioren Anteils des Sulcus intraparietalis (Areal AIP) für die Steuerung der Manipulation
von Objekten konnte in mehreren funktionell bildgebenden Arbeiten nachgewiesen werden.
Therapie und Relevanz
Da das Hantieren von Objekten im Vordergrund der taktil apraktischen Störung steht
und häufig (insbesondere, wenn das Areal AIP mitgeschädigt ist) gleichzeitig auch
eine Störung der taktilen Objekterkennung vorliegt, sind die Patienten in ihrem tagtäglichen
Leben vielmals stark beeinträchtigt. Ähnlich wie bei der gliedkinetischen Apraxie
kann in besonders schweren Fällen die Hand, trotz intakter Beweglichkeit und Sensibilität,
deutlich beeinträchtigt sein.
Intensive, auf die Hand zugeschnittene Physiotherapie und das Einüben von Ersatzstrategien
bei der Interaktion mit Objekten können mitunter gute Resultate bringen.
Visuomotorische Apraxie (optische Ataxie)
Klinische Diagnose
Die optische Apraxie wurde zuerst von Balint im Jahr 1909 als Teil einer breiteren
visuo-perzeptiven Störung beschrieben [12].
Die optische Apraxie ist charakterisiert durch eine Ungenauigkeit beim Greifen nach
visuell georteten Objekten [13]. Synonym werden die Begriffe visuomotorische Ataxie oder optische Ataxie benutzt.
Das typische Verhalten eines Patienten mit visuomotorischer Apraxie beim Greifen nach
Gegenständen besteht darin, dass die Patienten die zu greifenden Gegenstände verfehlen.
Die Zielgenauigkeit beim direkten Fixieren von Objekten ist meistens unauffällig,
die Störung manifestiert sich überwiegend beim Greifen im peripheren visuellen Feld.
Dabei kann z. B. das Greifen mit beiden Armen im kontraläsionalen peripheren visuellen
Feld betroffen sein (Feldeffekt) oder sich nur in der kontraläsionalen Hand manifestieren
(Handeffekt) ([Abb. 5]; s. a. Fallbeispiel 2). Die Fingerapertur ist dabei deutlich vergrößert und inadäquat
skaliert, obwohl die visuelle Objekterkennung intakt ist [13]. Ebenfalls ist das Greifen nach eigenen Körperteilen oder nach Gegenständen, die
sich auf der Körperoberfläche befinden, intakt.
Abb. 5 Optische Apraxie (Ataxie). Darstellung des Hand- und des Feldeffektes bei der optischen
Apraxie (Ataxie). Im rechten Hemifeld greift der Patient mit der rechten und der linken
Hand an dem Zielobjekt vorbei. Mit der rechten Hand greift der Patient auf beiden
Seiten vorbei (s. a. [13]).
Zur Diagnostik einer optischen Apraxie sollte das Greifen mit beiden Händen (aber
getrennt) und in beiden peripheren Halbfeldern bei gleichzeitiger zentraler Fixation
eines anderen Objektes untersucht werden.
Fall 2
Ein 72-jähriger Patient mit bekannten Herzrhythmusstörungen stellt sich in der Notaufnahme
vor, weil er plötzlich eine schlecht definierbare Störung im rechten Arm festgestellt
hat. Bei der klinischen Prüfung fand sich eine normale Kraft in beiden Armen, die
Muskeleigenreflexe waren seitengleich, die Sensibilität war ebenfalls seitengleich
unauffällig.
Auffällig waren jedoch der Finger-Nasen-Versuch und der Finger-Finger-Versuch auf
der rechten Seite im Sinne einer Dysmetrie. Insbesondere die gezielte Untersuchung
der Zielgenauigkeit bei dem Greifen nach Objekten im Raum war sehr aufschlussreich.
Bei der Fixierung der zu greifenden Objekte im zentralen Gesichtsfeld hatte der Patient
keine Probleme, die Objekte zielgenau zu greifen. Wenn jedoch der Patient aufgefordert
wurde einen Punkt zentral zu fixieren und gleichzeitig nach einem Objekt im peripheren
Gesichtsfeld zu greifen, verfehlte er das Objekt mit dem rechten Arm (sogenannter
Handeffekt) und auf der rechten Seite (sogenannter Feldeffekt).
Die MRT-Bildgebung zeigte eine relativ kleine Läsion im linken Sulcus intraparietalis,
höchstwahrscheinlich embolischen Ursprungs. Es konnte die Diagnose der optischen Apraxie
(Ataxie) gestellt werden. Bei der Therapie wurde der Patient angewiesen, bewusst beim
Greifen nach Objekten oder Werkzeugen diese vor dem Greifen zentral zu fixieren. Dies
hat zu einer deutlichen Reduktion der Greifunsicherheit geführt.
Spiegelapraxie
Ein verwandtes Krankheitsbild stellt die Spiegelapraxie nach Läsionen des rechten
oder des linken posterioren Parietallappens dar [14]. Wenn man Patienten mit Spiegelapraxie ein Objekt über einen Spiegel zeigt und sie
bittet, nach dem realen Objekt zu greifen, greifen diese Patienten konstant nach dem
virtuellen Objekt im Spiegel. Auch wenn man unter ständiger visueller Kontrolle im
Spiegel den Arm des Patienten zu dem realen Objekt führt, greifen diese Patienten
danach weiterhin in den Spiegel, wo sie das reale Objekt vermuten. Dagegen ist das
Greifen nach Objekten in der direkten Nähe des Körpers oder das Greifen nach eigenen
Körperteilen intakt.
