Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(46): 2437-2440
DOI: 10.1055/s-2003-43591
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Transplantationsmedizin
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Organspende in Deutschland

Zwischenbericht über die bayerische Umfrage zur Ermittlung der Zahl potenzieller OrganspenderOrgan donation in GermanyAn interim report of an enquiry in Bavaria to determine the number of potential organ donorsS. Förderreuther1 , H. Angstwurm1
  • 1Neurologische Klinik und Poliklinik (Direktor Prof. Dr. Dr. h.c. Brandt FRCP), Ludwig-Maximilians-Universität München
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eingereicht: 22.5.2003

akzeptiert: 11.9.2003

Publication Date:
13 November 2003 (online)

Alle bayerischen Krankenhäuser mit Intensivbetten haben im Jahr 2000 gemäß einem Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz für Belange der postmortalen Organspende Transplantationsbeauftragte bestellt. Ihre Bedeutung für die Transplantationsmedizin beruht darauf, dass die Mehrzahl der potenziellen Organspender in Intensivstationen außerhalb von Einrichtungen mit Transplantationszentren liegt. Die Transplantationsbeauftragten müssen vor allem sicherstellen, dass die Krankenhäuser ihrer gesetzlichen Verpflichtung (§ 11. Abs. 4, Satz 2 TPG) entsprechen und „den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms von Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung als Spender vermittlungspflichtiger Organe in Betracht kommen... mit(..)teilen”.

Das setzt voraus, dass diese Todesfälle erkannt und die medizinischen, rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für postmortale Organspenden analysiert werden. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) und die Transplantationszentren bieten entsprechende „Spenderkonsile” an, ärztliche Beratungen über eine Spende vermittlungspflichtiger Organe.

Der ursächlich vielschichtige Mangel an transplantablen Organen konnte bislang weder durch das Transplantationsgesetz, noch durch die auch in anderen Bundesländern als in Bayern eingesetzten Transplantationsbeauftragten verringert werden. Die Transplantationsbeauftragten können jedoch auch dazu beitragen, die wirkliche Zahl „potenzieller Organspender” zu ermitteln. Diese Daten sind notwenig, um das bislang nicht bekannte Potential für postmortale Organspenden festzustellen und auf diesen Daten basierend zu analysieren, ob und wie in Zukunft mehr Organspenden realisiert werden könnten, als bislang.

Unter „potenziellen Organspendern” werden Patienten verstanden, bei denen der Hirntod festgestellt wurde und deren Vorgeschichte und gegenwärtige Befunde die Übertragung eines oder mehrerer ihrer Organe ermöglichen, also Verstorbene mit erfüllten medizinischen, aber noch offenen rechtlichen Voraussetzungen für eine postmortale Organspende.

Ein kurzer Rückblick auf die Zeit vor der gesetzlichen Bestellung der Transplantationsbeauftragten erklärt ihre Bedeutung auch für die Suche nach der wirklichen Zahl potenzieller Organspender, denn bislang ließ sich weder die Häufigkeit des Hirntods, als Grundvoraussetzung für eine postmortale Organspende, noch die Häufigkeit der anderen medizinischen Voraussetzungen postmortaler Organspenden klären.

Tab. 1 Übersicht der Grunderkrankungen, bei deren tödlichem Verlauf der Erhebungsbogen ausgefüllt werden muss. Diagnose ICD- Klassifikation Diagnose ICD- Klassifikation Primäre intra- kranielle Tumore C 71, D 33 Spontane intrakranielle Blutungen I 60 - I 62 Status epilepticus G 41 Hirninfarkte I 63 - I 67 Zerebrale Kinderlähmung G 80 Sinus- und Hirn- venenthrombosen O 22.5 Verschluss der Liquor ableitenden Wege G 91 Perinataler Hirnschaden P 10, P 11, P 52 Ischämisch-hypoxischer Hirnschaden G 93.1 Hirnfehlbildungen Q 00 - Q 04 Nicht näher bezeichnete oder unklare Hirnerkrankung G 93.9 - G 94 Schädel-Hirn- Traumen S 02, S 06 - S 09

