Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(42): 1281
DOI: 10.1055/s-2000-7851
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Effektivität und Effizienz ambulanter Diabetesschulungen

Erwiderung
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Wir freuen uns über die zahlreiche und engagierte Kritik zu unserem Beitrag (1), die den erheblichen Diskussions- und Forschungsbedarf zum Thema ambulante Diabetikerschulung unterstreicht. Im Leserbrief von Küstner und Dancygier sind allerdings Missverständnisse enthalten, die wir richtigstellen wollen.

Es geht uns nicht um eine repräsentative Erhebung der Schulungen in Schwerpunktpraxen und Allgemeinpraxen. In diesem Fall hätten wir tatsächlich unsere Untersuchung anders anlegen müssen. Uns geht es um die Effekte unterschiedlicher Intensität in der Schulung von Diabetespatienten. Daher haben wir eine vergleichbare Zahl mehr oder weniger intensiv geschulter Patienten erhoben. Zur Variable Intensität zählt neben der Schulungsdauer, der fachlichen Qualifikation der Schulenden und der Wissensvermittlung auch das Schulungspersonal. Somit konnte das Schulungspersonal gerade deshalb nicht - wie von Küstner und Dancygier gefordert - konstant gehalten werden, weil es zur Operationalisierung der Unabhängigen Variablen beiträgt. Es geht um einen Gruppenvergleich zweier unterschiedlich intensiver Schulungen, weshalb wir auch bei der Effektivitätsprüfung u. a. das für diesen Fall aussagekräftige absolute Körpergewicht herangezogen haben, um die relativen Verläufe anschaulich dokumentieren zu können.

Selbstverständlich unterscheidet sich die Patientenrekrutierung und unterscheiden sich die Patientenkollektive. Dies ist in der Feldforschung ein altbekanntes Standardproblem, und wir haben es durch den Einsatz eines altbekannten Standardverfahrens, der Kovarianzanalyse, versucht zu lösen. Mit dieser statistischen Analyse werden die nahezu zwangsläufig in der Feldforschung auftretenden unterschiedlichen Ausgangslagen korrigiert und kontrolliert. Das heißt, es kann geprüft werden, welche der festgestellten Unterschiede in den Patientenkollektiven zu Beginn welchen Einfluss auf die Abhängigen Variablen haben. Wir haben die entsprechenden Ergebnisse in unserer Arbeit in den wesentlichen Teilen berichtet, können also die von Küstner und Dancygier befürchteten Fehlereinflüsse ausschließen. Die Kovarianzanalyse erlaubt nämlich die Kontrolle des Einflusses der von Küstner und Dancygier angesprochenen Störgrößen »Gruppengröße«, »Diabetestyp« oder auch »Schulungsgruppe«, ebenso wie den (Stör-)Einfluss der Variablen »Erkrankungsdauer«.

Die Forderung nach qualifiziertem Fachpersonal, das die psychosoziale Ergänzung der Diabetikerschulungen durchführt, muss deutlich unterstrichen werden. Die durchführende Medizinstudentin ist über ein halbes Jahr hinweg vom Entwickler der psychosozialen Ergänzungsschulung in der Durchführung des Programmes intensiv geschult worden. Die vom Programmentwickler in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung normalerweise angebotenen Intensivschulungen dauern einen Tag (mit Übungen). Da die durchführende Medizinstudentin darüber hinaus vor Untersuchungsbeginn an einer Reihe ambulanter Diabetikerschulungen zu Übungszwecken teilnahm, kann von ihrer ausreichend einschlägigen Qualifizierung in der Durchführung der psychosozialen Schulungsergänzung durchaus ausgegangen werden.

Richtig ist auch der Hinweis, dass der Leidensdruck des Patienten nicht ausreicht für eine höhere Patientenmotivation. Gerade das zeigen unsere Daten. Wir haben mit unseren - in diesem Abschnitt theoretischen - Ausführungen versucht klarzumachen, dass die Variable Leidensdruck eine höhere Motivation bei den intensiv geschulten Diabetespatienten der Schwerpunktpraxis erwarten ließe. Dass diese Erwartung sich durch eine höhere Effektivität der Schulung der Schwerpunktpraxis nicht bestätigen ließ nehmen wir allerdings zum Anlass, die intensive Schulung kritisch zu bewerten.

Richtig ist schließlich der Hinweis auf die Ausfallquote unter unseren untersuchten Patienten. Unsere vorsichtige Interpretation der Daten basiert auch auf der mittlerweile allgemein bekannten (und von uns seit den 80er Jahren publizierten und hier nicht noch einmal wiederholten) kritischen Bewertung der Bedeutung aller Schulungen, in denen Patientenzahlen zu Beginn größer als bei Schulungsende sind.

Für uns zeigt sich am Beispiel des Leserbriefes von Küstner und Dancygier erneut, dass in der Medizin ein Nachholbedarf an Wissen über Methoden der Feldforschung weit verbreitet ist, an Methoden also, die sich - zwangsläufig - von der Laborforschung unterscheiden, aber dennoch am Ideal des Kausalexperimentes orientiert sind. Diese Methoden erlauben es beispielsweise, alle in der Planung einer Studie aus praktischen Gründen nicht durchführbaren Kontrollen, im Nachhinein auf statistischem Wege zu realisieren. In der sozialwissenschaftlichen Forschung ist dieses Vorgehen Standard.

Wir wollen mit unserer zunächst eng begrenzten Studie Anregungen zum Nachdenken geben. Dieses Nachdenken sollte sich mit der Frage nach dem Erfolg immer intensiverer Schulungen und der Frage nach dem Erfolg einer immer intensiveren Wissensvermittlung befassen. Nachgedacht werden sollte aber auch über den fraglichen Erfolg psychosozialer Ergänzungen von Diabetikerschulungen (insbesondere von Typ 2-Diabetikern). Unsere kritischen Befunde hierzu stehen interessanterweise im Einklang mit internationalen Ergebnissen und lassen uns daher auf eine weitere konstruktive Diskussion hoffen.

Literatur

  • 1 Haisch J, Remmele W. Effektivität und Effizienz ambulanter Diabetikerschulungen. Ein Vergleich von Schwerpunktpraxis und Allgemeinpraxis.  Dtsch med Wschr. 2000;  125 171-176

Prof. Dr. Jochen Haisch

Abteilung Allgemeinmedizin

Universität Ulm

Helmholstraße 20

89081 Ulm

    >