Pathophysiologie
In der klassischen Literatur wurde als Ursache einer optischen Apraxie eine visuomotorische
Diskonnektion vermutet. Neue Studien zur optischen Apraxie erlauben eine Zuordnung
der Störung zum dorso-dorsalen Strom. Denn die optische Apraxie wird als Störung der
unmittelbaren Online-visuomotorischen Kontrolle definiert.
Während bei Normalpersonen das Greifen nach Objekten nach einer Verzögerung schlechter
wird, kann bei Patienten mit optischer Apraxie eine Verzögerung zwischen der Präsentation
des Objektes und der Initiierung der Greifbewegung zu einer spürbaren Verbesserung
der Genauigkeit der Bewegungen führen. Jedoch wird dabei nie eine Verbesserung erreicht,
die mit dem Greifen von Normalpersonen vergleichbar wäre. Durch den verzögerten Beginn
der Greifbewegung kann anscheinend der defekte (normalerweise schnelle) dorso-dorsale
Strom umgangen werden und die notwendige visuomotorische Information auf langsameren
Kanälen den Effektor erreichen. Ein möglicher Kandidat hierzu ist der ventro-dorsale
Strom.
Läsion
In vielen Studien zur visuomotorischen Apraxie wurden Läsionen des superioren parietalen
Lobulus berichtet. Perenin und Vighetto [13] postulierten, dass dem Zentrum der Läsion im Sulcus intraparietalis sehr wahrscheinlich
im Areal MIP (mediales intraparietales Areal) eine entscheidende Bedeutung zukommt.
Mithilfe der Methode des syndrombasierten Läsions-Mappings fanden Karnath und Perenin
[15] an 10 Patienten mit linksseitigen und an 6 Patienten mit rechtsseitigen Läsionen
eine überwiegende Beteiligung des parieto-okzipitalen Übergangs. Alle hier erwähnten
Läsionsorte sind im dorso-dorsalen Strom angesiedelt.
Relevanz und Therapie
Am stärksten sind Patienten betroffen, die auch bei zentraler Fixation der Objekte
an diesen vorbeigreifen. Diese eher seltenen Fälle sind meist mit größeren oder bilateralen
Läsionen vergesellschaftet. Patienten mit optischer Apraxie im Rahmen eines Balint-Syndroms
haben Schwierigkeiten, sich in einer ungewohnten Umgebung zurechtzufinden: Simultanagnosie
und optische Apraxie führen zu einer schweren Störung der visuellen Exploration: Die
Patienten detektieren Dinge nicht und können Gegenstände und ihre eigene Position
nicht in Beziehung setzen. Patienten mit kleineren und einseitigen Läsionen sind dagegen
oft nur milde betroffen.
Wenn die optische Apraxie auf die Peripherie des visuellen Feldes beschränkt ist,
dann können mit den Patienten Ersatzstrategien geübt werden, bei denen die Patienten
zuerst lernen, ihren Blick Gegenständen zuzuwenden und diese dann unter Fixation zu
greifen.
Gliedmaßenapraxie
Einfache Komponenten einer Bewegungsausführung sind bei den Gliedmaßenapraxien erhalten;
die Störung der Bewegungsausführung hängt vielmehr vom Kontext ab, in dem die motorische
Handlung ausgeführt wird.
Ein wichtiges Charakteristikum von Gliedmaßenapraxien ist, dass die Störung der Bewegungsausführung
kontra- und ipsilateral, also auf beiden Seiten des Körpers, auftritt. Die Störung
betrifft also Mechanismen der Handlungskonzeption, die hierarchisch höher angesiedelt
sind als die rein kontralaterale Handlungsausführung und sensomotorische Kontrolle.
Während sich die Gliedmaßenapraxie im Bereich der Extremitäten manifestiert, kann
eine Sonderform der Apraxie im Bereich des Gesichtes auftreten; diese Form wird als
Gesichtsapraxie oder bukkofaziale Apraxie bezeichnet.
Bis zu 80 % aller aphasischen Patienten haben eine bukkofaziale Apraxie.
Diagnostik
Da sich die Gliedmaßenapraxie überwiegend in drei Domänen motorischer Aktionen manifestiert,
die nach Lokalisation und Lateralisation der Läsion unterschiedlich ausgeprägt sein
können, schlägt Goldenberg deren getrennte Prüfung vor [16]. Diese drei Domänen bestehen aus:
-
Imitieren von bedeutungslosen Gesten,
-
Ausführen bedeutungsvoller Gesten auf verbale Aufforderung (inklusive der Pantomime,
des Werkzeug-/Objektgebrauchs) und
-
(tatsächlicher) Gebrauch von Werkzeugen und Objekten.
Während die Störung der Imitation von bedeutungslosen Gesten und die Ausführung von
bedeutungsvollen Gesten überwiegend der klassischen ideomotorischen Apraxie zugerechnet
werden kann, ist die Störung des individuellen und seriellen Objektgebrauchs überwiegend
Ausdruck der klassischen ideatorischen Apraxie. Wie bereits eingangs erwähnt, kann
die Beschreibung von Defiziten in den drei motorischen Domänen das Wesen der Gliedmaßenapraxie
viel besser abbilden als die klassische ideomotorische und ideatorische Apraxie.
