Zusammenfassung
Bei der Ermittlung der Sehschärfe sollten dem Augenarzt die wissenschaftlichen Grundlagen
gegenwärtig sein, auch wenn er aus praktischen Erwägungen in vielen Fällen ein Verfahren
wählen kann, das strengen theoretischen Forderungen nicht genügt.
Psychometrische Funktion In der Europäischen Norm EN ISO 8596 (wie auch in der früher gültigen DIN 58220)
ist für die Messung der Sehschärfe der Landoltring vorgeschrieben, der in 8 verschiedenen
Orientierungen anzubieten ist. Bei abnehmender Größe des Landoltrings sinkt die Trefferrate
von 100% auf die Ratewahrscheinlichkeit (Zufallswahrscheinlichkeit) von 12,5%. Dieser
allmähliche Übergang wird durch die „psychometrische Funktion” beschrieben. In Kurvenform
dargestellt hat die psychometrische Funktion eine steilste Stelle (= Wendepunkt).
Sie liegt in der Mitte zwischen 100 und 12,5, also bei einer Trefferrate von 56,25%.
Diese steilste Stelle (angenähert durch 5 von 8 Landoltringen) wurde als Schwelle
gewählt, weil die dort abgelesene Sehschärfe von zufälligen Schwankungen am wenigsten
beeinflußt wird.
Forced choice Der Proband muß bei der Benennung der Landoltring-Orientierung zu „forced choice”
angehalten werden; eine Aussage wie „ich kann gar nichts erkennen” darf nicht akzeptiert
werden.
„Normale” Sehschärfe Sie kann nicht einer bestimmten Zahl zugeordnet werden, wie etwa 1,0; bei normgerechter
Prüfung erreichen junge, augengesunde Probanden Werte um 2,0, während bei alten Probanden
0,5 „normal” sein kann.
Mittelung der Sehschärfe Nur bei logarithmischer, nicht bei arithmetischer Skalierung der Sehschärfe ergeben
sich etwa gleiche, der Empfindungsstärke entsprechende Stufen. Daher dürfen Sehschärfewerte
auch nicht arithmetisch gemittelt werden. Korrekt ist es dagegen, geometrisch zu mittein
bzw. die Sehschärfewerte zunächst zu logarithmieren, dann zu mittein und schließlich
den erhaltenen Wert zu delogarithmieren.
„Minimum Angle of Resolution” überflüssig MAR ist der Kehrwert der Sehschärfe. Die neuerdings zuweilen gewählte Kennzeichnung
des Auflösungsvermögens mit log(MAR) ist überflüssig, denn log(MAR) hat die selben
statistischen Eigenschaften wie log(Sehschärfe). Zudem ist log(MAR) unanschaulich,
da der Wert bei Zunahme des Sehvermögens abnimmt.
Computergestützte Verfahren Sie erleichtern das Befolgen der EN ISO 8596. So muß sich der Untersucher z.B. beim
„Freiburger Visustest” nicht selbst merken, ob pro Stufe bereits 5 richtige Antworten
gegeben wurden, und er muß nicht darauf achten, dass der Landoltring pro Stufe höchstens
8 mal angeboten wird.
Summary
Psychometric function According to the European standard EN ISO 8596 the Landolt-C in 8 different orientations
has to be used to measure visual acuity. With decreasing size of the Landolt-C the
hit rate declines from 100% to the chance level of 12.5%. This gradual transition
is described by the “psychometric function”. The steepest point of the psychometric
function is in the middle between 100 and 12.5, i.e., at 56.25%. This point of the
psychometric function (approximated by 5 of 8 Landolt-Cs) has been selected as the
threshold for visual acuity, because it is there that the visual acuity is influenced
least by (incidental) fluctuations. The subject has to answer by forced choice; a
response like “I cannot detect anything” is not acceptable.
“Normal” visual acuity cannot be assigned to a certain value, like 1.0 or 6/6. With the standard test procedure,
visually healthy, young subjects achieve a visual acuity of about 2.0 or 12/6, while
in senior subjects 0,5 (3/6) may be “normal”.
Averaging visual acuity Logarithmic, not arithmetic, scaling of visual acuity approximates the perceptual
metric. Consequently, visual acuity values may not be averaged arithmetically. Instead,
three steps are required: all values have to be converted to logarithms, then averaged,
and finally the average can be reconverted. Geometric averaging is equivalent.
“Minimum Angle of Resolution” not necessary MAR is the reciprocal of visual acuity. In many studies, clinical outcome has been
assessed using log(MAR). Though statistically correct, this term is unnecessary, as
log(acuity) has identical statistical properties. Furthermore, log(MAR) is contra-intuitive
as its value becomes smaller when vision improves.
Computer-assisted instrumentation facilitates complying with the EN ISO 8596. For instance, the Freiburg Visual Acuity
Test relieves the examiner from observing whether 5 responses have been correct, and
that not more than 8 tests are given per level.
Schlüsselwörter
Sehschärfe - Visus - psychometrische Funktion - Schwellenbestimmung - Computer
Key words
Visual acuity - psychometric function - threshold estimation - computer