Dtsch Med Wochenschr 1929; 55(42): 1761-1765
DOI: 10.1055/s-0028-1127362
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Praktisches und Kritisches aus der Diagnostik der Magenerkrankungen (unter Ausschluß der Röntgendiagnostik)

Friedrich Wilhelm Strauch - Leitender Arzt
  • Aus der Inneren Abteilung des Evangelischen Diakonissenhauses zu Halle a. S.
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Publication Date:
02 June 2009 (online)

Zusammenfassung

Die Differentialdiagnostik der Magenerkrankungen (Magenkatarrh, Magengeschwür, Magenneurose) ist heutigentags für den praktischen Arzt schwieriger geworden. Nicht selten ist die Heranziehung diagnostischer Untersuchungsmethoden notwendig, die nur im Krankenhaus durchgeführt werden können. Die individuell aufgenommene Vorgeschichte muß wieder mehr und mehr der Grundstein aller diagnostischen Erwägungen werden, die Einfühlung in das Erlebnis der Krankheit und in die Persönlichkeit des Kranken nach eingehender klinischer Gesamtuntersuchung ist immer von ausschlaggebender Bedeutung. Bei Magenbeschwerden mit kürzerer Vorgeschichte sogleich an Karzinom zu denken, führt in der Praxis leicht zu Irrtümern. Im allgemeinen ist die Diätfehlerliste bei Gallenkranken größer als bei Magenkranken. Die Analyse des Schmerzes muß in der Diagnostik obenan stehen, auch ist stets an Schmerzirradiationen zu denken.

Sodbrennen ist keineswegs immer ein Zeichen von Hyperazidität. Auch Erkrankungen der Schlagader (Aortensklerose, Koronarsklerose, Aortitis luica) sind zu erwägen bei Kranken, die über 50 Jahre alt sind. Hungerschmerz und Spätschmerz sind vieldeutige Symptome, die stets der klinischen Analyse bedürfen (Röntgenuntersuchung des Magendarmkanals, Cholezystographie). Nächtliche Kolikschmerzen im Oberbauch sind häufiger auf eine Erkrankung der Gallenwege als des Zwölffingerdarms zu beziehen. Organneurosen und Phobien begegnen uns in der Praxis häufig und werden oftmals äbersehen; genaues Ausforschen der Angehörigen klärt mitunter erst den Fall.

Auf Kosten der Röntgendiagnostik darf heute die Inspektion und Palpation des Abdomens nicht vernachlässigt werden (Hernien, muskuläre Abwehrspannung, Boassche Druckpunkte). Bei akuter und subakuter Gastritis wird eine belegte Zunge besonders oft gefunden. Mundgeruch ist nicht ohne weiteres auf eine Magenerkrankung zu beziehen (Nasen-Rachenaffektionen, kariöse Zähne). Auch bei einfacher akuter Gastritis kommen Fiebertemperaturen vor.

Das Ewald-Boassche Probefrühstück wird noch lange trotz der Fehler dieses Verfahrens in der Praxis seinen Platz behaupten. Für wissenschaftliche Fragestellungen ist der Alkohol- und Koffein probetrunk mit fraktionierter Ausheberung das gegebene Verfahren. Nüchternausheberung des Magens ist nur selten notwendig. Die Verabfolgung eines Appetitprobefrühstücks ist oft sehr ratsam. Der Nachweis von Sarzine und Milchsäurebazillen sowie von Milchsäure im ausgeheberten Mageninhalt ist besonders angezeigt, wenn eine Röntgenuntersuchung nicht auszuführen ist. Probe- und Belastungs mahl zeiten sind wieder mehr heranzuziehen. Schwere Magenatonien, klinisch unter dem Bilde einer Pylorusstenose gehend, werden öfters falsch gedeutet.

Der Nachweis von okkultem Blut im Stuhl hat bis heute seine große diagnostische Bedeutung beibehalten. Negative und stark positive Benzidinproben besagen viel, ganz schwach positive wenig oder nichts. Das Blutbild nach Schilling gibt bei Karzinom keine eindeutigen Resultate, führt aber sonst nicht selten diagnostisch weiter. Bei Magendarmneurosen ist das spezifizierte weiße Blutbild meist normal, bei akut entzündlichen Prozessen besteht sehr oft Linksverschiebung. Eine normale Blutsenkungs reaktion läßt eine Entzündung oder einen malignen Tumor nicht ausschließen. In enger Anlehnung an das klinische Gesamtbild ist aber die Feststellung der Blutsenkungsgeschwindigkeit oftmals von diagnostischer Bedeutung.

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