Deswegen verlässt man heutzutage die klassische Nomenklatur und beschränkt sich auf
die Beschreibung der Defizite.
Störung der Imitation von bedeutungslosen Gesten und von bedeutungsvollen Gesten (einschließlich
Pantomime)
Patienten mit Defiziten in der Imitation von bedeutungslosen Gesten und der Imitation
von bedeutungsvollen Gesten fallen im Alltagsleben wenig auf, ihre Störung manifestiert
sich hauptsächlich in der Untersuchungssituation. Wenn der Patient z. B. aufgefordert
wird, eine Pantomime des Objektgebrauchs nach verbaler oder visueller Vorgabe des
Objektes durchzuführen, wird er bei dem Versuch, den Gebrauch eines Objektes zu demonstrieren,
Fehler zeigen. Wenn dem Patienten stattdessen reale Objekte vorgestellt werden, wird
er deutlich weniger Auffälligkeiten zeigen ([Abb. 6]).
Abb. 6 Gestörte Pantomime bei einer Patientin mit Gliedmaßenapraxie nach Läsion des linken
unteren Parietallappens. Der Versuch einer Pantomime, die das Eingießen von Wasser
aus einer Flasche in ein Glas darstellen soll, führt zu Ratlosigkeit und Perseveration
einer unvollständigen Bewegung. Unter Zuhilfenahme der entsprechenden Objekte wird
die Bewegung dagegen fehlerfrei ausgeführt.
Testung der Imitation von Gesten
Eine wirkliche Imitation von Gesten kann nur bei der Nachahmung von neuen, nicht bekannten
Gesten überprüft werden, die keinen Bezug zu gespeicherten Bewegungsrepräsentationen
haben.
Tipp
Es hat sich bewährt, Finger- und Handgesten getrennt zu testen. Da die beiden Funktionen
unterschiedlich über die Hemisphären verteilt sind, können so auch apraktische Fehler
bei rechtshemisphärischen Läsionen erfasst werden.
Für die Testung der visuellen Imitation von Hand- und Fingergesten kann ein Satz von
10 (mehr oder weniger) bedeutungslosen Hand- und Fingergesten benutzt werden [17]. Die Patienten sollen dabei prinzipiell die zur Läsion ipsilaterale Hand verwenden,
die Demonstration erfolgt wie im Spiegel, d. h. wenn der Patient die linke Hand verwenden
soll, demonstriert der Untersucher die Geste mit seiner rechten Hand und umgekehrt.
Das Imitieren erfolgt im unmittelbaren Anschluss an, aber nicht gleichzeitig mit der
Demonstration.
Bewertet wird die Korrektheit der schließlich erreichten Stellung, zögerliche Bewegungen
und Selbstkorrekturen geben keinen Punkteabzug. Beim Imitieren der Fingerstellungen
wird nicht bewertet, ob auch die Handposition dieselbe ist wie bei der Demonstration.
Wenn die Hand- oder Fingerstellung im ersten Versuch nicht richtig imitiert wurde,
wird diese nochmals gezeigt. Für die korrekte Imitation werden 2 Punkte gegeben und
im 2. Versuch 1 Punkt. Scores von 18 für Hand- und 17 für Fingerstellungen sind grenzwertig,
niedrigere Werte pathologisch. In Anlehnung an Poeck [18] können orientierend auch die in der folgenden Übersicht zusammengestellten bedeutungslosen
Gesten getestet werden.
Bedeutungslose Gesten zur Testung von Hand- und Fingergesten im Rahmen einer Gliedmaßenapraxie
-
die geöffnete Hand in weitem Bogen auf die andere Schulter legen
-
den Handrücken auf die Stirn legen
-
die Handfläche an das linke Ohr legen
-
die Faust auf die Brust legen
-
mit der Hand ein Kreuz in die Luft machen
-
mit der Faust einen Kreis in der Luft beschreiben
-
die geschlossene Hand auf den Kopf legen
-
mit der offenen Hand an den Nacken fassen
-
den Arm anwinkeln und die Hand auf die Hüfte stützen
-
das Kinn mit den Fingerspitzen berühren
(nach Poeck [18])
Testung der Ausführung von bedeutungsvollen Gesten auf Aufforderung
Zu den bedeutungsvollen Gesten, die auf Aufforderung getestet werden können, gehört
auch die Pantomime des Objektgebrauchs. Die Ausgestaltung dieser Gesten hängt von
den pragmatischen Eigenschaften des Objektes und dem situativen Kontext ab. Zum anderen
können Gesten mit kommunikativem Charakter oder mit einer in einem bestimmten Kulturkreis
festgelegten Bedeutung getestet werden (z. B. „per Anhalter fahren“, oder „einen Vogel
zeigen“).
Bei der Testung der Pantomime des Objektgebrauchs werden die Patienten vom Untersucher
verbal aufgefordert, den Gebrauch von bestimmten Objekten zu demonstrieren, spontan
und ohne sie zu sehen. Bei fehlendem Verständnis für die Aufgabe, vor allem also bei
aphasischen Patienten, kann die Instruktion durch das kurze Zeigen des Objektes erleichtert
werden. Trotz der stark variablen individuellen Strategien bei der Pantomime des Objektgebrauchs
und daher der gelegentlich schwierigen Unterscheidbarkeit zwischen einer normalen
und pathologischen Durchführung eignen sich die unten aufgelisteten Fehler bei der
Bewegungsausführung dazu, eine Apraxie zu diagnostizieren.