Unkenntnis der Häufigkeit des Hirntods meint Unkenntnis seiner absoluten und Unkenntnis seiner relativen Häufigkeit: Die absolute Häufigkeit des Hirntods, die Zahl aller am Hirntod Verstorbenen lässt sich allenfalls schätzen. Es gibt nicht einmal Daten zur relativen Häufigkeit des Hirntods. Darunter versteht man den Anteil von hirntoten Patienten bezogen auf die Zahl der Todesfälle infolge bestimmter Grundkrankheiten. Beispielsweise wissen wir nicht, wie viele Schädel-Hirn-Traumen über den Hirntod, wie viele auf andere Weise tödlich verlaufen. Eine eigene Untersuchung hat den Verdacht bestätigt, dass sich die Diagnose und damit die Epidemiologie des Hirntodes nicht durch katamnestische Krankenblatt-Auswertungen ermitteln lässt [3]. Zudem kann aus den Unterlagen retrospektiv häufig nicht ersehen werden, warum keine Hirntod-Diagnostik durchgeführt wurde [1] [2].

Auch die Häufigkeit der anderen medizinischen Voraussetzungen postmortaler Organspenden ist nicht hinreichend bekannt. Allgemeine medizinische Kontraindikationen wie Erkrankungen an malignen Tumoren oder bestimmte übertragbare Infektionen schließen jede postmortale Organspende aus. Andere Vorerkrankungen oder gegenwärtige Organschäden stellen jedoch nur für die Transplantation bestimmter Organe eine medizinische Kontraindikationen dar. Daher wird in statistischen Erhebungen zwischen postmortalen Spendern und postmortalen Spenden unterschieden.

Eine auch nur annähernd umfassende Registrierung potenzieller Organspender stellt erfahrungsgemäß ein medizinisch, organisatorisch und datenschutzrechtlich anspruchsvolles Unterfangen dar und ist doch so wichtig, dass sie immer wieder versucht werden muss. Im Folgenden werden die Einzelheiten erneuter Bemühungen dargelegt.

Um die genannten offenen Fragen zu beantworten, wurde ein Fragebogen (Abb. [1]) für eine prospektive Erhebung entwickelt, die in Bayern seit dem Jahr 2001 fortlaufend erfolgt, nachdem der Landtag das Ausführungsgesetz zum TPG unter anderem mit der Bestellung der Transplantationsbeauftragten und mit der Festlegung ihrer Aufgaben im Herbst 1999 beschlossen hatte und die Transplantationsbeauftragten in Einzelbesprechungen bzw. im Rahmen zweier Veranstaltungen in ihre Aufgaben eingeführt waren.

Abb. 1 Meldebogen.

Der Bogen muss für all die Patienten ausgefüllt werden, die auf einer Intensivstation an einer bestimmten nach ICD 10 klassifizierten Grunderkrankung, die potenziell zum Hirntod führen könnte, verstorben sind, und monatlich eingeschickt werden, auch wenn kein entsprechender Todesfall vorgekommen ist. Mit dem Bogen werden folgende Daten erfasst:

die Grundkrankheit (Tab. 1), eventuelle Therapielimitierungen vor dem Tod, unmittelbare Todesursachen, Gründe für die unterbliebene Hirntoduntersuchung, medizinische Kontraindikationen für eine Transplantation einzelner Organe, rechtliche Bedingungen der postmortalen Organspende.

Die Detailauswertung der Fragebogen lässt aus organisatorischen Gründen leider noch immer auf sich warten. Daher kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die geschilderte Methode die theoretisch gut begründete Hoffnung erfüllen wird, die wirkliche Zahl potenzieller Organspender zu ermitteln. Man kann aber derzeit zusammen mit den statistischen Unterlagen der DSO (s. Abb. [2] - [4]) zur postmortalen Organspende im Einzelnen sagen:

Abb. 2 Postmortale Organspende in der Bundesrepublik Deutschland.

