Zusammenfassung
Hintergrund: Mit der Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase (MKH) wird angestrebt, eine
mit einer Serie subjektiver Tests diagnostizierte „Fixationsdisparation” prismatisch
zu korrigieren, um eine bizentrale Bildlage zu erreichen. Unkorrigiert, so H.-J. Haase,
könne im zentralen Bereich der Netzhäute eine „disparate Korrespondenz” entstehen.
Diese verfestige die Vergenzfehlstellung allmählich, so dass aus einer „jungen Fixationsdisparation”
eine „alte” entstehen könne. Bei „alter Fixationsdisparation” komme eine bizentrale
Bildlage spontan nicht mehr vor. Dies beeinträchtige die Stereosehschärfe. Mit einer
Prismenbrille könne es bei „alter Fixationsdisparation” aber noch gelingen, bizentrale
Bildlage herbeizuführen und dadurch die Stereosehschärfe zu bessern. Methode: Zehn nicht schielende Personen mit Sehschärfe ≥ 1,0 wurden untersucht. Alle 10 machten
bei der MKH Angaben entsprechend einer „disparaten Korrespondenz”, bei 5 wurde eine
„junge” und bei 5 eine „alte Fixationsdisparation” diagnostiziert. Außerdem wurde
das den Richtlinien der MKH entsprechende Korrektionsprisma bestimmt. Alle 10 Personen
wurden dem automatischen Freiburger Stereosehschärfetest ohne und mit MKH-Prisma unterzogen.
Ergebnisse: Ohne MKH-Prisma lag die Stereosehschärfe bei allen 10 Personen zwischen 1,5 und 14,5
Winkelsekunden. Die Werte mit MKH-Prisma unterschieden sich davon nicht signifikant.
Schlussfolgerung: Sowohl bei den 5 Versuchspersonen mit „junger” als auch den 5 mit „alter” Fixationsdisparation
war die Stereosehschärfe bereits ohne MKH-Prisma gut bis sehr gut. Das MKH-Prisma
verbesserte die Stereosehschärfe bei keiner Versuchsperson. Diese Befunde lassen daran
zweifeln, dass man aufgrund der Diagnose einer „alten Fixationsdisparation” auf eine
schlechte Stereosehschärfe schließen kann. Dies wäre aber die Voraussetzung für die
Erwartung, man könne durch prismatische Korrektion einer „alten Fixationsdisparation”
die Stereosehschärfe verbessern. Bei den 5 Versuchspersonen mit „junger Fixationsdisparation”
war laut MKH bereits ohne Prisma eine hohe Stereosehschärfe zu erwarten. Demnach kann
das MKH-Prisma auch bei „junger Fixationsdisparation” nicht mit einem Gewinn an Stereosehschärfe
begründet werden. In früheren Studien war mit MKH-Prisma eine höhere Stereosehschärfe
gefunden worden als ohne Prisma. Die Aussagekraft dieser Studien ist aber fragwürdig,
da in ihnen der Lerneffekt bei Testwiederholung nicht berücksichtigt wurde. Zusammenfassend
kann daher gesagt werden: Es gibt keinen stichhaltigen Beleg dafür, dass das MKH-Prisma
die Stereosehschärfe verbessern kann.
Abstract
Background: The „Measuring and Correcting Methodology” after H.-J. Haase (MKH) aims at converting
„fixation disparity” into bicentral fixation, using prismatic spectacles. In the context
of the MKH, fixation disparity is diagnosed by a series of subjective tests. According
to H.-J. Haase, a long-standing fixation disparity can lead to „disparate correspondence”
between the central areas of both retinae, which consolidates the fixation disparity
and gradually converts a „young” into an „old fixation disparity”. In „old fixation
disparity” it is thought that bicentral fixation does not occur anymore, so that stereoacuity
is impaired. However, prismatic spectacles can, according to H.-J. Haase, restitute
bicentral fixation and consequently improve stereoacuity, even in some cases of „old
fixation disparity”. Methods: Ten non-strabismic subjects with a visual acuity of ≥ 1.0 in both eyes were examined.
It turned out that all ten had, according to MKH, a „disparate correspondence”, 5
subjects with a „young” and 5 with an „old fixation disparity”. According to the MKH,
a correcting prism was determined. All 10 subjects underwent the automatic Freiburg
Stereoacuity Test, without and with the MKH-prism. Results: Without the MKH-prism, the stereoscopic threshold ranged between 1.5 and 14.5 arcsec.