Für die schnelle klinische Testung auf Gliedmaßenapraxie empfiehlt sich ein zweistufiges
Vorgehen [19]: Der Identifizierung von apraktischen Patienten mithilfe von Screening-Verfahren
folgt eine ausführliche Charakterisierung der apraktischen Defizite mit detaillierten
neuropsychologischen Testverfahren.
Für beide Stufen sollten Tests verwendet werden, die sowohl den indirekten (semantischen)
als auch den direkten Verarbeitungsweg überprüfen und einen Grenzwert für Beeinträchtigung
(„Cut-off“) angeben.
Pantomime-Tests decken Defizite des indirekten Verarbeitungsweges auf, während die
Imitation von bedeutungslosen Bewegungen Störungen des direkten Verarbeitungsweges
detektiert. Entsprechend eignet sich als psychometrisch validiertes Screening-Verfahren
das Kölner Apraxie Screening (KAS) [20] und für die ausführlichere Testung TULIA [21]. Für die Erfassung von Apraxien bei Demenzen wurde der kurze Dementia Apraxia Test
(DATE) entwickelt [3].
Kölner Apraxie-Screening (KAS) – Das Kölner Apraxie-Screening [20] besteht aus zwei Untertests (Pantomime und Imitation), die jeweils bukkofaziale
und Arm-/Handgesten testen. Insbesondere die Unterteilung nach Effektoren hat sich
bei der Apraxietestung von Patienten mit verschiedenen Demenzformen bewährt [3].
Die Bearbeitungsdauer des KAS ist kurz:
Zudem kann die Testung mit der Bildmappe des KAS direkt am Krankenbett durchgeführt
werden.
Leider werden für die Untertests des KAS keine separaten Cut-off-Werte für Beeinträchtigung
angeben. Da Patienten mit linkshemisphärischem Schlaganfall oft zusätzlich an Aphasie
leiden, ist eine Stärke des KAS, dass die Durchführung auch bei Patienten mit nur
sehr geringem Sprachverständnis möglich ist. Mittlerweile wurde der KAS auch als KAS-R
bei Patienten mit rechtshemisphärischem Schlaganfall erprobt [22]. Schließlich weist der KAS für Patienten mit einem linkshemisphärischen Schlaganfall
bei einer Sensitivität von 80 % und einer Spezifität von 98 % sehr gute psychometrische
Gütekriterien auf:
-
interne Konsistenz (Cronbach Alpha): 0,968;
-
Gesamttesthomogenität (Item-Korrelation): 0,604;
-
Interrater-Reliabilität (rho): 0,907.
Test of upper Limb Apraxia (TULIA) – TULIA ist sowohl ein zuverlässiger als auch ein aussagekräftiger Test zur systematischen
und ausführlichen Bewertung der Gestenproduktion [21]. Er deckt alle relevanten Bereiche und semantischen Merkmale von Gesten ab. Daher
ist der Test umfassend und dennoch in kurzer Zeit durchzuführen. Dementsprechend besteht
TULIA aus 48 Elementen, einschließlich eines Imitations- und Pantomime-Teils mit 8
bedeutungslosen, 8 intransitiven (kommunikativen) und 8 transitiven (werkzeugbezogenen)
Gesten, die jeweils 6 Untertests entsprechen. Die Gesten werden für kinematische Merkmale
wie Finger- oder Handhaltungen ausgewogen.
Die TULIA-Bewertung stützt sich auf ein videobasiertes 6-Punkte-Bewertungssystem (0 – 5),
das qualitative Aspekte der Bewegung bewertet. Im oberen Bereich (3 – 4) werden geringfügige
räumlich-zeitliche Ungenauigkeiten wie reduzierte Amplituden oder zusätzliche Bewegungen
reflektiert (hauptsächlich distal), während im unteren Bereich (1 – 2) große räumliche
(z. B. falsche Endposition) und semantische Fehler (z. B. Demonstration der Verwendung
einer Gabel anstelle eines Messers zum Schneiden von Brot) erfasst werden. Die maximale
Punktzahl von TULIA beträgt 240; die Cut-off-Punktzahl für Apraxie beträgt 194.
Die psychometrischen Eigenschaften von TULIA, einschließlich der Inter- und Intrarater-Reliabilität
sowie der Konstrukt- und Kriteriumsvalidität, wurden als sehr gut bis exzellent ermittelt.
Der Test kann leicht angewendet werden und ist daher sowohl für Forschungszwecke als
auch für die klinische Praxis nützlich.
Dementia Apraxia Test (DATE) – Der Dementia Apraxia Test (DATE) wurde speziell auf die Untersuchung von Apraxien
bei Demenzen, insbesondere auf Alzheimer-Demenz und fronto-temporale Demenz, zugeschnitten
[3]. Der Test besteht aus 20 Elementen zur Testung von Gliedmaßenapraxie und bukkofaziale
Apraxie (Testung auf Imitation von Armbewegungen, Pantomime von Objektgebrauch, faziale
Imitation, Gesichtsausdrücke und Pseudowörter).
