Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(47): 2491-2492
DOI: 10.1055/s-2003-44319
Pro & Contra
Hypertonologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diuretika - Medikamentöse Therapie der Wahl bei unkomplizierter Hypertonie? - Contra

Diuretics - First line treatment in uncomplicated hypertension? - ContraT. Unger1
  • 1Center for Cardiovascular Research (CCR)/Institut für Pharmakologie und Toxikologie, CCM, Charité - Universitätsmedizin Berlin
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eingereicht: 25.8.2003

akzeptiert: 11.9.2003

Publication Date:
20 November 2003 (online)

Diuretika müssen, um den heutigen Anforderungen an eine effektive Blutdruckkontrolle [5] gerecht zu werden, hoch dosiert eingesetzt werden. Für das in Deutschland am meisten verwendete Hydrochlorothiazid (HCT) bedeutet dies eine Tagesdosis von 50-100 mg. Für das in der US-amerikanischen ALLHAT-Studie [1] verwendete Chlortalidon, welches stärker und länger wirksam ist als HCT, kann man eine äquivalente Dosierung von 25-50 mg/d ansetzen. In diesem Dosisbereich treten jedoch die klassentypischen Nebenwirkungen gehäuft auf, die uns seit vielen Jahren geläufig sind: Hypokaliämie, Glukoseintoleranz, Hyperurikämie und u. U. Dyslipidämie [4] [8], von der erektilen Dysfunktion ganz zu schweigen. Dazu kommt eine unter Umständen massive Stimulation neurohumoraler Systeme wie des Sympathikus und insbesondere des Renin-Angiotensin Systems (RAS). Dieser ganze Komplex von Verschiebungen des Elektolytgleichgewichtes, von metabolischen und humoralen Störungen liegt im Wirkmechanismus der Diuretika begründet und ist streng dosisabhängig: Sein Auftreten ist daher bei hohen, antihypertensiven Dosen unvermeidbar. In deutlich niedrigeren Dosisbereichen, also z. B. 12,5 mg/d (HCT) oder 6,25 mg/d (Chlortalidon), werden diese Nebenwirkungen im Allgemeinen nicht angetroffen; dafür sind diese Dosen, alleine gegeben, aber auch nicht antihypertensiv wirksam. Hier liegt das Grund-Dilemma der Diuretika als antihypertensive Monotherapeutika.

In der ALLHAT-Studie wurde das Diuretikum Chlortalidon mit dem ACE-Hemmer Lisinopril und dem Kalziumantagonisten Amlodipin bei insgesamt mehr als 33 000 hypertensiven über 55-jährigen Patienten mit relativ hohem kardiovaskulären Risiko über einen Zeitraum von durchschnittlich 4,9 Jahren hinsichtlich ihres Einflusses auf die koronare und kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität verglichen. Während sich in Bezug auf die primären Endpunkte (tödliche koronare Herzkrankheit und nicht-tödliche Myokardinfarkte) keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen zeigten (11,5 % vs 11,4 % und 11,3 %), gab es Unterschiede zugunsten des Diuretikums bei den sekundären Endpunkten „Schlaganfallinzidenz” und „Auftreten von Herzinsuffizienz” nicht aber „Gesamtmortalität”. Die Autoren interpretierten diese Befunde als Überlegenheit der Diuretika gegenüber anderen Antihypertensiva in der Verhütung schwerer kardiovaskulärer Ereignisse und koppelten diese Aussage gleich an ein ökonomisches Argument, nämlich an eine angebliche Überlegenheit der Diuretika auch aufgrund ihres vergleichsweise geringeren Preises.