With the MKH-prism, the values were not significantly different. Conclusion: Stereoacuity ranged between good and excellent in the 5 subjects with „young” as
well as in the 5 subjects with „old fixation disparity”. The MKH-prism did not improve
the stereoacuity in any of the subjects. These results cast doubt on Haase's assertion
that an „old fixation disparity” implies a reduced stereoacuity. Hence, the premise
for a benefit of the MKH-prism with respect of stereoacuity is not substantiated.
In the 5 subjects with a „young fixation disparity”, the good stereoacuity is consistent
with Haase's theory, so that a benefit of the MKH-prism for stereoacuity was not expected.
In previous studies, stereoacuity was found to be better with the MKH-prism than without
it. These studies are questionable since learning with repeated testing was not taken
into account. We conclude that there is no sound evidence for the assumption that
the MKH-prism can improve stereoacuity.
Schlüsselwörter
Stereosehschärfe - Fixationsdisparation - Winkelfehlsichtigkeit - Mess- und Korrektionsmethodik
nach H.-J. Haase - MKH
Key words
Stereoacuity - fixation disparity - associated phoria - measuring and correcting methodology
after H.-J. Haase - MKH
Literatur
1
Bach M, Schmitt C, Kromeier M, Kommerell G.
The Freiburg Stereoacuity Test: Automatic measurement of stereo threshold.
Graefe's Arch Clin Exp Ophthalmol.
2001;
239
562-566
2
Cagnolati W.
Die Wichtigkeit eines guten Binokularsehens in Anbetracht veränderter Sehaufgaben
bzw. Sehgewohnheiten.
Neues Optiker Journal (NOJ).
1987;
9
10-16
3
Gerling J, de Paz H, Schroth V, Bach M, Kommerell G.
Ist die Feststellung einer Fixationsdisparation mit der Mess- und Korrektionsmethodik
nach H.-J. Haase (MKH) verlässlich?.
Klin Monatsbl Augenheilkd.
2000;
216
401-411
4
Goersch H.
Stereopsis unter phorischer Belastung.
Deutsche Optikerzeitung.
1982;
9
8-18
5 Haase H-J. Zur Fixationsdisparation. ISBN 3-922269-17-6. Heidelberg; Optische Fachveröffentlichung
GmbH 1995
6
Harvey L OJ.
Efficient estimation of sensory thresholds.
Behav Res Methods Instrum Comput.
1986;
18
623-632
7 Kromeier M, Schmitt C, Bach M, Kommerell G. Vergleich zwischen dissoziierter und
assoziierter Heterophorie. Ophthalmologe 2002; im Druck
8
Lieberman H R, Pentland A P.
Microcomputer-based estimation of psychophysical thresholds: The best PEST.
Behav Res Methods Instum.
1982;
14
21-25
9
McKee S P.
The spatial requirements for fine stereoacuity.
Vision Res.
1982;
23
191-198
10 Richtlinien zur Korrektion von Winkelfehlsichtigkeit. CH-Olten; Selbstverlag der
Internationalen Vereinigung für binokulare Vollkorrektion (IVBV) 1997 Bezugsquelle:
IVBV-Geschäftsstelle, Albrechtstr. 5, D-65549 Limburg
11
Rohaly A M, Wilson H R.
The effects of contrast on percieved depth and depth discrimination.
Vision Res.
1999;
39
9-18
12 Schmitt C, Kromeier M, Bach M, Kommerell G. Interindividual variability of learning
in stereoacuity. Eingereicht bei Graefe's Arch Ophthalmol
13
Stollenwerk G.
Erweiterte Mess- und Korrektionsmöglichkeiten mit neuen differenzierten Stereotesten.
Deutsche Optikerzeitung.
1999;
6
30-34
14
Westheimer G, McKee S P.
Stereogram design for testing local stereopsis.
Invest Ophthal visual Sci.
1980;
19
802-809
Dr. med. Miriam Kromeier
Abteilung Neuroophthalmologie und Schielbehandlung · Universitäts-Augenklinik Freiburg
Killianstraße 5
79106 Freiburg
Telefon: + 49/761/2704061
Fax: + 49/761/2704114
eMail: Kromeier@aug.ukl.uni-freiburg.de