Der Test erwies sich als hocheffizient für die Unterscheidung von biologisch bestätigten
Demenzpatienten von Normalpersonen (Sensitivität 91 %, Spezifität 71 %), aber auch
für die Differenzialdiagnose von der Verhaltensvariante der frontotemporalen Demenz
von Alzheimer-Demenz (Sensitivität 74 %, Spezifität 93 %).
DATE ist ein kurzes und einfach anzuwendendes kognitives Instrument zur Untersuchung
von Demenzen, er hat eine hohe Interrater-Reliabilität (Cohens κ = 0,885) und zeigt
eine hohe Inhaltsvalidität.
Fehlertypen bei der Gliedmaßenapraxie
Das Kardinalsymptom der Gliedmaßenapraxie ist die Parapraxie [2]. Es handelt sich um eine Kombination einer gestörten Handlungsselektion mit Sequenzierungsfehlern
und räumlichen Orientierungsfehlern.
Die am häufigsten beobachteten parapraktischen Fehler sind (nach Poeck [18]):
Perseveration
Es werden sowohl ganze Bewegungen als auch Elemente von Bewegungen wiederholt, die
der Patient im Verlauf der Untersuchung ausgeführt hatte.
Substitution
Eine geforderte Bewegung wird durch eine andere Bewegung ersetzt.
Überschussbewegungen
Es werden über die gewünschten Bewegungen hinausgehende Bewegungen ausgeführt (Beispiel:
Statt nur die Nase zu rümpfen, spitzt der Patient zusätzlich den Mund, oder er schließt
beim Pfeifen gleichzeitig fest die Augen).
„Verbal Overflow“
Die apraktischen Patienten versuchen zu erklären, wie man den Gegenstand handhabt,
anstatt die Handhabung zu demonstrieren, oder sie malen den Gebrauch durch Kommentare
und Geräusche aus.
Auslassung
Bewegungen werden nur unvollständig ausgeführt (Beispiel: Anstatt eine Kämmbewegung
auszuführen, streicht sich der Patient mit der Hand durch die Haare).
Conduite d’approche
Der Patient nähert sich in mehreren unterschiedlichen Versuchen der geforderten Zielbewegung
an, bis er die Bewegung korrekt ausführt. Bleibt dieser Versuch vergeblich, kann es
zur „conduite d’écart“ kommen, dem Abdriften von der geforderten Zielbewegung.
„Body-Part-as-Object- (BPO-)Fehler“
Bei der Demonstration des pantomimischen Objektgebrauchs werden Körperteile als Werkzeuge
benutzt. Pathologisch sind BPO-Fehler, wenn sie trotz wiederholter Instruktion auftreten
und wenn sie Objekte betreffen, für die BPO unüblich und auch kommunikativ wenig effizient
sind (z. B. Hämmern mit der Faust, wobei die Faust wie der Hammerkopf auf den Tisch
schlägt, oder Saugen am Finger für die Pantomime des Rauchens).
Fall 3
Ein 64-jähriger Patient wachte mit Sprachstörungen und Verwirrtheit auf. Die initiale
Untersuchung in der Notaufnahme zeigte eine mittelgradige fluide Aphasie mit Störungen
des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion mit Agrammatismus und Neologismen.
Der Patient war zusätzlich zeitlich und örtlich desorientiert. Das Aufnahme-CT wies
einen ischämischen Infarkt im linken posterioren Mediateilinfarkt in der parieto-temporalen
Übergangsregion nach.
Im weiteren Verlauf besserte sich die Sprachstörung deutlich mit deutlichen Fortschritten
des Sprachverständnisses und der Kommunikation. Dafür wurde eine Unbeholfenheit der
Bewegungen immer auffälliger. Im Kölner Apraxie Screening (KAS) wurden Werte deutlich
unter dem Cut-off für beiden Subtests, Imitation und Pantomime gefunden. Der Test
for Upper Limb Apraxia (TULIA) war ebenfalls deutlich auffällig.
Die vertiefende Untersuchung mithilfe von 5 Protokollen nach Goldenberg zeigten das
ganze Ausmaß der apraktischen Störung: im Subtest Fingerimitation wurden 11 von 20,
im Subtest Handimitation wurden 14 von 20, im Subtest Hand- und Fingerimitation wurden
4 von 20, im Subtest Pantomime wurden 23 von 55 und im Subtest Objektgebrauch wurden
20 von 20 Punkten erreicht.
Somit konnte die Diagnose einer Gliedmaßenapraxie mit Störung der Imitation und der
Pantomime bei intaktem Gebrauch von realen Objekten gestellt werden. Sehr anschaulich
war der recht häufige Befund bei der gestörten Pantomime des Objektgebrauchs, vor
allem bei der Pantomime von Handlungen mit mehreren Objekten bei absolut intaktem
Gebrauch der gleichen Objekte in natura.
Läsionen
Die Störung der Imitation von bedeutungslosen und bedeutungsvollen Gesten ist im Allgemeinen
mit Läsionen der sprachdominanten Hemisphäre assoziiert. Die Imitation von einfachen
und komplexen Bewegungen kann nach Läsionen des linken frontalen und parietalen Kortex
gestört sein, diese Störung tritt jedoch häufiger nach parietalen Läsionen auf. Viele
Patienten mit linkshemisphärischen parietalen Läsionen scheinen eine Störung der Ausführung
und der Analyse von Bewegungen zu haben, die sich auf ihr eigenes Körperschema beziehen.