Eine nähere Analyse von Studiendesign und Studiendurchführung weist jedoch auf eine unzureichenden Studienqualität hin. Hier nur einige gravierende Mängel:

Die Patienten waren zu 36 % Schwarze, die bekanntlich auf Diuretika gut, auf ACE-Hemmer und Betablocker jedoch weit schlechter ansprechen 9. Nicht repräsentativ für Hypertoniker-Populationen außerhalb der USA auch der ungewöhnlich hohe Anteil adipöser Patienten (mittlerer BMI 29,7 kg/m2). Die Auswahl medikamentöser Kombinationspartner entsprach nicht heutigen wissenschaftlich begründeten Kriterien. Die Studienendpunkte wurden nur ungenügend, stichprobenartig, verifiziert. Darunter hatte besonders die Diagnose „Herzinsuffizienz” zu leiden, die schon allein aufgrund von Knöchelödemen (Nebenwirkung der Dihydropyridin-Kalziumantagonisten wie Amlodipin) gestellt werden konnte. Über 90 % der Patienten mit antihypertensiver Vortherapie (meist Diuretika aus Gründen der Rekrutierungsstrategie der Studie innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen) wurden ohne Auswaschphase auf die Studienmedikation umgestellt, was das Auftreten von bisher unter Diuretika kaschierter Herzinsuffizienz in den Nicht-Diuretikagruppen begünstigte. Ein ungewöhnlich hohe Cross-over-Rate zwischen den Therapiegruppen sowie ein weit überdurchschnittlicher Patientenschwund im Verlauf der Studie werfen einen dunklen Schatten auf die Qualität der Studiendurchführung und lassen das angewandte intention-to-treat-Verfahren der Datenauswertung als fraglich geeignet erscheinen.

Weiterhin gelang es zu keinem Zeitpunkt, den Blutdruck in den drei Behandlungsgruppen auf gleiches Niveau zu senken, Der systolische Blutdruck der Chlortalidon-Gruppe bewegte sich während des gesamten Studienverlaufs um mindestens 2-3 mmHg unterhalb desjenigen in der Lisinoprilgruppe (bei den schwarzen Patienten waren es durchgängig 4 mmHg). Berücksichtigt man nun die kürzlich anhand von Daten an über einer Million Patienten erhärtete Tatsache, dass Blutdruckdifferenzen, die denjenigen der ALLHAT-Studie entsprechen, für sich alleine schon die Schlaganfallinzidenz und die koronare Mortalität markant beeinflussen [7], dann werden die ALLHAT-Befunde nahezu uninterpretierbar.

Das Argument von den Vorteilen einer primären Diuretika-Therapie des Hypertonikers lässt sich nach einer kritischen Analyse der ALLHAT-Daten nicht aufrecht erhalten. Schlimmer noch: Die ALLHAT-Daten demonstrieren einmal mehr, dass eine primär auf Diuretika basierende antihypertensive Therapie für die Patienten eine zeitbombenartige Gefahrenquelle darstellt: So war (erwartungsgemäß) die Neu-Inzidenzrate des Diabetes mellitus (definiert als Nüchtern-Glukose Werte über 126 mg/dl) im Vierjahreszeitraum in der Chlortalidon-Gruppe mit absoluten 11,6 % um bestürzende 43 % höher als in der Lisinopril- und immerhin noch um 18 % höher als in der Amlodipingruppe. Im relativ kurzen Verlauf der Studie hat sich dieser Unterschied nicht als kardiovaskulärer Risikofaktor auswirken können. Was aus den iatrogen produzierten Diabetikern in 10 oder 20 Jahren werden soll, vermeiden die ALLHAT-Autoren tunlichst zu diskutieren. Klinisch nicht minder alarmierend ist die um das Achtfache (vs Lisinopril) bzw Fünffache (vs Amlodipin) erhöhte Hypokaliämierate in der Chlortalidongruppe. Auf die Gefahren von Diuretika-induzierten Verschiebungen des Kalium-Haushaltes ist immer wieder hingewiesen worden [4].

