Nervenheilkunde 2019; 38(07): 503-505
DOI: 10.1055/a-0883-3219
Seelenkunde
Georg Thieme Verlag KG

Metaphorik der Seele

Markus R. Pawelzik
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Publication Date:
10 July 2019 (online)

„Denken ist Reden mit sich selbst.“

Immanuel Kant [1]

Wie sprechen wir über das Mentale? Wir tun dies metaphorisch. Wir reden in Bildern – etwa von gebrochenen Herzen oder seelischen Abgründen, um psychische Befindlichkeiten zu beschreiben. Dabei werden konkrete, anschauliche und kognitiv transparente Vorstellungen (von einem zerbrochenen Gegenstand oder einem Abgrund) benutzt, um Vorstellungen von undurchsichtigen und unkonkreten Sachverhalten (nicht einsehbaren seelischen Zuständen) zu entwickeln. Die kognitive Linguistik erklärt Metaphern als Passungen zwischen einer Quellendomäne verstandener Zusammenhänge und einer Zieldomäne zu verstehender Zusammenhänge [2]. Wenn man an die Zeile des Shakespeare-Sonetts denkt, in der der Liebende fragt, ob er die Geliebte (Zieldomäne) mit einem Sommertag vergleichen darf (Quellendomäne), dann erscheint dies einleuchtend. Wenn Psychiater von düsterer Stimmung oder verworrenem Denken reden, gilt ein Gleiches. In diesen Fällen wird die Stimmung in Analogie zu einer den Himmel verdunkelnden Wetterfront oder der einbrechenden Nacht und das Denken in Analogie zu fehlender Sachlichkeit bzw. Geradlinigkeit verstanden. Wichtig für das Folgende ist: Die verwendeten Begriffe oder Phrasen sind mehrdeutig und werden nicht im buchstäblichen Sinne verwendet. Es geht um die Beschreibung undurchsichtiger Sachverhalte der mentalen Domäne, den wir im übertragenen Sinne zu erfassen versuchen.

Was bedeutet dieser Befund für die Arbeitsweise und den Status der Psychopathologie? Nach einer kurzen Illustration der Metaphorik unserer Seelendiskurse und zweier zentraler Konzepte der Psychopathologie werde ich diese Frage tentativ zu beantworten versuchen. (Alle kursiv gesetzten Worte dieses Textes sind metaphorisch zu verstehen. Dass sie so häufig sind, soll verdeutlichen, dass selbst das Selbstverständliche metaphorisch begriffen wird.)

 
  • Literatur

  • 1 Kant I. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht.. Hamburg: Felix Meiner Verlag; 2000. (ursprünglich 1778)
  • 2 Lakoff G. Explaining embodied cognition results.. Topics in Cognitive Science 2012: 773-785
  • 3 Wittgenstein L. Philosophische Grammatik.. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag; 1978
  • 4 Pawelzik M. Die Mentalismusfrage.. Nervenheilkunde 2018; 37: 489-499
  • 5 Boyer P. Intuitive expectations and the detection of mental disorders: A cognitive background to folk-psychiatries.. Philosophical Psychology 2010; 23: 821-844