Eine Störung der Imitation von Handstellungen findet sich überwiegend nach Läsionen
des linken inferioren Parietalkortex. Eine Störung der Imitation von Fingerstellungen
findet sich dagegen überwiegend nach Läsionen des linken ventralen prämotorischen
Kortex.
Darüber hinaus ist die Lateralisation der Imitationsstörung von bedeutungslosen Bewegungen
körperteilspezifisch: linkshemisphärische Läsionen betreffen das Imitieren von Hand-
und Fußstellungen mehr als das von Fingerstellungen. Rechtshemisphärische Läsionen
dagegen haben keinen Einfluss auf Handstellungen und wenig auf Fußstellungen, aber
bewirken eine deutliche Störung des Imitierens von Fingerstellungen [17]. Innerhalb der linken Hemisphäre sind Läsionen des unteren Parietallappens für die
Imitation besonders wichtig. Auch Störungen der Pantomime von transitiven (objektbezogenen)
Bewegungen finden sich überwiegend nach Läsionen der linken Hemisphäre – ebenfalls
im inferioren Parietalkortex.
Eine neue Studie zu der neuralen Repräsentation von bedeutungslosen und bedeutungsvollen
Fingerstellungen bei Patienten mit Apraxie zeigt, dass die bedeutungslosen Fingerstellungen
überwiegend im dorso-dorsalen Strom und die bedeutungsvollen Fingerstellungen im ventro-dorsalen
Strom verarbeitet werden [23]. Der dorso-dorsale Strom wird mit dem sogenannten direkten Weg der schnellen Verarbeitung
von Bewegungsinhalten assoziiert. Der ventro-dorsale Strom wird dagegen mit dem indirekten
Weg in Verbindung gebracht. Wie oben angemerkt, ist der ventro-dorsale Strom und somit
der indirekte Weg für die langsamere wissensbasierte Bewegungskontrolle, die auf zeitaufwendigeren
Komponenten der Bewegungsprogrammierung beruht, zuständig.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass sich die Läsionen im inferioren Parietalkortex und
im unteren prämotorischen Kortex bei gestörter Pantomime auch innerhalb des ventro-dorsalen
Stroms der Verarbeitung der visuellen Information befinden.
Klinische Bedeutung und therapeutische Konsequenzen
Die Störungen der Imitation von bedeutungslosen Gesten und der Pantomime äußert sich
normalerweise relativ wenig im Alltag. Imitationsdefizite haben dennoch eine hohe
klinische Relevanz, da sie ein wesentliches Hindernis für das motorische (Imitations-)
Lernen in der Physiotherapie nach Schlaganfall darstellen. Außerdem nehmen Störungen
der Gestik den Schlaganfallpatienten mit Aphasie (und diese ist in der Mehrzahl der
Fälle mit der Apraxie verschwistert) eine wichtige Kompensationsmöglichkeit bei der
Kommunikation, da Gesten als sprachbegleitende oder sprachersetzende Möglichkeit,
sich auszudrücken, entfallen [10]. In dieser Situation kann ein Gestentraining sinnvoll sein.
Störung des Objektgebrauchs
Diagnostik
Apraktische Patienten mit einer Störung des Objektgebrauchs sind in ihrem alltäglichen
Leben schwer beeinträchtigt. Im klinischen Alltag ist es daher sinnvoll, den Objektgebrauch
intensiv zu prüfen. Das Benutzen von Werkzeugen und Objekten umspannt ein weites Spektrum
vom routinemäßigen Gebrauch alltäglicher und einfacher Geräte (wie z. B. eines Kamms
oder einer Zahnbürste) bis zu mechanischem Problemlösen, komplexen Handlungsabläufen
mit mehreren Objekten oder den Umgang mit technischen und elektronischen Geräten.
Ein Beispiel einer profunden Störung des Objektgebrauchs findet sich in [Abb. 7].
Abb. 7 Eine Patientin mit einem profunden Defizit des Objektgebrauchs. Der Holzhammer wird
eindeutig falsch gehalten und perservatorisch im Kreis gedreht, was auf einen Verlust
des Konzeptes des Objektgebrauchs hindeutet. Die Kraft der Hand und des Arms ist intakt,
und die einfache Koordination der Arm- und Handbewegungen ist erhalten.
Um eine objektorientierte Bewegung sinngemäß durchzuführen, brauchen wir das Wissen
über den semantischen Kontext (in dem das Objekt benutzt wird) oder müssen von den
mechanischen Eigenschaften des Objektes seine Funktion ableiten. In der neurologischen
Untersuchung konzentriert man sich am besten auf den routinemäßigen Gebrauch vertrauter
Werkzeuge und Objekte. Man gibt den Patienten die nötigen Objekte – z. B. Schere und
Papier, Schloss mit Schlüssel, Hammer und Nagel – und bittet sie, den Gebrauch zu
demonstrieren. Für Patienten mit Hemiplegie müssen die Objekte für einhändigen Gebrauch
vorbereitet werden (z. B. der Nagel steht bereits in einem Block). Apraktische Fehler
sind leicht zu erkennen: z. B. drücken Patienten den Hammer auf den Nagel anstatt
zu schlagen, oder versuchen, mit geschlossener Schere zu schneiden.
