Laryngorhinootologie 2004; 83(4): 247-248
DOI: 10.1055/s-2004-814371
Aktuelle Habilitation
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Experimentelle und klinische Untersuchung zum Stellenwert des Wächterlymphknotens (sog. Sentinel Node) beim Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich

Experimental and Clinical Investigations on the Value of the Sentinel Node in Squamous Cell Carcinomas of the Upper Aerodigestiv TractA.-A.  Dünne1
  • 1Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Philipps-Universität Marburg (Direktor: Univ.-Prof. Dr. J.A. Werner)
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Publication History

Eingegangen: 23. Dezember 2003

Angenommen: 29. Januar 2004

Publication Date:
16 April 2004 (online)

Im Kontext der Bemühungen um ein einheitliches Diagnostik- und Therapieverfahren des Lymphabflusses bei Karzinomen der oberen Luft- und Speisewege wurde in der Habilitationsschrift eine Analyse zum Stellenwert des Wächterlymphknotennachweises für Plattenepithelkarzinome der oberen Luft- und Speisewege anhand experimenteller und klinischer Untersuchungen vorgenommen. Hierbei wurden die üblichen Therapiekonzepte zur chirurgischen Behandlung des Lymphabflusses im Sinne einer mehr oder weniger ausgedehnten Neck dissection nicht verlassen. Den klinischen Untersuchungen wurde ein experimenteller Teil vorangestellt, in dem die Grundlagen des Sentinel-Node-Konzeptes zunächst an einem Tiermodell überprüft wurden.

Die unter der Fragestellung der Initiierung eines für das Plattenpithelkarzinom repräsentativen Tiermodells erhobenen Ergebnisse dieser Arbeit zeigten, dass das im Bereich der Ohrmuschel induzierte VX2-Karzinom beim weißen Neuseelandkaninchen ein geeignetes Tiermodell zur Simulation der lymphogenen Metastasierung und des Sentinel-Node-Konzeptes bei Karzinomen im Kopf-Hals-Bereich darstellt. So zeichnet sich dieses Tiermodell durch ein dem humanen Plattenepithelkarzinom entsprechendes, hohes initiales lymphogenes Metastasierungspotenzial mit später einsetzender hämatogener Metastasierung aus. Diese betrifft mit einer isolierten ersten metastatischen Absiedlung über etwa 21 Tage zunächst den chirurgisch leicht zugänglichen parotidealen Lymphknoten. Entsprechend des Konzeptes des Sentinel Node fungiert dieser im Zuge des weiteren Tumorprogresses als Fokus für die Fortschreitung der lymphogenen, später hämatogenen Metastasierung.

Die klinischen Untersuchungen zeigten die Schwierigkeiten bei dem Transfer des Sentinel-Node-Konzeptes auf Tumoren der oberen Luft- und Speisewege auf. Im Gegensatz zum Mammakarzinom konnte für die präoperativ durchgeführte dynamische Lymphszintigraphie gezeigt werden, dass durch die Streustrahlung der Primärinjektionsstelle eine Verfälschung der mittels der verwendeten Gamma-Sonden in situ gemessenen intranodalen Aktivitätsanreicherung nicht in allen Fällen sicher ausgeschlossen werden kann. Zudem können insbesondere tiefer liegende oder eng benachbart lokalisierte Lymphknoten in ihrer Radiopharmaka-Anreicherung transkutan nicht immer sicher voneinander abgegrenzt werden.

Nach Modifikation des Originalverfahrens zu einem rein intraoperativen Nachweisverfahren wurden bei 90 untersuchten Patienten mit klinischem N0- und N1-Hals im Rahmen einer konventionell durchgeführten Neck dissection ein bis drei Wächterlymphknoten identifiziert. Hierbei entsprach die histologische Untersuchung der ein bis drei Wächterlymphknoten bei 88/90 Patienten dem korrekten Halslymphknotenstatus. Bezogen auf die 85 Patienten ohne klinischen Hinweis auf eine lymphogene Metastasierung (N0-Hals) wurde bei 21/85 (24,7 %) Patienten eine klinisch okkulte Metastasierung nachgewiesen. Vorgenannte okkulte Metastasierung wurde bei 19/21 (90,5 %) Patienten durch die Aufarbeitung der radioaktiv markierten Wächterlymphknoten aufgedeckt [13 × pN1(sn)] oder eine Mikrometastase [6 × pN1(mi)(sn)] nachgewiesen. In 2 Fällen waren die Wächterlymphknoten tumorfrei, wohingegen die Lymphknoten des übrigen Neck dissection Präparates eine okkult gebliebene lymphogene Metastasierung zeigten (pN1, pN2b). Wäre nur der maximal anreichernde Lymphknoten separat entnommen worden, wäre bei 6/21 (29 %) bzw. - die beiden falsch-negativ Patienten einbezogen - bei 8/21 (38,4 %) Patienten eine okkulte Metastasierung unbemerkt geblieben.

Die Ergebnisse der Arbeit lassen die Annahme zu, dass dem intraoperativen Nachweis von 1 - 3 ein Karzinom im Bereich der oberen Luft- und Speisewege drainierenden Wächterlymphknoten ein Stellenwert beim Nachweis okkulter Metastasen beim klinischen N0-Hals zu-kommt. Sie unterstreichen jedoch die Notwendigkeit der Resektion mehrerer Lymphknoten im Abflussgebiet des Primärtumors um falsch-negative Ergebnisse zu vermeiden. Die Notwendigkeit eines Vorgehens, welches sich nicht auf die Exstirpation eines Einzellymphknotens beschränkt, wird durch die beobachteten falsch-negativen Fälle unterstrichen.

Bei der Erörterung der Frage, welcher Stellenwert der Sentinel Lymphonodektomie im Rahmen der Diskussion zum Behandlungskonzept des klinischen N0-Halses zukommt, bleibt festzustellen, dass es sich bei der Sentinel Lymphonodektomie ebenso wie bei der Neck dissection um einen invasiven, chirurgischen Eingriff handelt. Hat man sich zur chirurgischen Intervention entschieden, wird künftig zu diskutieren sein, ob man die 2 - 3 radioaktiv markierten Lymphknoten über einen mehr oder weniger großen Hautschnitt entfernt oder ob man sich zu einer eventuell etwas stärker limitierten Sentinel Node assoziierten, elektiven Neck dissection entscheidet. Die Diskussion zum Sentinel-Node-Konzept darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei der Kontroverse um das optimale Management des klinischen N0-Halses es das zukünftige Ziel sein muss, molekularbiologisch und histologisch am Primärtumorresektat Risikopatienten zu identifizieren, um die Rate chirurgischer Intervention am Hals weiter zu reduzieren.

Priv.-Doz. Dr. med. Anja A. Dünne, Jahrgang 1971

Priv.-Doz. Dr. med. Anja-Alexandra Dünne

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