Abb. 3 Postmortale Organspende in Bayern.

Abb. 4 Todeseintritt vor dem Hirntodnachweis (Bayern).

Die Anzahl der eingeschickten Meldebögen - 2253 im Jahr 2001 und 2452 im Jahr 2002 - spricht für eine zumindest gegenüber eigenen früheren Erfahrungen erfreuliche, aber bezogen auf die Gesamtzahl von über 200 Kliniken und Krankenhäusern mit Intensivbetten noch unzureichende Akzeptanz des Systems. Die konsequente Mitarbeit jeder einzelnen Station und der Inhalt der Meldebögen bedürfen der Kontrolle. So wurde 2001 auf weniger, 2002 auf mehr als der Hälfte der Bögen ein entsprechender Todesfall im jeweiligen Berichtsmonat verneint. Die Anzahl der „Spenderkonsile” hat 2001 und 2002, in den beiden ersten Jahren der Erhebung, gegenüber 1998 und1999, den letzten 2 Jahren vor der Bestellung der Transplantationsbeauftragten zugenommen, aber im Vergleich der Jahre 1994 und 2002 weniger als in Deutschland insgesamt. Die Abnahme der „Spenderkonsile” im Vergleich der Jahre 2000 und 2002 kann darauf beruhen, dass die medizinischen Voraussetzungen einer postmortalen Organspende zunehmend von den Krankenhausärzten selbst beurteilt werden. Gleichwohl muss geprüft werden, ob diese Interpretation zutrifft oder ob andere Faktoren die Zahl der Spenderkonsile verringert haben. Medizinische Kontraindikationen postmortaler Organspenden waren im Jahr 2001, dem ersten Jahr nach der praktischen Einführung der Transplantationsbeauftragten, bei 37 % der Spenderkonsile, mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 1998 (15 %). Im Jahr 2002 ist dieser Prozentsatz auf 23 % abgefallen. Dies dürfte - wie der Rückgang der Spenderkonsilie insgesamt - auf krankenhausinterne Beurteilungen und Entscheidungen zurückgehen. Der prozentuale Anteil der in verschiedenen Jahren vor Eintritt oder ohne Feststellung des Hirntodes verstorben Kranken zeigt eine ähnliche Tendenz. Auch dies kann auf die zunehmende Kompetenz und Wirksamkeit der Transplantationsbeauftragten hinweisen, wenngleich es der Detailanalyse bedarf. Die Zunahme der „Spenderkonsile” darf nicht ohne weiteres eine entsprechende Zunahme der potenziellen und der realen Spender erwarten lassen: Der prozentuale Anteil der realen an der Zahl der potenziellen Spender lag im Jahr 2002 um nur 3 % höher und war 2000 und 2001 sogar um 8 und um 9 % geringer als 1994. Die jährlichen Zahlen potenzieller Spender zeigen - vielleicht noch - keine überzeugende Trendwende seit der Einführung der Transplantationsbeauftragten. Die absolute Zahl der realen postmortalen Organspender schwankt seit 1994. Deshalb erlaubt die Zunahme in den Jahren 2000 - 2002 gegenüber 1998 und 1999 noch keine weitreichenden Folgerungen. Die Ablehnungsrate, d. h. der Prozentsatz der Zahl potenzieller Spender, deren Angehörige Explantationen abgelehnt haben, ist bisher praktisch gleich geblieben. Sie lag zwar im Jahr 2001, dem Jahr mit den meisten Spenderkonsilen, mit 37,9 % am höchsten, aber im Jahr 2002 mit 29,6 % um nur 1 % höher als 1994. Ob die Transplantationsbeauftragten in den folgenden Jahren die bedrückende Ablehnungsrate verringern können, erscheint fraglich, wenn man die Zahlen in Deutschland insgesamt berücksichtigt. Der Anteil der aus anderen rechtlichen, aus medizinischen und aus organisatorischen Gründen nicht realisierbaren potenziellen Organspenden liegt über die Jahre weitgehend unverändert bei 2-6 %. Nach Sachlage können Transplantations-organisatoren oder -beauftragte diesen Prozentsatz kaum entscheidend beeinflussen. Ob und gegebenenfalls wie Therapiebegrenzungen vor dem Tod sich auf die Zahl potenzieller, damit aber auch realer Organspender auswirken, kann erst nach Auswertung der Fragebogen beurteilt werden.