Als komplexe Bewegungssequenz kann man z. B. das Lochen und Einheften eines Blattes
in einen Ordner prüfen.
Wichtig ist, dass die Patienten die Fähigkeit zeigen, logisch aufeinander folgende
Handlungen mit mehreren Objekten so auszuführen, dass ein bestimmtes Ziel erreicht
wird.
Typische Beispiele für komplexe „naturalistische“ Handlungen, die für die ausführliche
Testung einer ideatorischen Apraxie benutzt werden können, sind:
-
Eine Tasse Kaffee zubereiten: Ein Topf mit Wasser, eine Tasse mit Untertasse, ein
Löffel und eine Büchse Instant-Kaffee sollen in der korrekten Reihenfolge benutzt
werden, um eine Tasse Kaffee zuzubereiten.
-
Einen Brief zur Versendung vorbereiten: einen Brief falten, in einen Umschlag stecken,
den Umschlag zukleben, den Brief adressieren und frankieren.
Es können auch Handlungen gewählt werden, die ein Mindestmaß am technischen Wissen
verlangen, wie das Einlegen von Batterien und das Einführen einer CD in einen CD-Player,
um Musik zu hören.
Take Home Message
Die typischen Fehler von Patienten mit einer apraktischen Störung des Objektgebrauchs
bei der Ausführung von komplexen Bewegungen sind:
-
das Nichteinhalten der logischen Sequenz einzelner Bewegungen, (z. B. Objekte werden
in falscher Reihenfolge benutzt);
-
einzelne Bewegungen, die zu der Handlung gehören, werden ausgelassen oder perseveratorisch
wiederholt.
Läsionen
Die meisten Patienten mit Störung des Objektgebrauchs haben große Läsionen, die die
temporo-parietale Region in der sprachdominanten Hemisphäre einschließen und häufiger
auch bis in frontale Regionen reichen. Vergleichende Studien an Patienten mit rechts-
und linkshemisphärischen Läsionen, die den Gebrauch von einzelnen Objekten oder Werkzeug-Objekt-Paaren
untersucht haben, zeigten Störungen nur bei linkshemisphärischen Läsionen. Patienten
mit linkshemisphärischen Läsionen haben Schwierigkeiten, passende Objekte für solche
Bewegungen auszuwählen, die ihnen als Pantomime des Objektgebrauchs gezeigt wurden.
Sie haben aber auch Probleme bei der Pantomime von objektassoziierten Bewegungen oder
bei der Auswahl von Objekten, die dem gleichen Zweck dienen sollen.
Die Funktionsfähigkeit der linken Hemisphäre ist sowohl für die Erstellung von Assoziationen
zwischen einem Werkzeug, seinem Zweck, dem Anwendungsort und der passenden Bewegung
als auch für die Herleitung der Funktion von der mechanischen Struktur des Objektes
von entscheidender Bedeutung. Während Störungen im Umgang mit einfachen und vertrauten
Objekten ausschließlich nach linkshemisphärischen Läsionen auftreten, haben auch Patienten
mit rechtshemisphärischen Läsionen Probleme bei komplexen Handlungen mit mehreren
Objekten, insbesondere, wenn die Objekte nicht vertraut sind und der richtige Gebrauch
erst herausgefunden werden muss. Bei „naturalistischen“, mehrschrittigen Handlungen
– wie der Zubereitung von Kaffee – können die rechtshemisphärischen Patienten sogar
stärker betroffen sein.
Aktuelle Studien zur Lokalisation der kritischen Läsionen für die Störung des Objektgebrauchs,
die von zahlreichen Bildgebungsstudien an Normalpersonen unterstützt werden, demonstrieren
die Rolle des ventro-dorsalen Stroms der visuellen Informationsverarbeitung für die
Verarbeitung der Objektinformation. Dementsprechend sind Läsionen im ventro-dorsalen
Strom nicht nur für die Imitation von bedeutungsvollen Gesten, sondern auch für die
Störung des Objektgebrauchs entscheidend.
Relevanz und Therapie
Die Störungen des Objektgebrauchs schränken die Selbstständigkeit der Patienten nach
einem linkshemisphärischen Schlaganfall deutlich ein, wobei die Beeinträchtigung der
Alltagshandlungen (Activities of daily Living, ADL) sogar stärker mit dem Ausmaß der
Apraxie als mit dem der Aphasie korreliert ist.
Gerade die Defizite beim Gebrauch von Objekten tragen ganz maßgeblich dazu bei, dass
das Vorhandensein einer Apraxie ein unabhängiger negativer Prädiktor für das Rehabilitationsergebnis
nach einem linkshemisphärischen Schlaganfall ist.
Von den Patienten, die in der ersten Woche nach einem Schlaganfall apraktisch waren,
war ca. die Hälfte auch nach 3 Monaten noch apraktisch, und ca. 20 % blieben es. In
einer Untersuchung [24] der Effektivität des Trainings der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) wurde
bei Patienten mit rechtsseitiger Hemiparese, Aphasie und Apraxie keine Tendenz zur
Erholung von Alltagsfertigkeiten, wie Pullover anziehen oder Zähneputzen, innerhalb
von 3 Monaten gefunden. Ein positiver Effekt eines sogenannten „Strategietrainings“,
das z. B. aus einer Verbalisierung, dem Aufschreiben von eigenen Handlungen oder dem
Aufzeigen von Bildern einer Handlungssequenz in der korrekten Reihenfolge bestand,
konnte im Vergleich zu einer konventionellen physiotherapeutischen Behandlung nachgewiesen
werden.