In der Tat liegen die Tages-Therapiekosten einer Monotherapie mit Chlortalidon 25 mg (0,25 EUR) gegenwärtig laut „Roter Liste” niedriger als mit Lisinopril 40 mg (0,82 EUR), wenn man die jeweiligen maximalen Dosen aus der ALLHAT-Studie zugrunde legt. Gegen diesen scheinbaren Preisvorteil müssen jedoch die Kosten der durch hochdosierte Diuretika verursachten Folgeschäden gerechnet werden, insbesondere die Hypokaliämie mit regelmäßiger Kontrolle und ggf. Kaliumsubstitution sowie vor allem der Diabetes mellitus mit sämtlichen Folgekosten. Erwähnt werden muss hier auch noch die aus begreiflichen Gründen notorisch schlechte Compliance der Patienten unter Diuretika-Monotherapie im Vergleich zu neueren Antihypertensiva [2]. Der unreflektierte Vorschlag, massive Patientenpopulationen von den „teuren” Kalziumantagonisten und RAS-Hemmstoffen abzuziehen und den „billigen” Diuretika auf Dauer zuzuführen [3] [6], ist schon allein aus diesem Grunde zum Scheitern verurteilt, einmal ganz abgesehen von der ethischen Problematik, Millionen von Hypertonikern in diabetische Komplikationen hinein zu treiben, wenn man solche Vorschläge wirklich durchsetzen könnte.

Fazit

Aufgrund des unbestreitbaren, dosisabhängigen Potenzials an Nebenwirkungen wie Hypokaliämie, Diabetogenität und Stimulation neurohumoraler Systeme sowie der mangelhaften Patienten-Compliance halte ich die Diuretika den neueren Substanzgruppen, insbesondere den ACE-Hemmern und Sartanen, als antihypertensive Monotherapeutika für unterlegen. Ich würde es daher begrüßen, wenn man die Diuretika in der Hypertonietherapie von vorne herein als niedrig dosierte Kombinationspartner für RAS-Hemmstoffe, Betablocker und auch Kalziumantagonisten anbieten könnte. In dieser Rolle können sie nur Gutes bewirken und keinen Schaden anrichten.

Autorenerklärung: Der Autor erklärt, dass er keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma hat, deren Produkt in diesem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

Literatur

  • 1 ALLHAT Officers and Coordinators for ALLHAT . Major outcomes in high-risk hypertensive patients randomized to angiotensin-converting enzyme inhibitor or calcium channel blocker vs diuretic: The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial (ALLHAT).  JAMA. 2002;  288 2981-2997
  • 2 Bloom. et al . Compliance.  Clin Ther. 1998;  20 671-681
  • 3 Der Spiegel . Milliarden-Verschwendung mit Hochdruck-Medikamenten.  DER SPIEGEL. 2003;  14 , www.spiegel.de/spiegel/vorab/
  • 4 Franse L V, Pahor M, Di Bari M, Somes G W, Cushman W C, Applegate W B. Hypokalemia associated with diuretic use and cardiovascular events in the Systolic Hypertension in the Elderly Program.  Hypertension. 2000;  35 1025-1030
  • 5 2003 European Society of Hypertension . European Society of Cardiology guidelines for the management of arterial hypertension. Guidelines Committee.  J Hypertension. 2003;  21 1011-1053
  • 6 Lauterbach K W, Plamper E. Effizienz in Zeiten knapper Arzneimittelbudgets.  Dtsch Ärzteblatt. 2003;  100 C1558-C1559
  • 7 Prospective Studies Collaboration . Age-specific relevance of usual blood pressure to vascular mortality: a meta-analysis of individual data for one million adults in 61 prospective studies.  Lancet. 2002;  360 1903-1913
  • 8 Suter P M, Vetter W. Metabolic effects of antihypertensive drugs.  J Hypertension (Suppl). 1995;  13 S11-17
  • 9 Weber M A. The ALLHAT Report: A Case of Information and Misinformation.  J Clin Hypertension. 2003;  V 9-13

Prof. Dr. Tomas Unger

Center for Cardiovascular Research (CCR), Institut für Pharmakologie und Toxikologie

Hessische Str. 3-4

10115 Berlin

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