Fazit

  1. Da die Zahl realisierbarer Organspenden wesentlich von den potenziellen Organspendern abhängt, ist die derzeit laufende Datenerfassung durch die Transplantationsbeauftragten von großer Bedeutung für die Bemühungen, möglichst vielen Patienten auf der Warteliste ein geeignetes Organ zu transplantieren. Nur durch eine möglichst lückenlose Datenerfassung kann das theoretische Potenzial für postmortale Organspenden ermittelt und davon ausgehend analysiert werden, ob und ggf. wie eine größere Zahl von Organspenden realisiert werden könnte.

  2. Die statistischen Angaben, ihre medizinischen Einzelheiten und der Rücklauf der Meldebögen bedürfen einer sehr detaillierten Analyse und Kontrolle. Vielleicht müssen auch die kurz nach der Verlegung aus der Intensivstation verstorbenen und deshalb dort nicht erfassten Todesfälle betrachtet werden.

  3. Die Bestellung von Transplantationsbeauftragten erscheint sehr gut begründet. Ihre wirkliche praktische Bedeutung für das ärztliche Handeln auf der Intensivstation und den Umgang mit den Angehörigen in einer menschlich belastenden Situation und ihre darüber hinaus gehende Bedeutung für die Transplantationsmedizin lässt sich innerhalb von nur 2 Jahren nicht abschließend beurteilen.

  4. Die wirkliche Zahl potenzieller Organspender in Deutschland entscheidet zuletzt die Frage, ob wenigstens numerisch jeder Kranke auf der Warteliste das benötigte Organ erhalten könnte und ob wir mit diesem Argument den Gesetzgeber bitten dürfen, die in unserem Land gültige erweiterte Zustimmungslösung zu überprüfen. Bis zur Antwort auf diese Frage können wir uns nur um das derzeit realistische Ziel bemühen, jede medizinisch und rechtlich mögliche postmortale Organspende zu verwirklichen.

Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in dem Beitrag eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

Danksagung: Wir danken Frau Dr. von Kramolin, Transplantations-Koordinatorin in der Region Bayern der DSO, für wertvolle Auskünfte über die laufende Erhebung mittels der Meldebögen und Herrn Köhler, Leiter der Statistikabteilung in der DSO-Zentrale in Neu-Isenburg, für die überlassenen Zahlen.

Literatur

  • 1 Angstwurm H. Hirntod und Organspende nach dem Tod in Bayern 1996. Edition Deutsche Stiftung Organtransplantation 1997
  • 2 Angstwurm H, Ketzler K. Möglichkeiten und Grenzen der Organtransplantation. Ergebnisse einer Untersuchung über die mögliche Zahl postmortaler Organspenden. Edition Deutsche Stiftung Organtransplantation 1988
  • 3 Maurus M C. Die retrospektive Feststellung des Hirntodes in ausgewählten Intensivstationen im Einzugsbereich des Transplantationszentrums München - ein Beitrag zur Ermittlung der Häufigkeit medizinisch möglicher postmortaler Organspenden. Dissertation, Medizinische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universtität zu München 1991

Dr. Stefanie Förderreuther

Neurologischer Konsiliardienst der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität

Ziemssenstraße 1

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