In einer Crossover-Design-Studie [25] wurde die direkte Übung von tagtäglichen Aktivitäten mit einem „explorativen Training“
verglichen, in dem Patienten lernten, mögliche Funktionen von Gegenständen von deren
strukturellen Eigenschaften abzuleiten. Eine eindeutige Reduktion von Fehlhandlungen
und der Hilfsbedürftigkeit der Patienten konnte nur nach dem direkten Training gefunden
werden, in dem konkrete ADL-Fertigkeiten eingeübt wurden. Dagegen konnten die Patienten
die in dem Explorationstraining neu gewonnenen Einsichten über den Objektgebrauch
nicht konkret anwenden. Auf der anderen Seite konnten die im direkten Training gewonnen
Fertigkeiten nicht generell auf Situationen außerhalb des therapeutischen Rahmens
übertragen werden.
Take Home Message
Anscheinend bleiben die erlernten Aktivitäten nur bei solchen Patienten dauerhaft
erhalten, die diese Aktivitäten konstant üben. Die Inhalte der Therapie bei Patienten
mit Störung des Objektgebrauchs sollten sich daher stark an dem häuslichen Umfeld
und an den Wünschen der Patienten und ihrer Angehörigen orientieren.
Pathophysiologie der Gliedmaßenapraxien
Patienten mit Gliedmaßenapraxie können nicht imitieren, weil sie die wahrgenommenen
Bewegungsvorgaben nicht in adäquate eigene Bewegungsschemata umsetzen können; hier
spielt möglicherweise eine Störung des sogenannten „Mirror-Neuron-Systems“ eine wesentliche
Rolle. Die Spiegelneurone, die in Teilen des ventralen prämotorischen und des inferioren
parietalen Kortex und somit im ventro-dorsalem Strom angesiedelt sind, kodieren sowohl
die Bewegungswahrnehmung als auch die Bewegungsausführung und dienen der Erzeugung
von internen Repräsentationen von Bewegungen und dem Verstehen von Bewegungsinhalten.
Wenn eine Pantomime des Objektgebrauchs durchgeführt werden soll, dann müssen sowohl
die Parameter des Objektes (die physikalischen Eigenschaften, die Position im Raum)
als auch die dazugehörende Bewegungsreplik oder das Bewegungsprogramm gemeinsam abgerufen
und miteinander verknüpft werden. Neben dem expliziten Wissen über den richtigen Gebrauch
der Objekte erfordert die Pantomime also die Fähigkeit, wesentliche und gut unterscheidbare
Aspekte dieses Gebrauchs herauszuheben und durch Handbewegungen darzustellen.
Die Störung der Pantomime des Objektgebrauchs kann sowohl von dem gestörten Zugriff
auf die Information über das Objekt, von dem fehlerhaften Abruf der entsprechenden
Bewegungssequenz als auch von einer Kombination beider Störungen herrühren.
Vieles spricht dafür, dass entsprechende unterschiedliche „Bewegungsentwürfe“ a priori
gespeichert sind. Es handelt sich dabei weniger um eine generelle „Bewegungsformel“
[2], sondern vielmehr um spezifische, auf die zu handelnde Extremität, die Interaktion
mit Objekten bzw. auf bestimmte Situationen bezogene „Repliken“ von Bewegungen. Hinweise
auf solche effektorenspezifischen Repräsentationen von Bewegungen ergeben sich z. B.
aus zahlreichen Bildgebungsstudien zur Bewegungsbeobachtung und Bewegungsvorstellung
(Motor Imagery).
Der Gebrauch von gängigen Objekten oder Werkzeugen oder der sequenzielle Gebrauch
von verschiedenen Werkzeugen, um eine komplexe Handlung auszuführen, erfordert die
Fähigkeit, das Konzept des Objektgebrauchs oder der sequenziellen Handlung abzurufen.
Bei einzelnen Objekten kann es sich dabei um den Abruf von expliziten „Gebrauchsanweisungen“
aus dem semantischen Gedächtnis handeln oder um die Fähigkeit, von der Struktur eines
Objektes auf seine möglichen Funktionen zu schließen und mechanische Probleme zu lösen.
Das Konzept einer „Gebrauchsanweisung“ für einzelne gängige Objekte kann aus der Assoziation
des Objektes mit seiner Anwendung, dem Anwendungsziel und der motorischen Aktion abgeleitet
werden. Neue Befunde zeigen, dass Objekte im menschlichen Gehirn auch auf der konzeptuellen
Ebene gespeichert sind.
Komplexe mehrschrittige Handlungen, die ein Benutzen von mehreren Objekten einschließen,
erfordern auch komplexere Gebrauchsanweisungen, die mehrere einfachere Handlungs-Objekt-Einheiten
organisieren. Komplexe Handlungen mit mehreren Objekten stellen darüber hinaus Ansprüche
an das Arbeitsgedächtnis und das serielle Planen. „Versuch-und-Irrtum-Strategien“
werden gebraucht, um kausale Zusammenhänge herauszufinden, die nicht direkt aus der
Struktur ableitbar sind, oder wenn das notwendige technische Wissen fehlt.